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VIERTES KAPITEL

DIE OPFERUNG DES JUDAS ISCHARIOT

C

HRISTUS HAT SICH IN ALLEN HISTORISCHEN Dingen geirrt: es war das Sühnegeld dafür, daß er in allen anderen Dingen die vollkommene Wahrheit sagte. Dadurch, daß das gesamte Christentum auf diesem historischen Irrtum begründet ist, fällt es in sich zusammen, während die Erscheinung Christi in voller Sicherheit und auf die Jahrtausende wirkend, bestehen bleibt. Es gibt noch eine andere Antipodie seines Charakters: man hat ihn den gütigsten Menschen genannt und von ihm behauptet, er habe die Menschenliebe gepredigt. Das ist freilich eine falsche Sicht seines Wesens. Wenn seine Güte durchdringend war, so konnte das nur geschehen, indem am anderen Pole das Gegenteil herrschte. Denn wo es Übermenschliches galt, wo die Ankunft des Menschensohnes auf dem Spiele stand, wo eine übergeordnete Idee Gewalt über ihn hatte, da kannte er keine Rücksicht, keine Menschenliebe und keine Güte. Wenn man, was eine Notwendigkeit ist, als den Kernpunkt seines Wesens die Eschatologie annimmt, so muß auch zugegeben werden, daß die Grausamkeit eine notwendige Rolle in seinem irdischen Charakter spielen mußte. Und in der Tat ist die Verkündigung Christi eine ausgesprochen grausame Lehre, genau so grausam wie die Natur, aber auch genau so gebärend. Er hat es ungern und selten ausgesprochen, aber er hat es ausgesprochen, und das genügt, um den Beweis zu erbringen: sein Evangelium gilt nicht für alle Menschen, sondern nur für die Auserwählten. Die typische Redewendung hierfür lautet: »Viele sind gerufen, wenige aber sind auserwählt.«Dann sagt er in einem Gleichniswort (Luk 25,4): »Es waren viel Witwen in Israel zu Elias Zeiten, da der Himmel verschlossen war drei Jahre und sechs Monate, da eine große Teuerung war im ganzen Lande; und zu der keiner war Elia gesandt, denn allein gen Sarepta der Sidonier, zu einer Witwe. Und viel Aussätzige waren in Israel zu des Propheten Elias Zeiten, und der keiner ward gereinigt, denn allein Naëman aus Syrien.<<

Er ist sich auch im Grunde darüber klar, daß gar kein ethischer Vor

gang im Menschen und selbst nicht die Metanoia die Entscheidung herbeiführt, sondern daß dies ganz und gar durch die Gnadenwahl Cottes geschieht. Die Metanoia ist zwar eine Bedingung für die Aufnahme ins Reich, sie enthält aber keinen Anspruch. Er hat an einigen Stellen, so in den berühmten Seligpreisungen, Andeutungen darüber gemacht, wie wohl die Erwählten geartet sein mögen, und man darf diese Seligpreisungen unter gar keinen Umständen als ein Rezept ansehen, dessen Befolgung den Zutritt zum Reiche Gottes erzwingt; dieser bleibt letzten Endes immer ein Gnadenakt Gottes, das heißt, die Prädestination liegt im Weltplan eingebettet, und in ihr allein liegt die Entscheidung. Übersetzt man diese eschatologische Dogmatik in Philosophie, so kann man nur sagen: Christus hat hier wie in allen entscheidenden Dingen die volle Wahrheit auf seiner Seite. Die Natur arbeitet nach dem unausweichbaren Gesetz von Verschwendung und Auswahl. Diesem gemäß muß der ganze Rest der Menschheit in den eschatologischen Tagen der Entscheidung, das heißt im Peirasmos oder in der Zwischenzeit der Drangsal, zugrunde gehen. Und das spricht Christus auch unumwunden aus in der berühmten eschatologischen Stelle Markus 13. Man kann daher nie genug betonen, daß die Lehre Christi durchaus die Sprache der Natur in sich trägt, das heißt, daß sie an den Stellen, wo sie noch zeugt, Liebe ist, dort aber, wo sie Weltablauf ist und das Leben der geschaffenen Kreatur betrifft, Grausamkeit. Ihr kann man als Mensch durch die Caritas sowie durch die pia fraus einigermaßen entgegenwirken und sie mildern: man kann sie aber nicht aufheben.

