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Liturgische Gesänge der Brüdergemeine.

sungen wird, hier dagegen die Gemeine selbst es anstimmt. Als Tert für ein Lied der Gemeine würde allerdings die ursprüngliche Formel ihrer Kürze wegen, durch welche sie dem Componisten, der sie nach Gutbefinden unzählige Male wiederholen lassen kann, gerade sehr willkommen ist, keinesweges ganz genügend gewesen sein. Da man jedoch schon seit 1522 an dem Liede:,, Lamm Gottes unschuldig“ von Nikol. Decius eine erweiterte deutsche Bearbeitung hatte, so wurde dieses deutsche Agnus« schon 1526 von Luther in der deutschen Messe" als Abendmahlslied festgestellt, das bald nach der Consecration, während der Austheilung des Sacraments gesungen werden sollte.

Mit dem Dona nobis pacem schließt denn auch in der katholischen Kirche meistentheils die musikalische Messe. 3war folgt in dem Meßtert jederzeit noch die sogenannte "Communio,« ein Psalmvers, entsprechend dem,,Communionpsalm," der im christlichen Alterthum während der Austheilung des Sacraments gesungen wurde, wie ja auch in der evangelischen Kirche, falls die Zahl der Communicanten größer ist, außer dem,, Lamm Gottes" noch ein oder mehrere Abendmahlslieder gesungen werden. Da aber bei dem gewöhnlichen Meßgottesdienst der fungirende Priester in der Regel auch der einzige Communicant ist, und die Zeit, während welcher er das Sacrament genießt, durch das Dona nobis pacem vollkommen ausgefüllt wird, so pflegt jener Vers nur vom Priester recitirt, und fast nie vom Chor gesungen zu werden.

In die Reihe der liturgischen Gesänge gehören endlich noch außer dem in der evangelischen Kirche der Schlußcollecte vorangehenden Responsorium eine Menge anderer dem Gottesdienst der römischen, griechischen, armenischen 2c. Kirche eigenthümlicher Antiphonien, die jedoch, da fie nur für bestimmte Zeiten und Feste bestimmt sind, passender in einer speciellen Darstellung der kirchlichen Feier dieser Feste erwähnt werden, und was die Antiphonien der anglikanischen Kirche betrifft, so stellen sie sich meistens nur als ein Zwiegespräch zwischen dem Geistlichen und dem Küster oder der Gemeine dar, so daß von „Wechfelgesang" hier eigentlich noch weniger die Rede sein kann, als in der deutsch-evangelischen Kirche, wo, wenn auch der Geistliche meist nur spricht, doch der Chor wenigstens singend respondirt.

Mit größerem Eifer hat dagegen die Brüdergemeine von jeher den liturgischen Wechselgesang gepflegt und in ihren Singstunden" ihn zu einem wohlgeordneten liturgischen Gottesdienst ausgebildet, der in neuerer Zeit auch in den evangelischen Landeskirchen hie und da Nachahmung gefunden hat. Ein Beispiel dieses Wechselgesanges ist bereits in der Seite 313 mitgetheilten Laufliturgie; ein anderes sei die Litaney des Ehechors,“ die also beginnt:

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Alle:

Amen.

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In ähnlicher Weise ist das bekannte Passionslied: „Jesu meines Lebens Leben" als Wechselgesang eingerichtet, 1) und der Eindruck, den diese Gesänge machen, ist troß, ja vielleicht eben wegen ihrer großen Einfachheit ein sehr erhebender.

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Bei den liturgischen Gesängen sind jedoch nicht bloß, wie es bis jezt hier geschehen, die kirchlich gegebenen Terte in Betracht zu ziehen, sondern auch die musikalische Behandlung derselben, und über diese soll der nächstfolgende Abschnitt Auskunft geben.

