صور الصفحة
PDF
النشر الإلكتروني

Abhandlung

über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften.

Mit dem von der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin auf das Jahr 1763 ausgesetzten Preise

gekrönt.

1

T

Einleitung.

Man macht der Weltweisheit gemeiniglich den Vorwurf, daß in ihren Lehren niemals eine sonderliche Ueberzeugung zu hoffen wåre, weil in jedem Jahrhunderte neue Lehrgebäude emporkommen, schimmern und wieder vergehen. Die Gedichte, die Reden, die historischen und kritischen Schriften, die Bildsäulen und übri gen Kunststücke der Alten werden noch in unsern Tagen als Meisterstücke bewundert, und zum Theil noch mit größerm Nugen studiret, als die Natur selbst. Allein die philosophischen Schriften der vorigen Zeiten sind in unsern Tagen fast unbrauchbar geworden. Ihre berühmtesten Lehrgebäude enthalten zwar noch einige Materialien, die mit Nußen angewendet werden können, allein wie man glaubt, lohnen sie die Mühe nicht, daß man ihrenthalben das zerfallene Gemåuer durchsucht, und den Schutt aufgråbt, mit welchem sie bedeckt sind. Man schließet hieraus, daß die Empfindung der Schönheit und Ordnung oder der Ge= schmack, weit beständiger und zuverlässiger sei, als die Vernunft, oder die Ueberzeugung von philosophischen Wahrheiten. Denn hat sich der Geschmack seit dem Homer noch so erhalten, da unterdessen die Vernunft mit jedem Menschenalter ihre Gestalt verändert, so muß jener sicherer und weniger dem Zweifel unterworfen sein, als diese.

Allein die Unbeständigkeit der philosophischen Lehrgebäude scheinet von einer Ursache herzurühren, die der Weltweisheit einestheils zum Vortheil gereichet. Daß wir so schwache Gründe, so wenig Bündiges und Zusammenhängendes in den Systemen der Alten finden, kömmt daher, weil die Vernunft seit der Zeit

merkliche Progressen gemacht, weil wir durch die Bemühungen der Weltweisen der Wahrheit nåher gekommen sind, die ersten Grundsäge der Natür besser einsehen, und deutlicher auseinandersehen gelernet haben. Die Naturlehre der Alten ist heutiges Tages noch weit unbrauchbarer, als ihre Metaphysik, denn die Erkenntniß der Natur hat seit der Zeit einen weit merklichern Fortschritt gehabt, als die Metaphysik. Ueberhaupt, je höher eine Kunst oder Wissenschaft getrieben wird, desto weiter ent= fernet man sich von den ersten schwachen Versuchen, die zu den Zeiten des Erfinders vielleicht mehr Genie erfordert haben, als die spätern Meisterstücke. Man wird mit dem Gegenstande immer vertrauter, die Begriffe klåren sich auf, man erlanget tiefere Einsicht mit weniger Mühe, man siehet mit ganz andern Augen.

Hingegen ist man in den schönen Wissenschaften und Kúnsten noch immer da, wo man zu den Zeiten der alten Griechen gewesen, und vielleicht hat man seitdem noch einige Schritte zurück gethan. Eine glückliche Nachahmung der Alten ist die höchste Vollkommenheit, nach welcher unsere Virtuosen ringen, und die glücklichste Nachahmung ist doch allezeit dem Muster nachzusehen. Nach dem Urtheile der Kenner hat noch kein Heldendichter den Homer, kein Redner den Demosthenes und kein Bildhauer den Phidias völlig erreicht. Da wir also keine bessere Originalwerke haben, was Wunder, daß wir die Werke der Alten noch immer mit denselben Augen ansehen, mit welchen sie von ihren Zeitgenossen betrachtet wurden? In den dunkeln Zeiten war Aristoteles den Weltweisen noch weit mehr, als Homer den Dichtern ist. Seine Aussprüche wurden so lange für untrüglich gehalten, bis daß Cartes und Leibnis kamen, und es ihm an Gründlichkeit und Deutlichkeit zuvor thaten. Wenn die Neuern Heldengedichte hervorbringen werden, welche die Ilias so sehr an Schönheit übertreffen, als die Metaphysik des Cartes oder Leibniß die aristotelische an Gründlichkeit und Deutlichkeit übertrifft: so wird die Ilias vielleicht so unbrauchbar scheinen, als die Philosophie des Aristoteles.

Mit der Mathematik hingegen hat es eine ganz eigene Beschaffenheit. Ob man gleich in derselben größere Progressen ge= macht, als in irgend einer Wissenschaft, so haben deswegen die Werke der Alten noch nicht ganz ihren Nußen verloren. Diefen Vorzug hat die Mathématik ihrer Untrüglichkeit zu verdan

ken. Ihre Evidenz ist so groß, daß man sich selten hat von der Wahrheit entfernen können. Man hat weniger gewußt, aber was man wußte, waren doch unleugbare Wahrheiten. Die Ent= deckungen der Neuern haben die Grenzen der Wissenschaft unendlich erweitert; allein den kleinen Bezirk, den sie vorgefunden, ließen sie unverändert. Seine innere Verfassung war so gut, daß es unnöthig war, die geringste Reform vorzunehmen.

Man hat es in unserm Jahrhunderte versucht, die Anfangsgründe der Metaphysik durch untrügliche Beweise auf einen eben so unveränderlichen Fuß zu sehen, als die Anfangsgründe der Mathematik, und man weiß, wie groß die Hofnung war, die man anfangs von dieser Bemühung schöpfte; allein der Erfolg hat gezeigt, wie schwer dieses ins Werk zu richten sei. Selbst Diejenigen, welche die metaphysischen Begriffe für überzeugend und unwiderlegbar halten, müssen doch endlich gestehen, daß man ihnen noch bisher die Evidenz der mathematischen Beweise nicht gegeben hat, sonst hätten sie unmöglich einen so vielfältigen Widerspruch finden können. Die Anfangsgründe der Mathematik überzeugen einen Jeden, der Menschenverstand hat, und es nur nicht an aller Aufmerksamkeit fehlen läßt. Man weiß aber, daß viele scharfsinnige Köpfe, die von ihren Fähigkeiten hinlängliche Proben abgelegt haben, gleichwol die Anfangsgründe der Metaphysik verwerfen, und keiner andern Wissenschaft als der Ma= thematik die Möglichkeit einer völligen Ueberzeugung zutrauen. Diese Gedanken scheinen eine erlauchte Akademie zu der Aufgabe veranlasset zu haben: Ob die metaphysischen Wahrheiten überhaupt einer solchen Evidenz fähig sind, als die mathematischen u. s. w.

Zur Evidenz einer Wahrheit gehöret, außer der Gewißheit, auch noch die Faßlichkeit oder die Eigenschaft, daß ein Jeder, der den Beweis nur einmal begriffen, sogleich von der Wahrheit völlig überzeugt, und so beruhiget sein muß, daß er nicht die geringste Widerseßlichkeit bei sich verspåret, dieselbe anzunehmen. Die Anfangsgründe der Fluxionalrechnung sind eben so unleugbar, als die geometrischen Wahrheiten, aber so einleuchtend, so faßlich sind sie nicht; daher kann man ihnen die Evidenz der geometrischen Wahrheiten nicht zuschreiben. Man siehet hieraus, daß die Aufgabe der Akademie auch im Bejahungsfalle zwo besondere Abtheilungen habe. Man hat nåmlich zu zeigen: 1) ob die metaphysischen Wahrheiten so unumstößlich dargethan werden

« السابقةمتابعة »