Dieser Zug seiner ganzen Weltauffassung drückt sich in seinem Charakter aus. Dort, wo es um seine Sendung geht, wo seine Verkündigung auf dem Spiele steht und sich als geschichtlicher Vorgang vollziehen soll, dort kennt er keine Schonung von Menschenleben und Menschenglück, sondern er bringt rücksichtslos zum Opfer, was von der Prophetie her als Opfer gefordert wird. Und von ihr wurde gefordert: daß er von seinen Jüngern verleugnet und verraten werde. Uns sind die Prophetenstellen, auf denen er hier fußt, nicht bekannt, möglich, daß es Apokryphen sind; aber er selbst sagt es, daß das Ereignis des Verrates im Lebensplane des Messias liegt. Und mit der Sicherheit, mit der er die lastbare Eselin bestimmt, auf der er in Jerusalem einreitet, mit derselben Sicherheit bestimmt er den, der ihn verraten soll. Und so wenig wie die Eselin wußte, welche Bedeutung sie hatte und wen sie da trug, als das Volk Hosianna! rief, so wenig wußte jener Verräter etwas davon, zu welcher Tat Jesus ihn ausersehen hatte.

Wir kommen hier zu der eigentümlichen Rolle und der dunklen Gestalt des Judas Ischariot. Der Name dieses Mannes war bisher unter den nachgeborenen Menschen das Gefäß für alles Verwerfliche, er selbst der Repräsentant der Verruchtheit. Wenn es aber erlaubt wäre, jene große epische Situation ins Moralische zu übersetzen, so kann der Kenner des wahren Sachverhaltes nur zu dem Ergebnis kommen, daß ° die Schuld an dem Verrat auf der Seite Christi liegt. Zur Klarlegung dieses Verhältnisses ist es freilich nötig, nicht nur einen scharfen Blick in die Texte der vier Evangelien zu tun, sondern auch einen Nebenblick in die Apokryphen; zu dritt einen anderen in das Wesen des Jüngertums, das sich nur wenigen Menschen aufschließt, und zu viert in die eschatologische Situation Christi.

Judas Ischariot spielt in den Evangelien als Charakter keine andere Rolle als die übrigen Jünger auch; das heißt er ist scheinbar durchaus unbedeutend. Das Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern hat viel Katastrophenhaftes an sich: sie wissen eben gar nicht, wer er eigentlich ist und welchen Auftrag er hat; sie sind gänzlich unorientiert, lassen sich von ihm hier hin und dorthin ziehen, wissen im Grunde auch nicht, woher ihnen die Ehre kommt, die Vertrauten dieses Mannes zu sein. Sie stellen die törichtesten Fragen, und es fehlt ihnen letzten Endes jeder wirkliche Anschluß an seine Person. Indessen bemerkt man deutliche Grade der Zugehörigkeit, das heißt konzentrische Kreise. Am nächsten steht ihm Johannes, der Jünger, der an seiner Brust liegt; aber auch er hat keineswegs bedeutende Züge. Er ist ein junger, leidenschaftlicher Draufgänger, der im übrigen die unpassendsten Fragen zu stellen imstande ist. Aber er ist eben der auserwählte Jünger, dem es vergönnt war, in seinem neunzigsten Lebensjahre plötzlich die Gestalt Christi voll zu erfassen und sein Evangelium zu schreiben. Nächst Johannes kommt sein Bruder Jakobus und Simon bar Jona, genannt Petrus; diese drei Getreuen bilden den Kreis, der bei allen entscheidenden Situationen Christi den Vorzug erhält. Sie sind die Teilhaber der Verklärung und der Szene in Gethsemane. Was außerhalb steht, wird nur gelegentlich genannt und tut meistens Botendienste. Judas aber wird von vornherein als »der Verräter« bezeichnet, wie als sei dies eine notwendige und immanente Eigenschaft seines Charakters (vgl. die Aufzählung bei Matthäus Kap. 10, 2—4). Er ist das schwarze Schaf der Evangelisten; besonders Johannes, sein äußerster Antipode, kommt auffallend häufig auf ihn zu sprechen und ist von vornherein von seiner vollkommenen und durchdringenden Schlechtigkeit überzeugt. Dieser

