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Es kann nicht anders sein. Jeder Baum des Waldes zeigt ein
Doppelleben und Doppelstreben. Er schlägt seine Wurzeln in den
Mutterboden und sucht dort Halt und Nahrung; er steigt aber auch mit
der Krone in die Breite und Höhe und sucht Fühlung und Gemeinschaft
mit seinesgleichen. Die Freude am Walde ist eine Freude an jedem
einzelnen schönen Baume, aber auch an dem schönen Zusammenschluß
aller Bäume zu einer harmonischen Einheit.

Jede neue Einzelvorstellung ftüßt sich auf bereits vorhandene,
verbindet sich mit ihnen, festigt und vertieft sich dadurch; sie hat aber
auch das Bestreben nach Ausdehnung und Vermehrung durch Ver-
bindung mit verwandten Vorstellungen, die an ihre Peripherie grenzen
und mit denen sie zu einem Vorstellungsgewebe zusammenschießen
möchte.

Jede Einzeldichtung gleicht darin der Einzelvorstellung; sie hat
eine Existenz für sich, kann und soll aber auch eine bestimmte Masche
im gesamten Vorstellungsgewebe ausfüllen. Erst im Zusammenhang
und in der Begründung rückt der einzelne Bildungsbesig in das rechte
Licht, gewinnt die rechte Lebenswärme und wächst als organischer Be-
standteil fest in unser Wesen ein.

Sich des Zusammenhangs und der verbindenden geistigen Fäden
zwischen den einzelnen Besißstücken bewußt sein, „aus einer Scienz in
die andere schauen“, das ist mehr als bloß etwas wissen. Und in
dem Bestreben nach solcher Art des Besizes muß jeder Unterricht be=
sonders auf der Oberstufe gipfeln.

Für die unterrichtliche Behandlung der poetischen Stoffe auf dieser
Stufe bleiben die im Vorwort der drei ersten Bände niedergelegten
Grundsätze maßgebend. Doch entsprechend der höheren Stufe, für
welche die lezten Bände bestimmt sind, füge ich, unter enger Anlehnung
an den „Didaktischen Katechismus" von Direktor Dr. D. Frick
in Heft I und II der vortrefflichen periodischen Zeitschrift „Lehrproben
und Lehrgänge aus der Praxis der Gymnasien und Realschulen“ von
Dr. D. Frick und Dr. G. Richter (Halle a. d. S., Buchhandlung
des Waisenhauses), noch folgendes hinzu:

I. Auf der Stufe der Vorbereitung wird die „Erregung einer
fruchtbaren Erwartung" dadurch zu erreichen sein, daß der Schüler
eine innere Beziehung zu den ausgewählten Dichtungen erkennt und
eine Hinneigung zu denselben fühlt, daß er die vom Dichter verarbeiteten
Rohstoffe aus seinem Lern- und Erfahrungskreise, die Zeit, Gelegen-
heit und Art der Entstehung der Dichtung kennen und einen Blick
in die Werkstätte des Dichters und in das Geheimnis der dichterischen
Komposition werfen lernt.

2. wenn uns die handelnden Personen oder personifizierten Be-

griffe als Träger der Gedanken verständlich und lieb gemacht werden.

Auf der höheren Stufe der Gedichtsbetrachtung wird vor allem auch

die Persönlichkeit des Dichters in den Vordergrund rücken.

Dichtung ist ein Lichtstrahl, der in der lebendigen Dichterpersönlichkeit

seinen Ausgangs- und Brennpunkt hat und in deren Leben und Ent-

wicklung oft die beste Erklärung findet. Ein Sein wird am besten

durch sein historisches Werden erklärt. Im historischen Werden sehen

wir das Werden der Wahrheit";

3. wenn fortschreitend die Glieder der Handlung sich zu einer

Kette, die Gedanken zu Reihen an einander schließen, die Gedanken-

unterlage aufgedeckt, das jedesmalige Charakteristische hervor-

gehoben, der tiefer hinter den Erscheinungen liegende Ideengehalt

sichtbar gemacht wird";

4. wenn die Schönheiten und Eigentümlichkeiten in der

Form als passendes Sprachkleid der Gedanken und als innerlich_be-
dingter Faltenwurf derselben nachgewiesen werden.

IV. Die Verwertung (Anwendung, Übung oder Art der Stoff-

verwendung) fordert:

1. Nuzanwendungen für Herz und Leben. Der Unterricht

hat alles herauszuheben, was das Naturgefühl läutern, Liebe und

Bewunderung für große Vorbilder entfachen, das Gemeinschafts-

leben veredeln, den Willen heiligen und das Herz beglücken kann.

Besonders geeignet sind für diesen Zweck die sogenannten „Sentenzen

und schönen Stellen".

2. Vergleichende Blicke auf Verwandtes und Bekanntes.

Das durchgearbeitete Material wird von einem erhöhten Stand-

punkte überblickt, nach bestimmten Leitgedanken zu Reihen oder Gruppen
verknüpft, nach dem Gesetz der Ähnlichkeit oder des Gegensatzes zu-
sammengestellt oder zu Vorstellungsgeweben verflochten.

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Durch das Morgenthor des Schönen führt der Weg der Wahr-
heit und Liebe zu dem stillen Glück reiner Freuden. Möchte es
unserer bescheidenen Arbeit gelingen, den Schönheits-, Wahrheits-
und Güte-, also Ewigkeits-Gehalt in den Meisterwerken unserer
Poesie flüssig machen und dadurch ein kleines Scherflein zu der ästhe-
tischen Erziehung unseres Geschlechtes beitragen zu helfen!

Fried. Polack.

Erste Abteilung.

Epische Dichtungen.

Epische Dichtungen. 3. Aufl.

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