3. Die Kirchenmusik.

In dem Abschnitt über den Choralgefang der Gemeine ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Ambrosianische Gesangsweise von der Gregorianischen sich hauptsächlich durch ihre sorgfältige Rückficht auf Rhythmus und Metrum auszeichnete, eben darum aber der Gefahr der Verweltlichung in so bedenklicher Weise ausgeseßt war, daß sie schon nach einem Zeitraum von zweihundert Jahren ihrer Ausartung wegen der von Gregor dem Großen unternommenen Reform dringend bedurfte. Je richtiger nun Gregor erkannt hatte, daß der Kirchengesang nur dann vor der Vermischung mit der weltli= chen Musik geschüßt bleiben könnte, wenn man auf die streng rhythmische Betonung, die nothwendig eine gewisse Lebendigkeit und Munterfeit zur Folge hatte, Verzicht leistete, desto natürlicher war es, daß er den Gesang langsam, taktlos, und ohne Berücksichtigung der langen und kurzen Silben gleichmäßig fortschreiten ließ, und um die Melodie in ihrer ursprünglichen Reinheit zu erhalten, streng darauf hielt, daß sie nur einstimmig gesungen würde, und keiner sich eine Aenderung an der kanonischen, feststehenden Gesangsweise (cantus firmus) erlauben dürfe. Zur Bezeichnung der Melodie bediente sich Gregor, statt der erst weit später erfundenen Noten, der sogenannten Neumen, die selbst nach Erfindung unserer Notenschrift, die anfangs nur für weltliche Melodien gebraucht wurde, noch lange Zeit die für den Kirchengesang übliche Tonschrift blieb.

Solche Vorkehrungen, sollte man nun meinen, hätten es für immer unmöglich machen müssen, daß sich neben der Gregorianischen eine andere Gesangsweise in der Kirche einfand. Die feierlich langsam und gleichmäßig fortschreitenden Kirchenmelodien standen im schroffen Gegenfaß zu der munteren Beweglichkeit der weltlichen Lieder; durch die bestimmte Verfügung, daß nur unisono gesungen werden sollte, war,

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Die Gregorianischen Neumen.

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wie es schien, allem ungehörigen Dazwischensingen oder Hinausschreiten über die feststehende Melodie Einhalt gethan, und die Melodie selbst war durch bestimmte Zeichen firirt.

Aber eben diese Neumen führten nur zu bald herbei, was Gregor durch sie hatte verhüten wollen. Wenn uns berichtet wird, daß der kanonische Gesang, wie Gregor ihn einführte, troß seiner großen Einfachheit, eine Kunst war, die selbst der fleißigste und fähigste Schüler kaum in zehn Jahren vollständig erlernen konnte, so sieht das wie eine Uebertreibung aus: wer aber jemals ein altes Manuscript mit solchen. Neumen gesehen hat, wird es sehr glaublich finden. Die im Lesen alter Handschriften nicht Geübten würden schon verzweifeln, wenn sie auf dem bräunlichgelben Pergament die wunderlich krausen Züge der altlateinischen Mönchsschrift mit ihren vielen Abbreviaturen lesen sollten. Nun denke man sich noch dazu über dem lateinischen Text zwischen den Zeilen eine Menge Punkte, Striche, Häkchen, Zirkel und Bogen, und zwar über jeder Silbe nicht bloß eine, sondern häufig mehrere von diesen, oft räthselhaft in einander verschlungenen Figuren, und man wird gern eingestehen, daß es einer nicht geringen Ausdauer bedurfte, um einen so bezeichneten Text auch nur mit einiger Sicherheit richtig fingen zu lernen.

Die natürliche Folge war, daß das Volk nach und nach beim Gesange verstummte, und höchstens am Schluß seine Stimme zu ei nem regellosen und verworrenen Kyrie eleison" erhob. Denn die schlichten Landleute hatten weder Zeit noch Geld genug, sich durch einen zehnjährigen, und bei der Seltenheit tüchtiger Gesanglehrer sehr theuren Gesangunterricht vorzubereiten, und die Orgeln waren bis ins XIII. Jahrhundert viel zu unvollkommen, als daß durch sie der Gesang einer Gemeine hätte geleitet werden können. Dadurch aber ging zugleich ein Haupthülfsmittel, den Gefang in seiner ursprünglichen Reinheit und Einfachheit zu erhalten, verloren. Denn wie zahlreich auch die Varianten im Choralgesange unserer Gemeinen find, im Ganzen erhält sich unleugbar eine einfache Melodie im Munde des Volkes Länger in ihrer ursprünglichen Form, als es, eine gleichfalls traditionelle Fortpflanzung vorausgeseßt, bei künstlerisch gebildeten Sängern der Fall sein würde, die an dem Einfachen nur zu gern künfteln. So ge= schah es auch damals, und schon Leo III. (795-816) mußte Sängern, die von dem kanonischen Unisonogefange abweichen würden, mit ,,Gefängnißstrafe und Landesverweisung" drohen. Diese Strenge aber konnte nicht viel helfen, und es ließ sich leichter drohen, als die verpönten Varianten vermeiden. Die Neumenschrift war sehr verwickelt, und schon durch die Schuld der Abschreiber mußten sich in die Antiphonarien (Singbücher für den Chor) mancherlei Fehler einschleichen. Außerdem aber waren auch die Exemplare zu selten und kostspielig, als daß jede Kirche eines hätte haben können. Als z. B. Amalarius, Diakonus zu Meß, von Ludwig dem Frommen, 827 nach Rom geschickt wurde, um von dort ein zuverlässiges und richtiges Exemplar des Gregorianischen Antiphonarii zu holen, erhielt er zur Antwort, daß man das einzige entbehrliche Exemplar unlängst dem Gesandten Valla gegeben habe. Der Gesang mußte sich also in

