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wo das Elend in seinen schlimmsten Formen auftritt, in Dachkammern und Mansarden kannte man sie. Dort standen sie den Männern und Frauen zur Seite, die ihnen bewiesen, daß sie wegen ihrer Ueberzeugung um Stellung und Brot kamen; dort fochten sie bei den Armen, oft bis aufs Blut Gequälten, es durch, daß sie lieber die äußerste Not litten, als sich ihr Gewissen durch den Mammon torrumpieren zu lassen.

Es wünscht gewiß jeder alte Reformer, daß sein Nachfolger in der Gemeinde mehr ausrichte, tiefer grabe und ein neues pflüge. Wir haben ja viele Fehler begangen und dürfen hoffen, die Nachkommen werden daraus eine Lehre ziehen und Besseres zu stande bringen. Gott ist ja unerschöpflich reich, ein Ozean, aus dem jede Generation nur ein paar Tropfen gewinnt. Aber wenn die nach uns kommenden bei gutem Verstand sind, werden sie nicht sagen: mit der Reform sei es nichts gewesen, sie habe es leicht genommen mit den sitt lichen Schäden und vor dem Unrecht kapituliert, jezt erst komme der wahre Jakob und jezt erst, mit ihnen, fange die Welt an! Es ist doch anzu nehmen, daß diejenigen, welche die Alten gekannt haben, zornig oder wehmütig lächelnd antworten würden: Nein, so dumm und so schlecht, wie ihr sie macht, waren die Alten wahrhaftig nicht.

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Man hört immer wieder ein verstecktes Klagen darüber, daß wir keine Abstinenten seien. Wir waren es so wenig wie die alten Positiven es waren. Ich denke mit wahrer Freude an zahlreiche kleine und große Versammlungen, in denen troß allem, was wir einander zu klagen hatten, ein froher Geist herrschte; denn gerade hart arbeitende Männer pflegen, wenn sie einmal ausspannen, recht genußfähig zu sein. Aber die Kesselring und Furrer und Marthaler, die abstinierten, werden sich nicht beklagen können, daß ihnen deswegen jemand grollte; es hat die Brüderlichkeit in keiner Weise gestört. Nur an die später gemachte Entdeckung konnten wir nicht glauben, daß nämlich das Wassertrinken immer ein Zeichen sittlichen Ernstes" und jeder Weintrinker ein „Alkoholiker“ sei. Diesen Uebertreibungen gegenüber pochen wir auf die Erfahrung, daß es unter Abstinenten, genau so wie unter Nichtabstinenten, allerlei Leute gibt, gute, edle und feine, aber auch das Gegenteil. Wir werden auch fortfahren, jeden Mann darnach zu werten, ob er tüchtig arbeite, für etwas Großes sich aufopfern könne und gutherzig sei; dem Tüchtigen gönnen wir, was ihm wohltut und vernünftig ist, mit Faulen und Sybariten haben wir überhaupt nichts zu schaffen.

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Aus Sturm und Stille.

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Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Söhnen sind die Zähne davon stumpf geworden. Man muß an dies alte Prophetenwort denken, wenn man die Schicksale des Ultramontanismus in Frankreich, Oesterreich und Deutschland in der lezten Zeit verfolgt.

Der entscheidende 11. Dezember, von dem die Päpstlichen in Frankreich hofften, er werde einen Volksaufstand zu ihren Gunsten bringen, ist sehr still und im Sande verlaufen. Die widerspenstigen Bischöfe haben ihre alten Size geräumt, und mancher unter ihnen ist mit bitterem Groll über den Papst gewichen, der ihm nicht gestattete, den Verhältnissen Rechnung zu tragen und mit der nationalen Regierung zu paktieren. Einzig der tapfere Bischof Turinaz in Nancy hat einen verzweifelten Stockschlag gegen einen Polizisten geführt,

was ihm ganze fünfzig Franken Geldstrafe kostete. In aller Ruhe haben die Kirchen, die sich des lezten Einflusses auf ihr französisches Volk nicht ganz berauben wollten, ihre Gottesdienste bei den Regierungsstellen angemeldet. Die andern schimpfen laut und leise. Die altadeligen Damen und ihre Kavaliere schütteln ihre Verrücken nach wie vor. Der Admiral de Cuverville steigt in Biarritz mit dem Skapulier auf Brust und Rücken ins Bad, um seine kirchentreue Gesinnung zu dokumentieren. Aber alles hilft nichts. Es regt das Volk der Franzosen nicht mehr auf. Ihm sind von der Väter Taten die Zähne stumpf geworden. Kein Mensch hätte es gedacht, aber es ist am Tage und nicht mehr zu leugnen, daß der Papismus in dem Lande der Bartholomäusnächte abgewirtschaftet hat. Wer heute Paris haben will, muß dafür keine Messe mehr bezahlen wie Henri IV. Ob die Protestanten die große Zeit erkennen? Es schien eine Zeit lang, als ob auch sie die Sünde der Väter, den Dogmenstreit, nicht lassen könnten. Die Mühe um die Selbsterhaltung und Selbstverwaltung wird ihnen den einzig möglichen Weg der Eintracht zeigen. Vielleicht macht es in den Kreisen der Nationalen doch einigen Eindruck, daß die Calvinisten das Gesez respektieren, während der fremde Fürst zu Rom alles daran seßt, die Wege der Exekutive zu kreuzen. Vielleicht werden die importierten Trauben je länger je mehr der Großzahl der Patrioten zu sauer.