auffallende Haß der Evangelisten gegen Judas legt den Verdacht nahe, daß sie irgendwie Grund hatten, ihn zu hassen und daß an ihm doch etwas gewesen sein möge, was sie nicht hatten, was aber in freier Entfaltung einen hohen menschlichen Vorzug bedeutet. Es gibt hier nur eine Eigenschaft, die jeder Jüngernatur verhaßt ist, und das ist die geistige Unabhängigkeit. Man muß auf den Gedanken kommen, daß Judas der einzige Jünger war, der es wagte, dem Herrn Widerstand zu leisten, der vielleicht gar ein eigenes Werk in sich trug, das von Jesus erdrückt und überboten wurde. In den Evangelien aber ist nichts von einer solchen Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu lesen; auf ihnen liegt der Zensurdruck der Jüngergesinnung. Er macht wie jeder der Zwölf seine offizielle Jüngertorheit. So wird ihm beim Auftreten der Sünderin die Möglichkeit gegeben, sich geringfügig zu benehmen; er ist es, der das Verschwenden der Salbe aus sozialen Gründen verpönt. Es gibt aber einige apokryphe Stellen, aus denen in der Tat hervorgeht, daß Judas der einzige Opponent im Jüngerkreise war. Wenn es sich auch nur um einen ganz unbedeutenden Streitpunkt handelt, so zeigen die Szenen doch eben das eine, daß diese Gesinnung bei ihm möglich war, und das ist in der Tat eine ganz außerordentliche und bei den übrigen Jüngern nie vorkommende Lage. Es geht aus ihnen eine eigentümlich gereizte Stimmung zwischen Christus und Judas hervor; so heißt es an einer Stelle: »Als der Herr seinen Jüngern von dem zukünftigen Reich der Heiligen erzählte, wie es herrlich sein werde und wunderbar, war Judas betroffen über die Worte und sagte: Und wer wird denn das sehen ? Und der Herr sprach: Die werden es sehen, die dessen wert sind.« (Vgl. Preuschen, Antilegomena, Seite 29.)

Es bestand also ein deutlicher Gegensatz zwischen Jesus und Judas: aber selbstverständlich blieb das eine völlig interne Angelegenheit, und Judas war doch eben schließlich der Jünger Jesu, der ihm die Treue zu halten hatte und sie auch hielt solange er allein über seine seelischen Kräfte zu verfügen hatte. Dies freilich war ihm bei der entscheidenden Handlung nicht gegeben, wie wir bald sehen werden. Jesus hat ihm heimlich den Weg zu seiner Freiheit verlegt und ihm, ohne daß weder er noch irgendeiner seiner Jünger es wußte, wider seinen Willen in die eschatologische Situation hineingezwungen; genau so wie die unschuldige Eselin. Christus opferte sich, aber vor seinem Opfer mußten noch andere durch ihn fallen.

Es ist kein Zufall, daß jene Sekunden, in denen Jesus beim Abend

mahl plötzlich die Worte spricht: »Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten«, nicht nur die höchste Erregung unter denjenigen hervorriefen, die sie hörten, sondern daß sie auch die nachgeborenen Geister nicht wieder losgelassen haben und sie zu erstaunlichen Schöpfungen verleiteten. In der bildenden Kunst hat jener Augenblick in dem großen Gemälde Lionardo da Vincis, das in der Kapelle der Kirche Santa Maria delle Grazie in Mailand hängt, seinen bisher höchsten Ausdruck gefurden, und in der Poesie in jenem Gedicht Rilkes: »Das Abendmahl«, das mit den Worten beginnt:

»Sie sind versammelt, staunende Verstörte . . .«

Es geht hier um etwas ganz anderes als um die Entlar vung eines ordinären Bösewichts, wie ihn die Evangelien schildern, aber die Evangelisten verraten sich freilich durch ihre eigenen Texte selber, indem sie den entscheidenden Augenblick wortgetreu und ziemlich übereinstimmend wiedergeben. Hier seien die Texte zum Vergleich nebeneinandergestellt:

MATTHÄUS, 26 20-25: Und am Abend setzte er sich zu Tische mit den Zwölfen. Und da sie aßen, sprach er: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich

verraten.

Und sie wurden sehr betrübt und hoben an, ein jeglicher unter ihnen, und sagten zu ihm: Herr, bin ich's?

Er antwortete und sprach: Der mit der Hand mit mir in die Schüssel tauchet, der wird mich verraten.

Des Menschen Sohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch wehe dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird! Es wäre ihm besser, daß er nie geboren wäre.

Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Binich's, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es.

MARKUS 14, 17-21: Am Abend aber kam er mit den Zwölfen.

Und als sie zu Tische saßen und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isset, wird mich verraten.

Und sie wurden traurig und sagten zu ihm, einer nach dem andern: Bin ich's? und der andere: Bin ich's?

Er antwortete und sprach zu ihnen: Einer aus den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht.

Zwar des Menschen Sohn gehet dahin, wie von ihm geschrieben steht; wehe aber dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird! Es wäre demselben Menschen besser, daß er nie geboren wäre.

LUKAS 22, 14-23: Und da die Stunde kam, setzte er sich nieder und die zwölf Apostel mit ihm. Und er sprach zu ihnen: Mich hat herzlich verlangt, dies Opferlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide. Denn ich sage euch, daß ich hinfort nicht mehr davon essen werde, bis daß es erfüllet werde im Reiche Gottes.

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