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3. Stoffe. Alles, was im Lebens- und Anschauungskreise des Volkes lag, alle Vorkommnisse im Volksleben, die sein Gefühl rascher erschwingen ließen, alle historischen Ereignisse, die den Blick in die Ferne auf Helden oder Heldenthaten lenkten, ergriff das Volkslied, verarbeitete und veränderte sie dergestalt, daß sie dem Volksgemüte verständlich und lieb, dem Volksmunde gerecht und geläufig wurden. Der fruchtbarste Mutterboden des Volksliedes war Volksglaube und Volkssitte. Jm innigen Wechselschritt bewegten sich Natur- und Menschenleben.

4. Aufbau und Sprache der Volkslieder. Drängte sich im Volksleben irgend ein Stoff in frischer Unmittelbarkeit der Gesamtheit auf, so gab ihm ein poetisch und musikalisch begabtes Glied der Gemeinschaft die erste Volksliedgestalt, indem es mit kecem Griff und stoßweise das Wichtigste erfaßte und „in Reim und Noten" brachte. Wort und Weise entstanden meist gleichzeitig, oder das neue Lied wurde nach einer alten Melodie gedichtet. Aus dieser Art der Entstehung erklären sich die Sprünge, Lücken und zahlreichen Nachbesserungen in den Volksliedern. Stets führen sie gleich mitten in die Sache und gehen ohne Umschweife aufs Ziel los. Goethe nennt diese Eigenheit den „kecken Wurf" des Volksliedes. Gefühl und Unmittelbarkeit ist dabei alles, die Kunst nur wenig. Der Reim ist nicht selten unrein, das Metrum holperig, die Sprache einfach, natürlich, allen verständlich, zuweilen derb und durch Auslassungen dunkel. Vieles sezt das Volkslied als bekannt und selbstverständlich voraus, besonders die psychologische Begründung und Verbindung der Einzelheiten. Es begnügt sich mit dem raschen, kühnen Thatfortschritt und kümmert sich wenig um die Gedankenunterlage, indem es diese in der gleichgestimmten Seele des Mitsängers und Hörers vorausseßt.

5. Gebrauch. Wie das Volkslied singend und sagend in der Gemeinschaft entstanden ist, so lebt und wirkt es auch nur im Gesange von gleichgestimmten Genossen weiter. Eine Zersprengung der Volkseinheit durch parteiische Pflege der Einzelinteressen muß auch den Tod des Volksliedes bedeuten. Sangbarkeit, Volkstümlichkeit und Geselligkeit sind seine drei Lebensbedingungen; ohne Einstimmen, Mitsingen und Mitklingen aller ist kein rechtes Volkslied zu denken. Soll das Singen und Sagen der Volkslieder wahren Genuß gewähren und zu einem Volkserziehungsmittel werden, so muß im Sänger und Hörer ein innerliches Mitdichten den äußeren Aufbau des Gedichtes begleiten, eine geistige Vervollständigung gleichsam den Einschlag des äußeren Fadenwerkes bilden. Die Schule hat die heilige Pflicht, unser wertvolles Vätererbe in den Volksliedern zu erhalten und das junge Geschlecht zu rechtem Gebrauche desselben anzuleiten. Das wird geschehen durch nachdrückliche Pflege des Volksliedes in Wort und Ton, durch sichere Einübung der Texte und Melodien, sowie durch Einführung in den geistigen Gehalt derselben. Dem Volke muß im Volksliede wieder der Mund geöffnet und das Herz erwärmt werden.

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6. Geschichte des Volksliedes. Der Lebensdrang des Augenblickes hat es geschaffen, die Gemeinschaft hat es singend und sagend gemodelt, d. h. dem Herzen und Munde des Volkes angepaßt, einzelne Soldaten, Jäger, Wanderburschen, Hirten, Mädchen haben es hinausgetragen in die Weite und ihm immer neue Verbreitungsgebiete gewonnen, und nun erklingt es überall, wo frische, innerlich gesunde Menschen in geselligen Gemeinschaften sich zusammen finden. Es ist ja die von allen gesprochene und verstandene Sprache der Gemeinschaft. Die gedeihlichste Luft für das Volkslied wehte in Zeiten großer Bewegungen im Volksleben, wie z. B. im 16. Jahrhundert, wo sich die Tiefen der Volksseele gleich dem Brunnen der Tiefe bei der Sündflut öffneten in Liebe und Haß, in Freude und Leid, im Wetten und Wagen. Die dürrsten Zeiten dagegen, in denen das Volkslied verstummte oder sich in abgelegene Winkel flüchtete, waren die, in denen das nationale Bewußtsein verblaßte, der Thatendrang einlullte, die Aufklärung ihre dürftigen Fackeln überall hintrug und eine vielteilige Interessenhaß die Bande der Volksgemeinschaft lockerte.

7. Den Namen Volkslied führt es, weil es vom Volksgemüte wahr und warm empfunden, von der Volksgemeinschaft geschaffen, vom Volksmunde erhalten und verbreitet, aus dem Volksleben entsprossen, von Volksglauben und Volkssitte genährt, von der poetischen Volkskraft erzeugt und so volles und ganzes Volkseigentum ist.

