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XXXII.

Am XIV. Sonnt. nach Trinitatis.

Evangelium: Luc. XVII. v. 11–19.

Unter

Enter allen Vorwürfen, die man der menschlis chen Natur machen kann, M. Z., ist keiner so ges gründet, und zugleich so wichtig, als der, daß sie alles, auch das Heiligste, zu mißbrauž chen pflege. Die Sache selbst ist unlåugbar. Es giebt schlechterdings nichts Gutes auf Erdem das nicht auf irgend eine Art übel angewendet würde. Richtet euern Blick auf die Güter und Wohlthaten der Natur; ihr sehet, sie werden von Tausenden leichtsinnig genossen, von Andern schwelgerisch vergeudet, von noch Andern hab. füchtig aufgespart, und Unzählige bedienen sich ihrer, die schändlichsten Absichten. damit zu erreis chen. Daß in unsrer eignen Natur keine Fähig feit liegt, die nicht gemißbraucht würde, ist ohner hin bekannt. Ein Werkzeug wilder Ausschwei fungen ist der Körper mit seinen Kräften bey den meisten Menschen; und was ist gewöhnlicher, als der verkehrte Gebrauch unsrer geistigen Kräfte; als die Anwendung des Verstandes zu Rånken, des Wiges zu Beleidigungen, der Vernunft zur

Beschönigung des Irrthums, des freyen Willens zu pflichtwidrigen, gefährlichen Entschliessungen! Und haben wir selbst etwas Gutes hervorgebracht: wie bald wird es entstellt, und in etwas Schädliches verwandelt! Die wohlthätigsten Erfindungen sind in den Hånden der Menschen Mittel zum Bösen geworden; die heilsamsten Anstalten arten durch die Schuld derer aus, für die sie ge troffen sind, und werden nachtheilige Einrichtun gen; selbst aus den rühmlichsten Eigenschaften, selbst aus den Tugenden Undrer weiß das Laster Vortheile zu ziehen, und sie gleichsam zu vergiften. Welche Verkehrtheit der menschlichen Natur, M. 3.! Welcher traurige, unwiderstehliche Hang zum Verschlimmern! Was soll man von einem Wesen denken, dem es gleichsam unmöglich ist, das Gute gut seyn zu lassen; bey dem auch das Beste seinen Werth verliert, sobald es darüber gebieten kann; von dem selbst das Heiligste entweiht, und zu einem Werkzeug schändlicher Lüfte erniedrigt wird.

Denn so ist es wirklich. Etwas Ehrwür digers und Heiligers giebt es nicht, als die Religion, als die Wahrheiten, Gebote und Uebungen derselben. Aber wo ist die Wahrheit der Religion, die nicht verfälscht, die nicht mit thōrich. ten Einfällen, und mit schädlichen Irrthümern in Verbindung gebracht worden wäre? Wo ist das Gebot der Religion, das man nicht verdreht, das man nicht nach den Wünschen und Leidenschaften des Herzens auszulegen, und anzuwenden gewußt håtte? Wo ist die Uebung der Religion, die nicht bald vernachlässigt, bald übertrieben, bald

mit Zusäßen und Gebräuchen vermischt worden wäre, die ihr alle heilsame Kraft raubten, und ihr wohl gar eine schädliche Beschaffenheit gaben? unübersehbar, das läßt sich nicht läugnen, unüber fehbar ist das Unheil, das die Religion, selbst die wohlthätigste und heiligste, das Christenthum, auf Erden gestiftet hat. Und wahrlich nicht durch ihre Schuld. Es waren die Menschen, welche fie mißbrauchten; welche die deutlichsten Offenba rungen Gottes durch ihre Träume verdunkelten, die heiligsten Gebote den Anmassungen ihrer Lü fte unterwarfen, die heilsamsten Tróftungen in tödtendes Gift verwandelten, und die nüglichsten Anstalten in schädliche Verhältnisse umschufen; es waren die Menschen, die im Namen der Religion einander haßten und verfolgten, zur Ver. theidigung derselben Blutgerüste und Scheiter haufen errichteten, und, von Schwärmerey und wilden Leidenschaften erhizt, schreckliche Kriege führten, und ganze Länder verheerten.

