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VORWORT.

„Prosarium Gallicum" könnte mit gewissem Rechte diese sechste Folge der „Sequentiae Ineditae" betitelt werden. Ich habe nämlich im vorliegenden 39. Bändchen unserer Analecta Hymnica ausschliefslich solche Sequenzen vereinigt, die in den alten Diöcesen und Abteien Frankreichs in Brauch waren und offenbar auch französischen Dichtern ihren Ursprung verdanken, abgesehen vielleicht von der Sequenz Ad caeleste convivium (Nr. 54), die in Anbetracht ihrer nachweisbar ältesten Quelle aus England stammen könnte. Der genannte Titel jedoch enthielte zunächst eine kleine Inkonsequenz. Die bereits publicierten Tausende von Sequenzen liefsen sich aus praktischen Gründen unmöglich nach ihrer Provenienz in einzelnen Bändchen vereinigen und traten daher, nach anderen Gesichtspunkten gruppiert, unter dem allgemeinen Titel „Sequentiae Ineditae" auf. Liefs sich nun zufällig infolge des übergrofsen Materials, welches das liederreiche Frankreich bietet, zugleich mit der sachlichen Gruppierung ein Arrangement nach der Provenienz verbinden, so schien dadurch ein Aufgeben des einmal gewählten Spezialtitels doch zu wenig begründet; auch diese Gallischen Sequenzen sind eine Fortsetzung der „Sequentiae Ineditae", und als deren sechste Folge participieren sie füglich an deren Titel.

Zwei weitere Erwägungen waren vor allem mafsgebend, den schon geplanten Titel „Prosarium Gallicum" fallen zu lassen. Er hätte den Gedanken nahe legen können, als enthalte dieses Bändchen die Sequenzen, d. h. den gesamten Sequenzenschatz des alten Frankreich. So hatte ja auch der 7. Band unserer Analecta unter dem Titel „Prosarium Lemovicense" alle Prosen der ehrwürdigen Abtei St. Martial von Limoges, mochten sie nun ediert oder unediert sein, umschlossen. Der vorliegende Band jedoch enthält nur einen Bruchteil, und zwar einen kleinen, von der Riesensumme jener liturgischen Prosen, die im Mittelalter von Frankreichs Dichtern gesungen und durch Frankreichs Kathedralen und Abteikirchen geklungen

sind. Mehrere Hunderte von diesen sind bereits publiciert und in den Bänden VIII, IX, X, XXXIV und XXXVII zerstreut; weitere Hunderte sind für die noch folgenden Sequenzen-Bände zurückgestellt. Erst wenn am Schlufs unserer Publikationen neben verschiedenen Indices auch ein Verzeichnis der Sequenzen, nach ibrer Provenienz geordnet, vorliegt, wird sich klar herausstellen, wie Frankreich im Reichtum an geistlichen Liedern überhaupt, so auch namentlich in der Sequenzendichtung den ersten Platz einnimmt. Einem kleinen Bruchteile den Titel „Prosarium Gallicum“ zu geben, schien daher unpassend und irreführend.

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Ungleich grösser noch wäre der Irrtum, wollte man die in diesem Bändchen vereinigten französischen Sequenzen als eine Blütenlese aus dem grofsen Liedergarten der alten Kirche Frankreichs ansehen. Die Blüten wären schlecht gelesen. Denn wohl findet sich manch herrliches, lieblich duftendes Blümlein unter den hier gebotenen; aber ein Gutteil ist schlichtes Gewächs, bietet vorwiegend kulturhistorisches Interesse. Aus ihnen die Sequenzendichtung Frankreichs beurteilen wollen, hiefse ein grofses Unrecht begehen. Will man dieselbe in ihrer ganzen Pracht und Schönheit würdigen und verkosten, so mufs man die Sänger Frankreichs im 12. und 13. Jahrhundert vernehmen, mufs vor allem lauschen den herrlichen, einzig dastehenden Sequenzen, welche der grofse Dichter Adam von St. Victor, der christliche Horaz des 12. Jahrhunderts, gesungen, und deren Weisen dann drei Jahrhunderte lang nicht nur in Frankreichs, sondern fast ganz Europas Kathedralen und Kirchen wiederhallten.

Vorliegendes Bändchen hingegen enthält mit seltenen Ausnahmen nur Prosen des 15. und 16. Jahrhunderts. Höher wenigstens gehen die Quellen, welche vorwiegend gedruckte Missalien sind, nicht hinauf. Es ist möglich, dafs ich trotz eifrigen Suchens in einigen Fällen die ältere Quelle nicht entdeckte, oder dafs vielmehr dieselbe verloren ging. Aber auf Grund gewisser Indicien wird im wesentlichen der Satz richtig sein, dafs die hier mitgeteilten Sequenzen bis auf ein oder zwei Dutzend ein Produkt des 15. und 16. Jahrhunderts sind und somit Zeugnis ablegen, wie produktiv die geistliche Muse Frankreichs noch im ausgehenden Mittelalter war. Dies um so mehr, da ich zwei- bis dreihundert französische Sequenzen aus der gleichen Periode für spätere Bände zurückstellen musste.