Und in Desterreich, welch ein zäher, unaufhaltsamer Prozeß, diese Losvon-Rom-Bewegung! Zweihundert neue Gottesdienststationen seit 1898, im lezten Jahr allein 14, zeigen, ein wie weitmaschiges Neß der Protestantismus über das Land geworfen. Doch halt, der Ausdruck ist mißverständlich. Ohne irgendwelche Propaganda, ganz spontan sind diese Gemeinden alle zu Stadt und Land gekommen und haben nach Kirchen, Predigern, Schulen und Lehrern gerufen, die ihren Wahrheitsdurst stillen können. Troß der Ausweisungschikanen der klerikal beeinflußten Regierung, die über zwanzig Vikare wieder über die Grenze jagte („Schüblinge" nennt man sie in Desterreich), haben sich immer wieder neue gemeldet und den dornigen Weg unter die Füße genommen, Spießruten laufend Tag für Tag, ihr Haupt nicht beugend vor dem Geßlerhut der Prozessionen. Dazu kommt die freudige Bereitschaft der neuen Gemeinden, sich selbst zu besteuern, die Spendung von vielen Hunderttausenden für Spitäler, Diakonissenhäuser, Waisenhäuser. Auch in der werktätigen Liebe bleibt das junge, evangelische Desterreich nicht zurück. O wie ist ihnen die Herlingskost des Römers verleidet! Wie lechzen sie nach den süßen Trauben vom wahren Weinstock! Wer sich eine wöchentliche Herzstärkung schönster Art leisten will, der abonniere die „Wartburg", dies treffliche Blatt der Bewegung.

Alle protestantischen Staaten haben alle katholischen weitaus übertroffen. Ein Offizier hat mir einmal versichert, man erkenne in Ungarn bei den stellungspflichtigen Rekruten, wenn sie entkleidet sind, die Religion sofort. Der ungewaschenste ist der Orthodoxe, dann kommt der Katholik, am gewaschensten sei der Protestant. Man erkennt in Deutschland sofort, ob ein Dorf protestantisch oder katholisch ist. Ist das Dorf rein, nett, in Ordnung, klappt alles, so ist es sicherlich protestantisch, und das Hauptverdienst gebührt dem Pastor -". Wohlgemerkt, so sage nicht ich, sondern ein waschechter Katholik, der sein Volk vor der Los-von-Rom-Bewegung warnen will, der k. k. Legationssekretär a. D. Dr. jur. et phil. Graf Heinrich Coudenhove-Kalergi. Auch ihm scheinen die Trauben nicht mehr so ganz zu munden. Die Urteile der sogenannten Reformkatholiken, bevor sie sie jeweilen widerrufen müssen, lauten ähnlich und zeigen,

wie groß das Mißvergnügen der Hirten und der Herden in dem römischen Schafstall geworden ist. Man kann getrost sagen, daß dem Aufschwung des jesuitischen Ultramontanismus ein Erstarken des Freiheitsgefühls im katholischen Volk parallel geht.

Es hat uns darum nichts so gefreut an dem schneidigen Wahlaufruf des „Evangelischen Bundes“ als diese Stelle: „Deutsche Katholiken, die ihr Ehre und Freiheit des Deutschen Reiches liebt, sagt euch los von dem Ultramontanismus, der sich wie giftiger Mehltau auf das deutsche Volk gelegt hat, los von der unheilbar bloßgestellten Partei der Roeren und Wistuba! Diese Partei schädigt den Katholizismus aufs schlimmste, indem sie die konfessionelle Zerklüftung unseres Volkes auf politischem und wirtschaftlichem Gebiete betreibt." Das nenne ich das Messer am Heft ergriffen. Wenn die unnatürliche Macht des Zentrums im Reich gebrochen werden soll, so muß der Katholik selbst sich von dieser Sippe abwenden, die den Errungenschaften von 1870 das Wasser abgraben und den Staat, der sich auf den Trümmern des französischklerikalen Empire gebildet hat, mit protestantischer Spiße gebildet hat, unterwühlen und vernichten will. Damals schon hatte das katholische Volk seinen Ueberdrüß an den römischen Annaßungen durch Gründung einer altkatholischen Kirche erklärt, und es kann leicht wieder kommen, daß es seinen Winzern die sauren Trauben ins Gesicht wirft. Eine deutsch-nationale Kirche ist keineswegs eine Utopie. Einstweilen hoffen wir, daß es dem national-freisinnigen Wahlblock in Deutschland gelinge, ein Parlament zn schaffen, das der Reaktion auf der ganzen Linie den Riegel stößt.