Heute, M. Br., sehe ich mich durch das Evangelium, über welches ich jest sprechen soll, veranlaßt, einen schändlichen Mißbrauch zu rügen, der mit Religion und Frömmigkeit getrieben wor den ist, und noch getrieben wird. Man hat, wer sollte es denken, Religion und Sittlichkeit, Frömmigkeit und Tugend, Verehrung Gottes und wahre Besserung getrennt, einander entgegenge fezt, wohl gar für widersprechend erklärt; man hat sich Mühe gegeben, gut und rechtschaffen ohne Religion zu werden, und die Frömmigkeit für eine Schwachheit angesehen; aber noch weit öf ter hat man sich lediglich einer ausserlichen Ver

ehrung Gottes gewidmet, diesen Dienst für Re ligion gehalten, und aus Frömmigkeit die wichtigs fren Pflichten, und die Besserung des Herzens vernachlässigt. Es ist dieser lektere, höchst gefährs liche Mißbrauch, an welchen das heutige Evangelium erinnert, und ich finde es in mehr als ein ner Hinsicht rachsam, diesen Wink nicht unges nüzt zu lassen. Gott im Geist und in der Wahrs heit anzubeten'; heilig und vollkommen zu werden, wie es der Vater im Himmel ist, dazu sind wir als Christen berufen, M. Br., und Genüge ges schieht diesem groffen Beruf bloß dann, wenn unfre Frömmigkeit tugendhaft, und unsre Tugend fromm ist. Er, der den Ausspruch gethan hat: es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr, in das Himmelreich kommen, fondern die den Willen thun meines Baters im Himmel, laffe uns die Nothwendigkeit einer gründlichen Befferung immer står Fer empfinden, und segne diese Stunde. Wie flehen um seinen Beystand in stiller Andacht.

Evangelium: Luc. XVII. v. 11-19.

•19.

Aus lauter Frömmigkeit, weil sie den Be fehle gehet hin, und zeiget euch den Pries fern, auf das punctlichste erfüllen, und hiemit den Vorschriften des Mosaischen Geseßes Genůge; leisten wollten, vernachlässigten die neun Geheilten in dem vorgelesenen Evangelio die groffe Pflicht der Dankbarkeit, M. 3. Es geschah, fagt der Evangelist, da sie hingiengen, wur den sie rein. Die Genesung dieser Unglück. lichen erfolgte also, sobald sie Jesum verlassen

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hatten. Gleichwohl, kehrte nur ein Einziger zu rück, um sich seinem Retter zu Füssen zu werfen, und Gott die Ehre zu geben. Aber gerade diefer Einzige hatte kein Gebot der auffern From migkeit zu beobachten; ihn gieng der Befehl: zeiget euch den Priestern, nichts an, denn er war ein Samariter. Die Uebrigen waren viel zu begierig, fich als fromme Israeliten zu zeigen, nach Jerufalem zu eilen, und das von Mose vorgeschriebene Reinigungsopfer zu bringen, als daß sie sich so viel Zeit hatten nehmen kön nen, vor allen Dingen dankbar zu seyn, und der Pflicht zu folgen, die sie zu Jefu zurückrief. Wie Jesus eine Frömmigkeit, die zum Nachtheil der Pflicht bewiesen wurde, beurtheilte, ist bekannt. Sind her nicht zehen rein wor den, fragt er im Evangelio, wo sind aber die Neune? Hat sich sonst keiner funden, der wieder umkehre, und gebe Gott die Ehre, denn dieser Fremdling? Wundert euch nicht, daß Jefus feine Unzufriedenheit über dieses Trennen der Frömmigkeit von wahrer Tugend laut zu erkennen giebt; es war ein Hauptfehler seiner Mitbürger, dieses Trennen, und Niemand begünstigte es mehr, als die zahlrei che Parthey der Pharisaer. Doch die mensch liche Natur ist überhaupt so geneigt, die Religion auf diese Art zu mißbrauchen, und die Uebungen derselben den wichtigsten Pflichten vorzuziehen; daß man es nie unterlassen darf, auf diesen Fehler hinzuzeigen, und dawider zu warnen. Ich will dieß heute thun, M. Z., und von der Gewohnheit, aus Frömmigkeit die wichtigsten

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