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XXVII.

Am IV. Sonntage nach Trinit.

Evangelium: Luc. VL. v. 36-42.

Würde das Evangelium Jefu von denen, die

es bekennen, wirklich befolgt, M. Z., so lebten wir in einem Reiche der Liebe; so befånden wir uns im Schoos einer glücklichen, von dem reinsten Wohlwollen beseelten Gemeinschaft. Daß es der groffe Zweck des Evangelii ist, der ganzen Menschheit den Geist der Liebe einzuhauchen, bedarf keines Beweises. Er ist nie wirksamer gewesen, die ser Geist, er hat nie größre Opfer gebracht, als in Jesu selber. Niemand hat großre Lie be, pflegte der Herr zu sagen, denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde. Er hat es, wie ihr alle wiffet, selbst für seine Feinde gelassen. Und was verlangte er von seinen Bekennern? Ein neuGebot gebe ich euch, fagte er zu seinen Aposteln, daß ihr euch unter einander liebet, wie ich euch geliebet habe. Daben wird Jedermann erfen nen, sezt er hinzu, daß ihr meine Jünger send, so ihr liebe unter einander habet. Daß seine Apostel eben so sprachen; daß sie Liebe

predigten, wo sie nur hinkamen; daß sie die Liebe für des Gefeßes Erfüllung, für das Band der Vollkommenheit erklärten; daß fie riefen: so Ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; so Ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich alle Glieder mit; ihr send aber der Leib Christi und Glieder, ein Jeglicher nach seinem Theile: das alles ist bekannt. Håtte ihre Predigt den Eingang gefunden, den sie håtte finden sollen; håtte der Geist, der aus ihnen sprach, fich der Menschheit, sich nur aller derer bemächtigt, die sich zu ihrer Lehre bekennen: so ist es unstreitig, in einem Reiche der Liebe lebten wir; wir genossen einen Frieden, umfaßten uns mit einer Theilnehmung, unterstuzten uns einander mit einer Zärtlichkeit, die uns alle Lasten des Lebens erleichterte, und den Erdkreis in einen Vorhof des Himmels verwandelte.

Aber ach! wir können es uns unmöglich ver bergen, es ist nirgends vorhanden, dieses Reich der Liebe. Statt in dem friedlichen Umkreise desfelben zu leben, befinden wir uns in dem schreck lichen Gebiete der Selbstsucht und des Eigennuhes. Wenn uns auf allen Seiten Menschen umgeben, die nur ihren Vortheil suchen; wenn wir, um nicht überlistet zu werden, mißtrauisch gegen Jeden seyn müssen, den wir nicht genau kennen; wenn wir den Eifer und die Wuth, mit der man sich die Güter des Lebens einander aus den Hånden reißt, unaufhörlich mit Augen sehen; wenn alle Gefeße und Einrichtungen zu schwach find, auch nur die groben Ausbrüche des Casters

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und feindseliger Gesinnungen zu unterdrücken; wenn selbst der Arm der öffentlichen Gerechtig feit nicht immer stark genug ist, uns gegen Be leidigungen und Gewaltthätigkeiten zu schüßen, und uns eine ungestörte Sicherheit zu verschaf fen: follen wir dann glauben, daß wir unter liebenden Brüdern wohnen; werden wir nicht tåglich und schmerzlich daran erinnert, daß nichts weniger, als christliches Wohlwollen auf Erden herrscht; würden wir uns und der Welt nicht herzlich Glück wünschen, wenn nur Billigkeit unter den Menschen anzutreffen wåre, wenn sie ihren Eigennut, ihre Herrschsucht, ihre Fühllofigkeit nur durch ein gewisses Mitleiden, durch eine gewiffe Schonung zu mildern wüßten?

