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Vierter Abschnitt.

Müssen wir nun nach der bisher angestellten Unters suchung über die Authentie und die Glaubwürdigkeit der Evangelisten annehmen, daß Jesus wirklich so von sich, seinen geistigen Vorzügen, der großen Wichtigkeit seines Werks, seiner hohen Würde und seinen außerordentlichen Verdiensten um das Menschengeschlecht gesprochen habe, wie die Evangelisten erzählen: so folgt daraus

entweder, daß er als bloßer Mensch betrachtet sehr tief stand,

oder, wenn wir das nicht annehmen können, daß er mehr war als ein bloßer Mensch.

Von dem Erften will ich in diesem Abschnitte und von dem zweiten im fünften Abschnitte reden.

Betrachten wir nach diesen Reden Jesu von sich ihn als einen bloßen Menschen;

I. so müßten wir ihn entweder eines anmaßenden Stolzes,

II. oder einer phantastischen Schwärmerei, III. oder einer trügerischen Unredlichkeit beschuldigen.

Also I. eines anmaßenden Stolzes.

Wenn irgend jemand heutiges Tages, der in dem Rufe ausgezeichneter Gelehrsamkeit und Weisheit ist, die Sprache führen wollte: "Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolget, der wird nicht wandeln in der Fins sterniß; ich bin das Brod des Lebens, wer davon effen wird, der wird leben in Ewigkeit; ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zu Gott, denn durch mich;" würde man nicht bei aller Achtung für seis ne Gelehrsamkeit das Urtheil über ihn fållen, er sei ein eingebildeter, von lächerlichem Weisheitsdünkel aufgeblåheter Mann, er liege an einer der gefährlichsten Krankheis

fen des menschlichen Herzens, am Stolze frank? Ober wenn ein öffentlicher Lehrer der Religion seine Zuhörer immer auf sein Beispiel hinweisen, zur Nachahmung deffelben auffordern und etwa die Sprache zu ihnen führen wollte: Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich gethan habe; lernet von mir, denn ich bin fanftmüthig und von Herzen demüthig:" würde man nicht darin die Sprache der Eitelkeit und des Selbstdünkels zu hören glauben und sich für berechtiget halten, ihm zu erwiedern: Eben darum, daß du eine solche Sprache zu uns führst, auf eine solche Weise uns zur Nachahmung deines Beispiels aufforderst, ist dein Beispiel nicht nachahmungswerth, du bist noch ein sehr unvolls kommener Mensch, es fehlt dir an einer sehr wichti gen Tugend, die allen andern Tugenden die Krone auffett, es fehlt dir an Demuth und Bescheidenheit?" Oder wenn jemand seinem Leben und Wirken eine Wichtigkeit und Verdienstlichkeit, welche jedes andre Verdienst in Schatten stellt, beilegen und die Sprache führen wollte: Ich bin bie Thur; so jemand durch mich eingehet, der wird selig werden und Weide finden; alle, die vor mir gekommen sind, haben das nicht geleistet, was ich leiste, find wohl gar unredliche Miethlinge gewesen; ich bin gekommen, daß die Menschen das Leben und volle Gnüge haben sollen." Joh. X, 7-11: wer würde nicht die Sprache eines anmaßenden Stolzes darin zu hören glauben und mit Unwillen gegen einen solchen Mann sich durchdrungen fühlen? Und wenn nun gar ein Mensch fich und seiner Persönlichkeit übermenschliche Vorzüge beis legt, über den gewöhnlichen Kreis des Menschlichen sich erhebt und für ein Wesen höherer Art gehalten seyn will: wer erkennt nicht darin einen unsinnigen Stolz, wer kann gegen einen solchen Menschen Hochachtung empfinden, wer glaubt nicht, daß er moralisch um so niedriger stehe, als er sich über andre Menschen erheben und gleichsam vers göttern will? - Denn Stolz und die damit verwandten Unarten, die ungeregelte Ehrbegierde, die eitle Selbstgefälligkeit, die hohe Meinung von seinen Vorzügen, die prahlerische Ankündigung derselben und vornehme Verachs tung anderer, find häßliche Unarten des menschlichen Herzens und stellen den Menschen in moralischer Hinsicht tief.

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Ein tiefer Menschenkenner und eindringender Sittenleh rer, der treffliche Gellert sagt in seinen, weniger als fie verdienen, jest gangbaren moralischen Vorlesungen Th. II, S. 462:

Stolz ist Lüge, Diebstahl, Unsinn, Plage; Stolz ist die häßlichste Leidenschaft, ein Abfall von der Wahrheit und von Gott. Wenn nichts das Verderben der Menschen bewiese; so würde es der Stolz allein be weisen."

Und also ist das Gegentheil des Stolzes, Demuth und Bescheidenheit eine der vorzüglichsten Tugenden, der Grund vieler Tugenden und das was allen andern Lu genden Reiz und Liebenswürdigkeit giebt..