Recht lehrreich sind in dieser Hinsicht die Missalien von Bayeux. Ein handschriftliches Exemplar, aus dem 13. Jahrhundert stammend, mit Zusätzen des 14. Jahrhunderts, findet

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sich unter den Schätzen der Kapitelsbibliothek zu Bayeux. Es dürfte ein Unicum sein in jeder Hinsicht, denn kein zweites handschriftliches Exemplar, weder aus dieser noch aus einer anderen Periode ist bislang entdeckt worden. Nur verwandt mit ihm ist ein im Jahre 1451 für die Kirche St. Pierre in Caen geschriebenes Missale, das ich in der Collection Mancel im benachbarten Caen vorfand. Jener Codex von Bayeux nun enthält eine einzige Sequenz, die dieser Diöcese spezifisch eigentümlich ist, nämlich jene auf das Fest der hl. Reliquien Dies clausa prodiit (Nr. 291). Auch der Codex Mancel weist diese auf. Das erste gedruckte Missale von Bayeux aber, datiert vom 15. December 1501, jetzt auf der Bibliothèque de l'Arsenal, hat unter seinen vielen Sequenzen bereits 8, die ausschliesslich der Diöcese Bayeux eigen sind. Datieren dieselben aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts? Die Vermutung scheint begründet. Die späteren Mefsbücher von Bayeux aus den Jahren 1504 und 1529 ändern nichts an diesem Sequenzenbestand. Die Ausgabe vom Jahre 1545 aber zeigt eine Bereicherung von nicht weniger als 14 weiteren Sequenzen, welche Localheilige von Bayeux besingen. Alle diese 14 Sequenzen demnach, für die im vorliegenden Bändchen als älteste Quelle das Missale von 1545 verzeichnet steht, dürften in der Zeit von 1529–1545 zu Bayeux gedichtet sein. Kännten wir nur auch schon den Dichter! Vielleicht bringt uns das Akrostichon in der Sequenz auf den hl. Regnobertus „Grataletur urbs insignis" auf die Spur 1).

1) Nach dem Repertorium Hymnologicum Chevaliers müfsten im Missale Baiocense von 1545 noch 2 andere Sequenzen, nämlich auf den hl. Contestus „Ecce dies ter amata" und auf den hl. Manvoeus „Hac die sit laetitia", sich vorfinden; sogar die Seite des Missale wird von Chevalier citiert. Ich war nicht so glücklich, diese beiden Inedita in der bezeichneten Ausgabe zu entdecken, und kann versichern, dafs niemand sie dort entdecken wird; dieselben finden sich überhaupt in keinem Messbuche von Bayeux, es sei denn in der Ausgabe vom Jahre 1521. Eine solche Edition, der ich nirgends begegnete, citiert nämlich Weale in seinem Missalienverzeichnis, ohne den Fundort namhaft machen zu können; dagegen fehlt die Ausgabe von 1529. Liegt nicht eine Verwechslung vor? Dafs die von Weale ebendort citierte Ausgabe vom Jahre 1543 auf einer Verwechslung mit dem Missale Baionense beruht, wird bereits hinreichend bekannt sein nach den ausführlichen Erörterungen Dubarat's. (Le Bréviaire de Lescar de 1541. Paris 1891, p. LXXXVI sqq.) Wenn schliesslich Weale bemerkt, dafs auf der Bibl. Nationale zu Paris sich ein Missale Baiocense vom Jahre „156*“ vorfinde, so ist dagegen zu erinnern, dafs dieses schadhafte, um Titelblatt und Explicit beraubte Exemplar im übrigen völlig identisch ist mit der Ausgabe vom Jahre 1545, die in Rayeux aufbewahrt wird. Die dortige Kapitelsbibliothek hat deren 2 Exemplare, das eine auf Papier (wie das Pariser Exemplar), das andere in vornehmer Ausstattung auf Pergament.

Die Ausgabe schliesslich vom Jahre 1584 ist noch um eine Sequenz auf den hl. Symphorian bereichert; Alter der Quelle und Sequenz sind somit wohl gleich.

