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Urkunden, die uns von dem seelischen Geschehen berichten. Wie der Geschichtsforscher seine objektive Darstellung an Urkunden und Überreste der Kultur anschließt, so müssen wir in der empirischen Pädagogik unsere Forschungen an Urkunden dieser Art anschließen. Der bekannte Geschichtsprofessor Lamprecht in Leipzig hat im Kolleg wiederholt gesagt, daß Sinn und Verständnis für Geschichte beim Menschen erst kommen, wenn er Urkunden durchstöbert und durchforschen kann. Ein Student, der seine Lehrbücher für Geschichte auswendig lernt, hat kaum eine Ahnung von Geschichte. So liegt die Sache auch bei uns. Das pädagogische und psychologische Verständnis geht uns erst auf, wenn wir in den Urkunden des kindlichen Geistes zu forschen verstehen. Neben der Sammlung der Arbeiten ist natürlich sofort die Durchforschung die nächste Aufgabe. Zu den nötigen Gesichtspunkten der psychologischen Durchforschung, Bearbeitung und Gruppierung des Materials drängen die Urkunden durch ihre Beschaffenheit. Allgemeine Gesichtspunkte bieten das Alter, das Geschlecht, die Intelligenz, die Vollkommenheit der Technik, die Klarheit des Ausdrucks, die Phantasie, die Anlehnung an Vorbilder, die soziale Herkunft des Kindes usw.

In welcher Weise sich der Kreis in die Arbeit teilt, wie er Propaganda macht für seine Ideen, welche Selbstkritik er übt -- und die ist sehr nötig welche Anregungen er gibt, wie er Arbeitsabende mit Vortragsabenden wechselt, wie er Versuchsklassen erstrebt, den gegenseitigen Besuch der Klassen ermöglicht usw., das muß dem Arbeitskreise überlassen bleiben, und das kommt wohl unmittelbar mit seiner Konstituierung.

Grundsatz wird vor allem der sein müssen, daß jede Kinderleistung, soweit sie echt ist, echt bleibt und volle und ganze Würdigung erfährt. Es hätte keinen Sinn nach ästhetisch oder teschnisch vollendeten Kinderleistungen allein zu fahnden oder sie dahingehend zu verbessern; denn das würde uns das Bild der kindlichen Leistung entstellen. Die Kommission soll eben nicht bloß aufzeigen, was die Jugend kann, sondern auch was sie nicht kann. Die Sammlungen dürften nicht Ausstellungscharakter tragen, wo man nur das Beste zeigt, sondern psychologischen, wobei das Schwache neben dem Vollendeten seinen Platz behauptet.

Welchen Gewinn nun dürften wir uns von solchen Unternehmungen erwarten? Offenbar würden wir damit der empirischen Pädagogik dienen und eine bodenständige Pädagogik schaffen helfen,

die sich auf das Kind bezieht. Sodann würden die Bemühungen wohl nicht verfehlen, mehr und mehr dem Prinzip der Selbsttätigkeit und der Betätigung in der Schule zu seinem Rechte zu verhelfen und alle Unterrichtsgebiete in didaktischer Hinsicht günstig beeinflussen. In dritter Linie würden wir vor allem den großen Abstand zwischen uns und den Kindern verringern. Als bloße Stoffpädagogen haben wir keine Fühlung mit dem wahren Streben der Kindesseele. Wir haben keinen Kontakt mit dem Kinde. Dieser wird kommen, wenn wir Urkunden ohne Vorurteil und ohne Richtermiene rein psychologisch studieren. Wir lernen dann auch mehr, was Individualitäten sind. Und endlich bekommen wir einen Maßstab dafür, welche Dinge geeignet sind, das Kind an einen Lehrprozeß und Bildungsgang zu knüpfen. Wir erfahren, wo kinder tümliche Stoffe sind, wo Klarheit und Interesse liegen, aber auch wo Dunkelheit und Unzulänglichkeit im kindlichen Kopfe herrscht. Ungerechten Lehrplananforderungen könnten wir auch mit psychologischem Beweismaterial gegenüber treten. Bei diesen praktischen Ausblicken glaube ich, daß es der Mühe wert wäre, in eine Gemeinschaft zu pädagogischer Forschung zusammenzutreten.