Und man kann es jenem ehrlichen Quåker nicht verdenken, daß er dem berühmten Franklin, welcher sich auf eine eigne Weise zu einem moralisch guten Menschen zu bilden gesucht und Alles, was er als Mensch und als Christ thun zu müssen_glaubte, auf 12 Tugenden zurückgeführt hatte und im Gefühle seiner erworbenen sittlichen Bollkommenheit ein offenes Urtheil über sein Verhalten von jenem sich ausbat, die Antwort gab: Freund Franklin, du hast allerdings bedeutende Fortschritte in deiner Besserung gemacht; aber es fehlt dir noch an einer fehr wichtigen. Lugend, an Bescheidenheit; eben die Frage, die du an mich thust, ist ein Beweis dafür." *)

*) Man findet diese Erzählung in einer besondern Schrift: Franklins sichrer Weg zu einer festen, moralisen Ges sundheit zu gelangen. Wien 1811. Auch in Niemeiers Briefen für christliche Religionslehrer 3te Sammlung .352 und in der Berliner Monatsschrift vom Jahre 1799 Februar. Die zwölf Tugenden, die er anfangs übte, waren Nüchternheit, Schweigen, Ordnung, Spars famkeit, Fleiß, guter Borsah, Aufrichtigkeit, Gerechtig teit, Mäßigung, Reinlichkeit, Gemüthsruhe, Keuschheit. Er übte jede einzelne Tugend eine Woche hindurch, jeichs nete sich die an jedem Lage dagegen begangenen Fehler in einem besonders dazu eingerichteten Diarium auf, fing nach Verlauf von 12 Wochen von neuem die Uebung seiner Tugenden an und bemerkte nach einiger Zeit, daß wenige Fehler dagegen begangen wurden.

Wollten wir nun den sittlichen Character Jesu nach feinen vielen Reden von sich und seinen außerordentlichen Vorzügen und Verdiensten beurtheilen; so mußten wir annehmen, daß er, als bloßer Mensch betrachtet, sehr tief stand, daß es ihm an einer der wichtigsten und liebens würdigsten Tugenden, an der Tugend der Bescheidenheit fehlte, daß er einem anmaßenden Stolze, einer dunkel haften Selbstgefälligkeit, einer großsprecherischen Prahles rei im hohen Grade ergeben gewesen wäre. - Aber wet kann nur mit einigem Scheine der Wahrheit dies behaupten? Das ganze öffentliche Leben und Wirken und Hanz deln Jesu vom Anfang bis zu Ende steht in dem auffals lendsten Contraste mit diesen Reden Jesu von sich und widerlegt den Vorwurf des Stolzes und der Anmaßung, den man ihm deßhalb machen könnte, auf die kräftigste Weise. Menschen, die eine hohe Sprache von sich und ihren Vorzügen und Verdiensten zu führen pflegen; sind auch in ihrem ganzen Verhalten, in ihrem Dichten, und Trachten, in ihrem Umgange mit andern stolz, anmaßend und eitler Ehre geizig. Von dem Allen finden wir aber, wie die evangelische Geschichte lehrt, das Gegentheil. Nichts wird von ihm so oft und so nachdrücklich durch Lehre und Beispiel feinen Jüngern empfohlen als De» muth und Bescheidenheit.

1) Alles was nur den Schein der Eitelkeit und des Strebens, Aufsehen zu erregen, verbreitet, als zum Beispiel, öffentliches Fasten, Beten und Allmos fengeben, um von den Leuten gepriesen zu werden, wird von Jesu untersagt Matth. VI, 118; und nur die im Stillen wohlthätig wirkende Tugend und Frömmigkeit, die bei aller Abneigung, Aufsehen zu machen, von andern bemerkt wird und auf sie wohlthätig wirkt, wird empfohs len, wenn Jesus sagt: „Lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen." Matth. V, 16.

Wem ist unbekannt, was Jesus thut, als einst seine Apostel ihm die ehrgeizige Frage vorlegten: Wer ist der Größte im Himmelreich?" Wer unter uns wird die ers fte Stelle in dem von dir zu errichtenden Reiche erhalten? Jesus nahm ein Kind zu sich und stellete es mits ten unter seine Apostel und sprach: Wahrlich, ich sage

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euch, es sei denn, daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder; so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer sich nun erniedriget, wie dies Kind, der ist der Größeste im Himmelreich." Matth. XVIII, 1-4. Und als die Mutter des Johannes und Jacobus Jesum fußfällig bat, er möchte ihren Söhnen in dem zu errichtenden Reiche die zwei ersten Stellen einräumen und die andern Apostel darüber unwillig wurden, sagte Jesus zu ihnen: Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen und die Oberherren Gewalt haben. So soll es aber nicht seyn unter euch; sondern so jemand will unter euch gewaltig seyn, der sey euer Diener; und wer da will der Vornehmste seyn, der sei euer Knecht." Matth. XX, 2027. Wie sehr erklärte er sich gegen den Rangstolz seiner pharisäischen Zeitgenossen bei Gastmåhlern, wenn sie, wie es Luc. XIV, 7 heißt, erwähleten, obenan zu sizen! Wie sehr erklärte er sich selbst gegen den Tugendstolz der Pharisåer in der bekannten Erzählung vom Pharifaer und Zöllner! Wie sehr schärfte er den Grundsak ein: Wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget werden, und wer sich erniedriget, der wird erhöhet werden!" Luc. XVIII 9-14.

Doch es läßt sich denken, daß jemand andern Des muth und Bescheidenheit empföhle und gleichwohl selbst dem Stolze ergeben wäre.

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2) Aber dagegen spricht Alles, was wir von dem Les. ben und Verhalten Jesu wissen.

a) Würde wohl Jesus, wenn Stolz und Ehrgeiz die herrschende Richtung seiner Seele gewesen wäre, bis zu feinem dreißigsten Lebensjahre angestanden haben, öffentlich aufzutreten und die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen auf sich hinzulenken? Würde er die schönsten Jahre seines irdischen Lebens in der Dunkelheit des häuslichen Lebens zugebracht und, wie eine glaubs würdige kirchliche Tradition versichert, *) sich mit der Handarbeit eines Zimmermanns oder Wagners beschäfti get haben? Würde ihn, der bereits als zwölfjähriger Knabe die Bewunderung der Gelehrten seines Volkes ers

* Justinus Martyr dialogus cum Tryphone Jud. p. 316. ed. Colon.

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