Sie ist die Vorbereitung, sie ist gleichsam der erste Schritt zu einer wahren Liebe, die Billigkeit und Schonung, die ich hier erwähne; und es ist viel, unendlich viel gewonnen, wenn der selbstsüchtige gebieterische Mensch nur so weit gebracht werden kann, daß er sich wenig. stens mässigt; daß er die Ansprüche und Rechte Andrer doch auch etwas gelten läßt; daß er Andre so behandelt, wie er selbst von ihnen be handelt zu werden wünscht. Christen sollte man diese Billigkeit freylich nicht erst einschärfen müssen, fie follten von dem weit höhern, weit edlerem Geist der Liebe beseelt seyn. Aber da er nun einmal unzähligen, die sich Christen nen nen, fehlt, dieser Geist der Liebe; da der anmassende, felbstsüchtige, gewaltsame Geist der Zeit immer herrschender zu werden droht: was bleibt uns, die wir das Evangelium Jesu predi

gen, übrig, als daß wir wenigstens auf Bil Tigkeit dringen, als daß wir die Hårte, wel che die geselligen Verhältnisse so beschwerlich macht, zu mildern suchen, so viel sichs thun läßt? Und Da haben wir denn das Beyspiel unsers Herrn vor uns, M. Br. Auch er fieng damit an, Billig feit zu predigen, da sein fühlloses Zeitalter für Lies be noch keinen Sinn hatte. Das Evangelium, über welches ich jest sprechen soll, ist der Beweis hie von, und ich werde den Inhalt desselben jezt wei ter entwickeln. Du aber, der du das Harte ers weichen, das Wilde bezahmen, das Fühllose bele ben kannst, Geist Gottes und Christi, erwårme uns fre Herzen selbst zu brüderlicher Theilnehmung und Liebe. Darum flehen wir in stiller Andacht.

Evangelium:

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Luc. VI. v. 36-42.

Auf alle die Vorschriften hinaus, M. 3., welche Jesus in dem vorgelefenen Evangelio ertheilet. Dem, der die Macht einer brüderlichen Liebe fühlt, dem darum zu thun ist, alles um sich her zu segnen und zu beglucken, darf man wahrlich nicht erst sagen: richte nicht; verdamme nicht; vergieb, damie bir vergeben werde; solche Fehler zu machen, ist er gar nicht fähig. Noch weit weniger wird er mit stolzer Anmassung über seinen Meister seyn wollen, und ein beßres Schicksal verlangen, als weit edlern und wichtigern Menschen zu Theil geworden ist; oder, mit einem Balken im Auge, Andre über unbedeutende Splitter zur Rede sehen. Menschen, die von groben Beleidigungen Undrer zurück gehalten werden follen, die man erst zu einem Gefühl der Menschlichkeit bringen

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will, denen man begreiflich machen muß, daß es eben so schändlich als thōricht ist, sich hart und ungerecht gegen Andre zu beweisen, solche Menschen bedürfen der Ermahnungen, die unser Evans gelium enthält; wer sich noch in der Vorschule der wahren Liebe befindet, wer erst Billigkeit lernen muß, der mag diese Vorschriften zu Her: zen, nehmen und befolgen. Aber eben dieser Ab zweckung wegen verdienen sie eine besondere Auf merksamkeit, diese Vorschriften; so lange wir nicht einmal sie zu erfüllen wissen, ist es gar nicht möglich, daß wir die Liebe beweisen könn ten, welche das Hauptgebot des Evangelii, und das sicherste Merkmal wahrer Christen ist. Je mehr wir dagegen in der: Beobachtung dieser Vorschriften geübt sind, jemehr wir mit Billigkeit gegen Andre verfahren lernen: defto mens fchenfreundlicher wird unser Herz werden, desto mehr wird es sich zu einer wahren Liebe erwår men. Dieß will ich jezt beweisen; eine Era munterung, das Gefühl der Billige keit gegen Andre immer lebendiger und zarter zu machen, soll dießmal der Jas halt meiner Predigt seyn. Ihr werdet geneige werden, für diese wichtige Angelegenheit zu fors gen, wenn ich euch zeige, warum und wire dieß geschehen müsse. Beydes, will ich also thun. Ich will die Gründe angeben, wars um wir das Gefühl (der Billigkeit gegen Andre immer lebendiger und zarter machen sollen; und dann eine Anweisung beyfügen, wie dieß gesches hen muß.

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Die Empfindung, es sey vernünftig, es sey der Wille Gottes und Pflicht, Andre nicht immer

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