Die innere Welt des Unbewußten und ihre Bedeutung für unser geistiges Sein und Werden in empirischpsychischer und physiologischer Beleuchtung.

Von A. Jung in Wiesbaden.

Wie sich ein jeder durch innere Selbstbeobachtung leicht überzeugen kann, ist es eine Erfahrungstatsache, daß unser Bewußtsein nicht imstande ist, eine größere Zahl von psychischen Erscheinungen auf einmal zu umfassen. Schon im psychologischen Blickfelde vermag immer nur ein eng begrenzter Kreis von Vorstellungen sich gleichzeitig zu behaupten. In den Blickpunkt des Bewußtseins aber, diesen eigentlichen Brennpunkt der Seele, wird man bei genauer psychischer Selbstkontrolle in der Regel immer nur eine einzige, jeweilig besonders bevorzugle Empfindung oder Vorstellung einrücken sehen. Der besonders in der Herbartschen Schule viel gebrauchte Ausdruck von einer gewissen Enge des Bewußtseins ist also keineswegs nur eine grau-theoretische Behauptung; er bezeichnet eine empirische Tatsache.

Ist es demnach nun immer nur einem außerordentlich geringen Bruchteil von der schier unausdenkbaren Fülle dessen, was die Menschenseele von der Wiege bis zum Grabe an Empfindungen und Anschauungen, an Vorstellungen, Gefühlen und Willensstrebungen in sich erlebt und verarbeitet, vergönnt, unter besonders günstigen Umständen im Lichte des Bewußtseins für kurze Zeit sich gleichsam zu sonnen, so drängt sich

unwillkürlich hier die Frage auf: Wo bleibt all das Übrige und was wird aus ihm?

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Um Antwort auf diese Frage ist man im allgemeinen nicht verlegen. Rasch heißt es, daß alles, was durch neu auftauchende Vorstellungsgruppen aus dem Lichte des Bewußtseins verdrängt wird, einfach in die Nacht des Unbewußtseins" versinkt und unbewußt bleibt, bis es die Seele nach den ihr eigenen Reproduktionsgesetzen bei günstiger Gelegenheit aufs neue wieder aufleben läßt.

Doch was will diese schöne Redewendung besagen? Die,,Nacht des Unbewußtseins"? was ist darunter zu denken ? Bedeutet sie ein psychologisches Nirwana, ein Auslöschen der psychologischen Existenz für alles, was in ihre Grenzen kommt? Stellt der Begriff eine bloße Negation auf psychologischem Gebiete dar, genau so, wie etwa der Begriff des Schwarzen auf dem Gebiete der Farben, oder handelt es sich hier um eine unter der sogenannten Bewußtseinsschwelle im positiven Sinne wirklich existierende innere Welt, um ein Fortbestehen alles dessen, was an geistigem Inhalte einmal von uns erworben wurde, ja vielleicht sogar um ein fortwährendes unbewußtes psychisches Entstehen und Werden, um einen ununterbrochenen geistigen Entwicklungsprozeß, der uns in seinem Verlaufe gar nicht zum Bewußtsein kommt, wohl aber in seinen oft so rätselhaften fertigen Resultaten?

Das sind Fragen, die sich alsbald einem tieferen Nachdenken zur eingehenden Erörterung aufdrängen und zwar um so mehr, als es sich hierbei keineswegs nur um eine gewisse grau-theoretische Befriedigung des rein spekulativen Interesses handeln muß, sondern sehr wohl möglich ist, an der Hand dieser Fragen gerade auf empirischem Wege in das geheimnisvolle Dunkel unseres psychischen Seins tiefer einzudringen und so auch für die pädagogische Praxis mancherlei psychologische Aufschlüsse und Fingerzeige zu gewinnen.

Unsere erste Frage lautet: Gibt es im Menschen eine unbewußte innere Welt, die nicht als bloße psychische Negation, sondern als ein bleibendes positives Sein zu denken ist?

Ganz naturgemäß hängt die verschiedenartige Beantwortung dieser Frage innerhalb der verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen mit der jeweiligen Auffassung von der Natur unseres geistigen Innenlebens überhaupt zusammen.