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Cantus firmus und Discantus.

den meisten Kirchen, die Kathedralen etwa ausgenommen, traditionell fortpflanzen, und schon dies mannigfache Varianten herbeiführen, die damals, wie zu allen Zeiten, in allerlei Verzierungen bestanden. Denn die, mit einem höheren Grade von Kunstfertigkeit in der Regel verbundene Eitelkeit erzeugte in geübteren und mit einer besseren Stimme begabten Sängern ziemlich natürlich den Wunsch, sich vor Anderen auszuzeichnen, und da bei dem kanonischen Unisonogesange ihre Stimme unbemerkt unter den rauheren Tönen der Uebrigen verklang, so blieb ihnen, um sich hervorzuthun, nichts anderes übrig, als den Engraß des gleichförmigen Cantus firmus zu verlassen, und ihre Stimme zu allerlei Verzierungen der kanonischen Melodie zu erheben; und eben dieser sogenannte Discantus (wie man ihn, insofern er sich von dem feststehenden Cantus absonderte, sehr passend nannte) war einerseits der erste Versuch im Figuralgesang (figurae hießen eben jene Verzierungen der einfachen Melodie), andererseits der erste Schritt zur Ausbildung der Harmonie, indem nunmehr an die Stelle des Unisono ein zweistimmiger Gesang trat.

War nämlich der Discantus ursprünglich auch nur ein glücklicher Einfall der genialen, und muthwillig um den feierlich daherschreitenden Cantus firmus herumhüpfenden Weltlust, so machte doch der ernste Sinn kunstliebender Mönche die neue Erfindung bald zum Gegenstande sorgfältiger Studien, und Hucbald, ein Mönch zu Rheims (um 900) erwarb sich durch sein Werk,über die Intervalle" ein kaum genug zu würdigendes Verdienst. Nicht minder verdienstlich waren die Untersuchungen des Reginus, eines deutschen Mönches (920), über das Wesen und die Verwandtschaft der Akkorde, und den fast gleichzeitigen Odo, Abt zu Clügny, führte sein feines musikalisches Gefühl schon damals auf die Nothwendigkeit, ein Tonftück in einer bestimmten Tonart zu sehen.

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Ueber die Verdienste des Benedictinermönches Guido v. Arezzo um die Musik sind, besonders in neuerer Zeit, die Stimmen sehr ge= theilt. Der Papst Johann XIX. (1022—1033), vormals sein Schüler, nannte ihn ein Wunder der Schöpfung," und der ruhmredige Patriotismus der Italiener hat bis in die neuesten Zeiten ihm und seinen Verdiensten die höchste Bewunderung gezollt, während deutsche Kunstkenner, wie Forkel und Fink, ihm hauptsächlich nur den Ruhm eines ausgezeichneten Gesanglehrers gelaffen haben. Wenn er jedoch auch nur durch eine einfachere und zweckmäßigere Tonschrift (man leitet bekanntlich unsere Notenschrift von ihm ab, obgleich auch diese Erfindung ihm nicht mit vollkommener Gewißheit als ausschließliches Eigenthum zugesprochen werden kann) das ehedem sehr schwierige Singenlernen erleichterte, so war schon dies ein bedeutendes Verdienst. Denn sollten Melodien und Harmonien, welche die Zaubergewalt der Löne auf das menschliche Gemüth ahnen ließen, nicht spurlos verballen, so bedurfte man vor allen Dingen eine zweckmäßigere Tonschrift, als die alten Neumen; und es war ein wesentlicher Fortschritt, als man anfing, die Töne durch Punkte auf und zwischen einer bestimmten Anzahl parallel laufender Querlinien zu bezeichnen. Dadurch wurde es möglich, zugleich mit dem kanonischen Cantus firmus auch den,

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