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So wahrscheinlich indessen diese Erwägungen klingen, auf Sicherheit haben sie keinen Anspruch. In manchen Missalien Frankreichs nämlich ist der Sequenzenbestand sehr wechselvoll; in einer Ausgabe verschwinden alte Sequenzen, um dann in einer jüngeren wieder aufzutauchen. Einen Beweis bieten unter anderen die Mefsbücher der alten Benediktinerinnen-Abtei von Fontevrault. Vergleicht man die 3 Ausgaben des Missale vom Jahre 1514, 1534 und 1606, so findet man in der jüngsten Ausgabe über 20 Sequenzen, die den älteren Ausgaben fehlen. Sind also diese Sequenzen jüngeren Ursprunges? Die Vermutung läge nabe, wenn nicht schon das Titelblatt jenes Missale von 1606 zur Vorsicht mahnte. Es heifst dort: „Missale ad usum Ordinis Fontisebraldensis, accuratius quam hactenus repositis, quae ex antiqua observatione desiderabantur satagenti Reverendissima et Illustrissima Domina Eleonora de Borbonio, ipsius ordinis Antistita ac Christianissimi Regis Henrici IV. amita, editum Parisiis 1606." Bezieht sich die Notiz über Wiederaufnahme des Althergebrachten nicht auch auf die erwähnten 20 Sequenzen? Der Beweis lässt sich in bejahendem Sinne betreffs mehrerer erbringen aus dem wertvollen handschriftlichen Graduale und Tropar von Fontevrault, das in der Stadtbibliothek von Limoges aufbewahrt ist. Viele Sequenzen, die laut dieser Quelle aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts einst in Fontevrault gesungen wurden, sind im Missale von 1514 und 1534 unterdrückt, haben aber 1606 ihre alten Rechte und Würden zurückerlangt. Wäre das kostbare Graduale verloren gegangen, nur zu leicht wären jene Sequenzen als junge Produkte betrachtet worden.

An dieser Stelle dürfte es angezeigt erscheinen, eine nähere Beschreibung und Inhaltsangabe jenes Codex Lemovicensis 2 (17) zu bieten. Ich kann mich jedoch dieser Aufgabe für enthoben erachten, da sie von Louis Guibert bereits in sorgfältiger Weise gelöst ist in dem Aufsatze: „Le Graduel de la Bibliothèque de Limoges. Notice et Extraits par M. L. Guibert, Correspondant du Ministère de l'Instruction Publique. Rapport . . par M. Paul Meyer, Membre de l'Institut. Paris 1888. Damals freilich hatte der geschätzte Gelehrte die Provenienz jenes Graduale noch nicht festgestellt; er sah richtig seinen Ursprung in einem Benedictinerinnen-Kloster, vermutete aber als

solches Sainte-Croix in der Diöcese Poitiers, während Paul Meyer in seinem Rapport es Saint-Junien in der Diöcese Limoges zuwies. Im Besitz letzterer Kirche war freilich das Graduale einmal gewesen, aber dorthin gewandert aus der Abtei La Couture zu Le Mans, deren Abt Paschalis Hugonotus es im Jahre 1387 an Saint-Junien verschenkte. Dieses bekundet eine handschriftliche Notiz des 14/15. Jahrhunderts auf fol. 1. Wie es scheint, gebührt Ulysse Chevalier das Verdienst, richtig Fontevrault als Ursprungsstätte der wertvollen Handschrift ermittelt zu haben. Auf eine zweite interessante liturgische Handschrift möchte ich hier aufmerksam machen, die ebenfalls Limoges, zwar nicht in der Stadtbibliothek, sondern in seinem Archiv birgt, und welche der Archivist des Departements der Haute-Vienne, Herr Alfred Leroux, in generösester Weise mir zur Verfügung stellte. Sie ist ein liturgisches Receuil des 13. Jahrhunderts und stammt aus dem Priorate Aureil, wie dieses Leroux im Bulletin de la Société Archéologique et Historique du Limousin (tom. XXXIII, p. 115 sqq.) bereits erwiesen hat. Die Ungunst der Zeiten hat dem Codex arg zugesetzt, und speciell vom Sequentiar, welches den Schlufs bildet, sind leider nur einige Blätter erhalten. Alle Inedita hat das Mifsgeschick getroffen, dafs irgend etwas an ihrer Vollständigkeit mangelt. Von einer Marien-Sequenz ist so wenig erhalten geblieben, dafs ich das Bruchstück dem Corpus dieses Bändchens nicht einzugliedern wagte. Es lautet:

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Mit dem Worte „litat" endet fol. 55b, worauf mindestens 2 Blätter fehlen. Das Bruchstück selbst würde ich eher für ein Reimgebet oder eine Cantio halten, stände es nicht mitten im Sequentiar und speciell unter einer Reihe von Mariensequenzen, die auf fol. 56 ihre Fortsetzung findet.

Eine weitere Illustration zum Kommen und Wandern der Sequenzen im Mefsbuche einer und derselben Kirche bietet das

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