Der Materialismus antwortet zunächst mit einem entschiedenen: Nein! Ausgehend von der durch zahlreiche experimentelle Versuche erhärteten Erfahrungstatsache, daß gewisse bestimmte Bewußtseinserscheinungen regelmäßig mit den Funktionen ganz bestimmter Gehirnteile zeitlich zusammenfallen, daß selbst die allerhöchsten Bewußtseinstätigkeiten ihre entsprechenden Gehirnfunktionen haben, ja daß der Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen sogar ein derartiger ist, daß es dem physiologischen Experimente durch operative Eingriffe bei Tieren in Hunderten von Fällen möglich war, ganz bestimmte geistige Fähigkeiten mit ihrer gesamten psychologischen Vergangenheit einfach auszulöschen, wenigstens in ihren Äußerungen lahmzulegen, schreitet er rasch und kühn zu der radikalen Behauptung fort, daß von einer in sich existierenden

inneren geistigen Welt im wesenhaften Gegensatz zu der Welt des Körperlichen überhaupt keine Rede sein könne, und zwar weder im bewußten, noch im unbewußten Zustande; das Psychische sei eben nichts anderes als eine bloße Funktion oder Erscheinungsform des Physischen; es entstehe, werde und zerfalle mit ihm wie der Regenbogen mit der vom Sonnenlichte durchdrungenen regnenden Wolke. So sagt beispielsweise der Darmstädter Freidenker K. Büchner in ,,Kraft und Stoff", daß von dem großen Cäsar mit all seinen glänzenden Geistesgaben und all seinem Wissen ganz gewiß nichts anderes geblieben sein könne als etwa ein Klumpen Lehm, der nun vielleicht in der baufälligen Hütte irgendeines zerlumpten Lazzaroni ein Zugloch ausfülle, und dem Materialisten K. Vogt schwebt das ganze Problem so lächerlich einfach und durchsichtig vor Augen, daß er sich in seinen ,,Physiologischen Briefen" den Satz leistet, auf dieselbe Weise, wie Zusammenziehung die Funktion der Muskeln sei, ja wie die Nieren den Urin aussonderten, so erzeuge das Gehirn Gedanken, Bewegungen und Gefühle.

Gegen diese materialistische Auffassung werden gar mancherlei Bedenken geltend gemacht, vor allem gewöhnlich die Erfahrungstatsache, daß doch zeitlich weit zurückliegende Vorstellungen, sogar solche aus den frühen Kindertagen, noch im Greisenalter mit ihren charakteristischen Eigentümlichkeiten wieder auftauchen und das Paradies der Jugend über Jahrzehnte hinweg für kurze Zeit in der Erinnerung wieder hervorzaubern können, also zu einer Zeit, da der einem beständigen Stoffwechsel unterworfene menschliche Körper mit all seinen Nerven und Nervenzentren längst nicht mehr derselbe ist, sondern eine mehrmalige gänzliche Neubildung hinter sich hat, so daß von all denjenigen Gehirnsubstanzen, die einst jene Bewußtseinserscheinungen als ihre Funktionen erzeugt und getragen haben sollen, längst keine Rede mehr sein kann.

Scheint das nicht allein schon, wie mancher siegesgewiß behauptet, zur Annahme einer im Menschen wirklich existierenden unbewußten inneren Welt, die über allen Stoffwechsel hinaus die einmal erzeugten geistigen Produkte getreulich festhält, geradezu zu zwingen?

Doch es scheint nur so; der Materialist braucht durch diesen Einwurf gar nicht einmal in Verlegenheit zu geraten. Er könnte sich sehr wohl mit der Erklärung helfen, daß mit der fortwährenden substantiellen Umbildung der Gehirnmasse ja doch keineswegs auch eine beliebige Veränderung dieses ,,Denkorganes" an sich gegeben sei; die sich neu ansammelnden Stoffe fänden vielmehr sowohl hinsichtlich der Form als auch der Natur ihrer Zusammenlagerung in den früher geschaffenen Zuständen ihre unerbittliche Direktive. Deshalb müßten aber auch ihre psychischen Funktionen genau den früheren wieder entsprechen, ganz so, wie ja beispielsweise auch eine Blume, trotzdem sie sich in jedem Jahre aus gänzlich neuen Bestandteilen auferbaue, doch immer wieder dieselben Formen und Farben, denselben Duft, dieselben Funktionen erkennen lasse. Wolle man darum von einem in jedem denkenden Wesen existierenden Unbewußten überhaupt reden, so könne das doch nur im rein physiologischen Sinne geschehen. Der Begriff bezeichne dann eben nichts anderes, als ein durch frühere Funktionen in bestimmten Gehirn

partien hervorgerufenes Disponiertsein zur immer leichteren Erzeugung gleichartiger psychischer Erscheinungen.

