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kann das Gefühl der Billigkeit gegen Andre fich unmöglich bet euch entwickeln. Denn was ist es, urtheilet selbst, das euch unempfindlich und hart gegen Andre macht, das euch verleitet, eure Rechte über sie zu mißbrauchen, und sie ohne Schonung und Nachsicht zu behandeln? Seyde ihr ehrgeißig, feyd ihr neidisch, seyd ihr argwöhnisch und bitter: so werdet ihr Andre richten und verdammen, werdet parthenische Urtheile über sie fållen, werdet gar nicht im Stande seyn, sie im rech ten Lichte zu betrachten. Seyd ihr zum Zorn, Zür Rachsucht, zur Grausamkeit geneigt: so werdet ihr euch weigern, Undern zu vergeben, werDet weder Entschuldigungen noch Bitten hören, werdet sie mißhandeln, sobald ihr die Macht dazu erhaltet. Seyd ihr eigennüßig, send ihr habfüchtig und geißig, send ihr lediglich auf euren Vortheil bedacht: so werdet ihr euch weigern zu geben, so wird euch die größte Noth eurer Bruder nicht rühren, so werdet ihr euch durch ihren Jammer sogar zu bereichern im Stande seyn. Seyd ihr träge und bequem, scheuet ihr alle Arbeit und Mühe, ist Vergnügen und Wollust das Ziel aller eurer Wünsche: so werdet ihr euch weigern, Andern auch in den billigsten Dingen gefällig zu werden; ihr werdet dagegen ihnen alles zumuthen, was zu eurer Befriedigung dienen kann, werdet eure Rechte gegen sie ausdehnen, so weit ihr könnet. Ob ein herrschender Fehler in euch ist, ob ihr irgend einer mächtigen Leidenschaft unterlieget, das erforschet also, darüber gebet euch Auskunft. Diefen Fehler abzulegen, diese Leidenschaft auszurotten, das muß euer ernstliches Bestreben seyn, wenn das Gefühl der Bil

ligkeit in euch erwachen soll; je freyer ihr von jeder unordentlichen Begierde werdet, desto mehr werden sich eure Urtheile über Andre berichtigen, desto menschenfreundlicher werden eure Gesinnun gen gegen sie werden, desto fähiger und williger werdet ihr seyn, ihnen alles widerfahren zu las sen, was die Billigkeit fordern kann.

Nur vergesser es nicht, euch fleiffig an die Stelle derer zu versehen, mit welchen ihr zu thun habt. Ich habe es schon be merkt, was ihr wollet, das euch die Leute thun sollen, das thut ihnen auch, dieß ist bie grosse Regel der Billigkeit. Aber befolgen könnet ihr diese Regel nur dann, wenn ihr euch in Gedanken an den Plak eurer Mitmenschen stellet; wenn ihr euch fraget, wie ihr in ihrer Lage behandelt zu werden wünschet. Ueberlege es nur, Unvorsichtiger, was du fühlen würdest, wenn man dich richtete, wie du Andre richtest? Frage dich nur, Uebermüthiger, wie es dich frånken würde, wenn man dich verdammte, wie du verdammest ? Erwåge es nur, Unversöhnlicher, welchen Schmerz es dir verursachen würde, wenn man dir eben so wenig vergeben würde, als du Andern vergiebst? Laß doch dein eignes Gefühl entscheiden, Grausamer, wie es dir das Herz zerreissen würde, wenn man dir in Noth und Man gel so wenig geben, dich so schnöde zurückweisen, dich so hülflos laffen wollte, als bu gegen Unglück liche zu thun pflegest? Wider unsern Willen erwacht es, und geråth in Thätigkeit, und betraft unsre Härte, das Gefühl der Billigkeit, wenn wir uns an den Plaß unsrer Mitmenschen