Denn auch unsre Sache wird da draußen mit ausgekämpft. Nationale, politische, wirtschaftliche Zerklüftung, das ist auch das Programm unserer Katholikentage, die so offenherzig ihr Visier lüften und ihre geheimsten Gedanken, Sonderbundsgedanken, in der Stunde der Festbegeisterung, offenbaren. Wenn alle die Banner sich vor Pio Sarto neigen, wenn die Gelübde über die Alpen dröhnen, wenn der politische Draht ohne Unterlaß spielt, wahrlich, da wird nicht am Glück und Heil Helvetiens gebaut. Da wird eine Truppe angeworben und mit Handgeld verpflichtet, die uns in den kommenden Jahren noch zu schaffen machen wird.

Möchte die große Zeit, in der wir stehen, auch den national gesinnten Katholiken der Schweiz zeigen, daß nicht in Rom ihr bester Freund wohnt. Ringsum ums Vaterland erkennen sie, daß in der Nation die starken Wurzeln der Volkskraft haften, und daß die nationale Eintracht die Grundbedingung für das Gedeihen auf allen Gebieten ist. Schulter an Schulter mit allen Brüdern, ohn' Ansehen der Konfession, wollen wir das Vaterland bau'n. Aber Meister wollen wir im Lande bleiben. Rom's Herlinge soll Rom selber essen.

Freißinniger Münster-Verein.

Versammlung

Mittwoch, 23. Januar 1907, abends 8 Uhr, in der Bierhalle Thoma am Aeschenplak. Vortrag von Herrn Pfarrer Baur zu St. Matthäus : ,,Frauenschicksal".

Alle Mitglieder mit ihren Angehörigen, Damen und Gäste, werden zu recht zahlreichem Erscheinen freundlichst eingeladen. Die Kommission.

Druf und Expedition von J. Frehner, Steinenvorstadt 15, Basel.

Dreißigster Jahrgang.

No 4.

Samstag, 26. Januar 1907.

Schweizerisches Proteftantenblatt.

Herausgeber:

Pfr. A. Altherr in Basel, Pfr. §. Andres in Bern, Pfr. H. Baur in Basel, Pfr. Dr. W. Bion in Zürich, Pfr. J. G. Birnstiel in Basel,

Pfr. Joh. Diem in Unterstraß-Zürich.

Wir sollen nur nicht in den Sinn nehmen, daß der heilige Geist gebunden sei an
Jerusalem, Rom, Wittenberg oder Basel, an deine oder eine andere Person. In Christo
allein ist die Fülle der Gnade und Wahrheit.
Decolompad an Father.

Erscheint auf jeden Samstag. Man abonniert auf jedem Postamt der Schweiz und des Auslandes.
Preis halbjährlich franko zugesandt 2 Fr. für die Schweiz, nebst Postzuschlag für das Ausland.
Arme können das Blatt auf der Erpedition, Steinenvorstadt 15, abholen.

Inhalt: Arnold Knellwolf: Schattenbilder. J. G. Birnstiel: „Bürdeli träge Niemerem nüt säge!". — Evangelische in Desterreich. A. Altherr: Erinnerungen eines alten Reformers. IV. H. Andres: Heimatluft. Er soll dein Herr sein. Krankenkasse für schweizerische evangelische Geistliche. Missionsverein, Sektion Basel. Quittung. Anzeige.

Schaffenbilder.

2. Zwingli Wirth
(† 1905).

Ihn prägtest du, Prophet, tief in des Schülers Seele:
Den Eifer um den Gott der Wahrheit, nicht der Pfaffen.
Du lehrtest kämpfen mich mit scharfen, heil'gen Waffen,
Du segnest meinen Pfeil, daß er sein Ziel nicht fehle.

Daß ich den Lehrer nicht, sein Erbe nicht verhehle;
O, gib mir meinen Platz, in deiner Kraft zu schaffen!
Der falbheit Heuchelei will ich die Macht entraffen,
Daß um die Freiheit sie mein Volk nicht mehr bestehle.
Steig' aus der Nacht hervor, du lichtgebornes Leben;
Unsterblichkeit sollst du aus meinem herzblut schlürfen!
Dein Beispiel stärke mich zum Immervorwärtsstreben!
Es weht ein lauer Wind von denen, die nicht dürfen
Den ganzen Mannesmut an Gott, den Geist hingeben,
Weil mit dem Götzen Geld sie sonst sich überwürfen.