So erscheint dem Materialisten das Gehirn gleichsam als physiologischpsychischer Akkumulator, der in seinen verschiedenen Zonen und Zentren anstatt elektrischer Kräfte Empfindungen und Vorstellungen, Gefühle und Willensstrebungen ansammelt und sie im Zustande des Unbewußtseins, d. h. also der physiologischen Latenz, festhält, bis ein neuer innerer oder äußerer Reiz ihre physiologischen Träger aufs neue in Funktion geraten läßt.

Doch es sprechen gegen diese verblüffend einfache Lösung eines der schwierigsten Probleme eine Anzahl der schwerwiegendsten Bedenken.

Schon der Standpunkt, von dem aus die materialistische Forschung in das Reich der geistigen Vorgänge einzudringen sucht, ist ein bedenklicher. Der Materialist glaubt, dadurch, daß er allein die Materie zum Ausgangspunkte und zur alleinigen Grundlage seiner Untersuchungen macht, den absolut sicheren Boden unmittelbarster Erfahrung unter den Füßen zu haben und somit unter allen Methoden der psychologischen Forschung gerade diejenige zu besitzen, die in ihren Ergebnissen den Vorzug unbedingter empirischer Zuverlässigkeit für sich hat. Nur was er sehen und hören und greifen, mit Instrumenten zerlegen und zusammensetzen kann, gilt ihm als gesicherte, unmittelbare Erfahrungstatsache; alles andere ist ihm spekulatives Hirngespinst. So hat K. Büchner keinen Gott, weil noch kein Riesenfernrohr ihn irgendwo im weiten Himmelsraum gefunden, und keine unsterbliche Seele, weil die Pinzette des Arztes trotz sorgfältigster Zerlegung des menschlichen Körpers bis in seine feinsten Teilchen noch nie auf etwas Derartiges gestoßen sei (,,Kraft und Stoff“). Allein der Materialist bedenkt nicht, daß es da, wo es sich um psychologische Untersuchungen handelt, mit dem erfahrungsmäßig Gegebenen doch seine eigene merkwürdige Bewandtnis hat. Erfahrungsmäßig ist uns im letzten Grunde nur das gegeben, was für unser Bewußtsein unmittelbar existiert; denn nur hier allein sind wir eines wirklichen Erfahrens, d. h. eines Innewerdens fähig. In das Reich des Bewußtseins dringt aber nichts Materielles ein. Nur auf Grund von Sinnesempfindungen, also in letzter Instanz wieder von Bewußtseinszuständen, erhalten wir überhaupt Kunde von ihm. Die Wahrnehmung eines Baumes z. B. haben wir nur dadurch, daß sich in unserem Bewußtsein eine Anzahl von Gesichts- und Bewegungs-, vielleicht auch Tastempfindungen zur psy chischen Einheit zusammenschließen. Mehr als diese Bewußtseinszustände ist uns erfahrungsmäßig nicht gegeben. Er selber entzieht sich durchaus unserem unmittelbaren Erkennen; er existiert für uns nur insoweit und in der Weise, wie unsere Empfindungen ihn uns vorkonstruieren. In ganz demselben Verhältnis aber stehen wir der ganzen Welt der Materie gegenüber, so daß der Materialist, der nur von diesem Standpunkte aus in die Welt der psychischen Erscheinungen einzudringen sucht, geradezu außerhalb des Schauplatzes unserer unmittelbaren Erfahrung und damit des eigentlichen zentralen Gebietes der psychologischen Forschung steht und von dorther durch die gefärbte Brille der Einseitigkeit wie aus einem fremden Lande in das Reich des Geistes herüberschaut.

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