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stellen und uns in ihrer Lage betrachten. Und je öfter dieß geschieht, je mehr es Gewohnheit bey uns wird, in unfern geselligen Verhältnissen so zu verfahren: desto zarter wird das Gefühl ber Billigkeit bey uns werden; auch in Kleinig feiten wird es uns schonend und behutsam mas chen; wir werden Andre mit einer Theilnehmung, mit einer Feinheit behandeln lernen, die ihnen auch die leiseste Krankung erspartate

uns

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Endlich, M. Br., lasset uns unsrer eigs nen Fehler und Schwachheiten immer eingedenk bleiben. Das will der Herrnim Evangelio sagen, wenn er ruft: was suchest du einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balken in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Sind wir unparthenisch genug, die Mängel, die Gebrechen, die Fehler zu ertens nen, die wir selbst an uns haben werden wir derselben fleiffig, unter dem Einfluß unsers Gewissens, und vor dem Angesichte Gottes bewußt: so ist es nicht möglich, daß wir Andre richten und verdanımen, daß wir unbillig und hart gegen sie feyn sollten. Nein, dann kann es uns nicht vers borgen bleiben, daß so Manches, was bey Andern ein leichter Splitter ist, bey uns die Schwere eines Balkens hat; daß wir weit grössere Schwachheiten und Fehler an uns haben, als so Mancher, über den wir ein hartes Urtheil fållen wollens daß selbst zu den schweren Vergehungen, zu den groben Verbrechen, der sich Andre schuldig machen, in unserm verderbten Herzen wenigstens die Neigung und Anlage vorhanden ist. Wie schonend werden wir richten, wenn wir fühlen, welche

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Nachsicht wir selbst nöthig haben! Wie willig werden wir vergeben, wenn wir sehen, wie oft wir selbst fehlen. Wie gern werden wir geben, mittheilen und helfen, wenn wir nie vergessen, was unsre eigne Schwachheit bedarf, welchen Beystand wir haben müssen, wenn uns wohl feyn soll. Nur dadurch, M. Br., daß wir einander tragen, einander verzeihen, einander unterftüßen, einander leisten, was Jeder sich selbst wünscht; nur durch ein lebendiges, zartes Ges fühl der Billigkeit verwandeln sich die Fesseln, der Gesellschaft in ein sanftes, wohlthätiges Band; nur so werden die Lasten des Lebens eine leichte Bürde, oder verlieren sich ganz; nur so entwickeln sich die Blüthen unzähliger Freuden in allen Verhältnissen; nur so wird der rauhe Pfad zur Ewigkeit eine fröhliche Bahn, die wir Hand in Hand mit einander vollenden, an deren Ende wir uns mit der Hoffnung trennen, uns in einer bessern Welt einander wieder zu finden. Darum send barmherzig, wie auch euer Water barmherzig ist; Amen.

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XXVIII.

Am VI. Sonntage nach Trinitatis.

Evangelium: Matth. V. v. 20-26.

Es ist ein Hauptzweck der wichtigen Rede, wel

che Jesus, unser Herr, bald nach seinem öffent lichen Hervortreten, vor einer groffen Versamm, lung in Galilåa hielt, und aus der das heutige Evangelium entlehnt ist, M. Z., den Stumpffinn und die Trägheit zu rügen, womit seine Mitbürger an dem Buchstaben des Mosaischen Ge. seßes hiengen, und den Geist desselben vernachlåssigten. Man war zufrieden, und dieß hatte man vornehmlich von den Pharisåern gelernt, wenn man sich das Zeugniß geben konnte, den wortli chen Inhalt der Mosaischen Verordnung beob achtet zu haben. Hatte man keinen Mord, keinen Ehebruch, keinen Meineid begangen; so hielt man die Gebote: du sollst nicht tödten, nicht ehebrechen, nicht falsch schwören, für erfüllt. Daß durch die Vorschrift: du sollt nicht tödten, jeder Angriff auf die Gefund heit und das Leben Andrer untersagt sey; daß das Gebot: du sollst die Ehenicht brechen auch

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