„Bürdeli träge

Niemerem nüt fäge!“

Es ist schwerer, fortwährend „Bürdeli“ zu tragen, als zur Seltenheit einmal an einer außerordentlichen Last einen gehörigen „Lupf“ zu tun. An

kleinen Hemmnissen immer wieder seine Geduld erproben und doch nicht abgeben, Schweres haben und sich nichts anmerken lassen, das ist groß. Das ist fast eines eisernen Kreuzleins wert. Bürdeli träge, niemerem nüt säge“, das klingt wie ein Kinderlied und ist doch alles in der Welt eher, als ein Kinderspiel.

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Es gibt kleine Kinder, die schreien, wenn sie sich weh getan haben, in einem fort, sie schreien auch noch, wenn ihr Schmerz lange versaust ist und hören nicht auf, bis wir sie gesehen und bemitleidet haben. O, diese Kinder! Große Kinder machen es ähnlich. Es gibt Leute, die keinen Brief schreiben können, ohne ihres stets wiederkehrenden furchtbaren" Kopfweh's oder ihrer schrecklichen" Rheumatismen Erwähnung zu tun. Und was sie als Kummer oder Sorge auf der Seele haben, das muß aufs Papier. Sie machen Pose mit ihrem Ungemach. Was haben sie von ihrem Ach und Weh, wenn sie nicht ein Bischen damit paradieren können?

Unbedingte Geltung darf es freilich nicht haben, das „Niemerem nüt säge". Die Menschen der Last haben ein Bedürfnis zu reden, und wo das natürliche Bedürfnis ist, da ist auch das Recht. Sein Herz ausgeschüttet zu haben, ist schon Unzähligen Wohltat gewesen. Es aber nicht ausschütten, ist gar nicht immer Tugend und es bedeutet nicht immer Schonung für andere; es ist oft nur Eigensinn und Geringschäßung und wer mit schweigendem Mund und verschleierten Augen an den Seinen vorübergeht, ohne sie zu Teilhabern seiner verborgenen Kümmernisse zu machen, der wirst einen bösen Schatten.

Und doch sollen wir hören auf das Wort: „Bürdeli träge, niemerem nüt fäge!" Sag' es nicht jedem, was dich bewegt. Jeden in seine Sachen einweihen, heißt diese Sachen oft entweihen. Trag' was dir beschieden ist und behellige andere nicht damit, so lang du irgend selber damit fertig wirst. Selber fertig werden wollen ist Selbstbehauptung und frommer Stolz. Wer aber das Seine trägt und schweigen kann, wird start bis in die Muskeln seines Willens hinein. Die Plauderseelen, die mit jedem Kummer hausieren gehn und ihn wie einen Marktartikel weiterbieten, die verlernen es, ihre Sache ernst zu nehmen, die Stillen, Tragfähigen dagegen betrachten auch ihren Schmerz als ihr Eigentum und ihre Aufgabe, als eine Sache, zu der sie stehen müssen, als eine Gottessache, an der der ganze Mensch gemessen wird.

Sehet die tapferen Frauen! Sie bücken sich über ihre Arbeit, damit man ihre trüben Augen nicht sehe. Wenn's gar schwer wird, nähen sie auch einmal eine herabgefallene Träne mit ins Tuch. Sie tragen, was sie tragen müssen und sagen es nicht und wenn sie den Kopf wieder aufheben von der Arbeit, wenn sie am Tisch bei ihren Kindern oder am Bett bei einem Kranken sizen, dann fasten sie mit fröhlichem Angesicht wie Jesusjünger und niemand merkt, daß es in ihrem Herzen weint.

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Bürdeli träge, niemerem nüt säge“ und dazu ein Gesicht machen „wie sieben Tag Regenwetter", ist noch keine Kunst. Aber die Macht haben, unter stillem Tragen ein Mensch zu werden, dem Ruhe und Freundlichkeit aus den Augen schauen, das gelingt nur vornehmen Seelen, das bringen nur Menschen fertig, die den Weg zu sich selber und zum besten in der eigenen Seele finden und die nie leer wiederkommen, wenn sie auf Augenblicke bei sich selber waren. Sie reden in der Stille mit Gott und darum haben sie es nicht nötig, auch nach außen Lärm zu machen. Man hält sie, so lang sie umherlaufen, für leidlich glückliche Menschen, weil sie nicht klagen, wenn sie aber gestorben sind und ihr Bild offen da liegt, weiß man, was sie getragen haben. Die Ober

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