II. Unmittelbare Darbietung.

Bei der Darbietung eigenartiger Proben aus dem großen Schaze unserer Volkslieder werden wieder, wie beim Minnesange, drei Gruppen. zu unterscheiden sein:

A. Natur- und Liebeslieder. (Vergl. Heidenröslein I, 310; Sehnen und Scheiden II, 616; Lebewohl II, 235; Treue Liebe III, 137; Das zerbrochene Ringlein III, 166; Schäfers Klagelied III, 164; Waldvögelein I, 394; Gruß aus der Heimat I, 438.) B. Gute Gesellenliedlein über Vorgänge und Zustände aus dem Volksleben, Volksglauben, der Volkssitte und Volksgeschichte. In der Gruppe B werden wieder Arbeitsund Berufslieder, Trink- und Scherzlieder, historische Lieder 2c. besondere Abteilungen bilden. (Bauernlied I, 397; Schifferlied II, 706; Nachtwächterlied II, 541; Jägerlied II, 458; Bergmannslied I, 460; Sankt Niklas I, 299; Macht der Thränen II, 326; Der Schweizer II, 625; Der unerbittliche Hauptmann II, 623; Prinz Eugen III, 77.) C. Geistliche Volkslieder mit dem Aufblick zu Gott und seinen Heiligen und mit dem Ausblick in die Ewigkeit. (Die verirrten Kinder, I, 486; Morgenlied I, 517; Alles ist vergänglich II, 503; Reiselied im Walde II, 491; Der Schnitter Tod III, 296.)

A. Natur- und Liebeslieder.

1. Frühlingsblumen.

1. Herzlich thut mich erfreuen
Die fröhlich Sommerzeit,
All mein Geblüt verneuen,
Der Mai viel Wollust geit.1)
Die Lerch' thut sich erschwingen
Mit ihrem hellen Schall;
Lieblich die Vöglein fingen,
Voraus die Nachtigall.

2. Der Kuckuck mit sei'm Schreien
Macht fröhlich jedermann,
Des Abends fröhlich reihen 2)
Die Mägdlein wohlgethan;
Spazieren zu den Brunnen
Pflegt man in dieser Zeit.3)
Al' Welt sucht Freud' und Wonne
Mit Reisen fern und weit.4)

3. Es grünet in den Wälden,
Die Bäume blühen frei,
Die Röslein auf den Felden
Von Farben mancherlei.
Ein Blümlein steht im Garten,
Das heißt Vergißnichtmein,
Das edle Kraut Wegwarten 5)
Macht guten Augenschein.

4. Ein Kraut wächst in den Auen
Mit Namen Wohlgemut,6)
Liebt) sehr den schönen Frauen,
Darzu Holunderblut,8)

Die weiß und roten Rosen
Hält man in großer acht,
Kann Geld darum gelosen,9)
Schön' Kränz' man daraus macht.
5. Das Kraut Jelängerjelieber
An manchem Ende blüht,
Bringt oft ein heimlich Fieber,
Wer sich nicht dafür hüt't.10)
Ich hab' es wohl vernommen,
Was dieses Kraut vermag,
Doch kann man dem vorkommen:
Wer Maßlieb 11) braucht all' Tag.
6. Des Morgens in der Frühe
Die Mägdlein grasen gan,12)
Gar lieblich sie anschauen
Die schönen Blümlein stan,13)
Daraus sie Kränze machen
Und schenken's ihrem Schaß,
Den fie freundlich anlachen
Und geben ihm ein Schmaß.14)

7. Drum lob ich den Summer,
Darzu den Maien gut,

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Der wendt' uns allen Kummer
Und bringt viel Freud' und Mut.
Der Zeit will ich genießen,
Dieweil ich Pfennig hab,15)
Und wen es thut verdrießen,
Der fall die Stiegen ab! 16)

=

=

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Lösen.

I. Kurze Worterklärungen. 1) geit giebt. 2) reihen Reigentänze halten. 3) Brunnenfahrten waren im Mittelalter sehr beliebt. Vergl. S. 105! 4) Der Wandertrieb ist der deutschen Natur ureigen. 5) Wegwart oder blaue Cichorie galt als heilkräftig. 6) Wohlgemut Dost, verwandt mit Majoran. 7) liebt fällt. 8) Holunder oder Fliederblüte. 9) gelosen 10) Anspielung auf das Liebesfieber. 11) Maßlieb oder Tausendschönchen als Bild der Treue. 12) grasen gan = Gras holen gehen. 13) stan stehn. 14) Derber volkstümlicher Ausdruck für einen lautschallenden Kuß. 15) Pfennig haben bei Geldmitteln sein. 16) Der fall die Stiegen ab der falle die Treppe hinunter, mache sich fort von uns, damit er durch seine Grämlichkeit unsere Freude nicht störe.

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II. Hauptinhalt. Das Lied besingt die innige Verkettung des Natur- und Menschenlebens und die daraus quellende Freude im Frühling. III. Gedankengang. Str. 1: Erneuerung der Natur und der Lebensfreude im Lenz. Str. 2: Vogelsang, Mädchenreigen, Brunnenfahrten und Reisen in der schönen Jahreszeit. Str. 3: Blumenglanz eine Augenweide. Str. 4: Heilkräftige und nußbringende Kräuter und Blumen. Str. 5: Bedeutung der Blumen für das Liebesleben. Str. 6: Liebesspiel zwischen Jungfrauen und Jünglingen. Str. 7: Lob des Maien und Vorsaz, fröhlich zu sein.

IV. Volksglauben und Volkssitte. Der Kuckuck als prophetischer Vogel. Brunnenfahrten und Reisen. Abendreigen der Mädchen. Blumensprache und Blumendeutung. Heilkraft mancher Pflanzen. Kranzwinden. Grafengehen der Mädchen. Verkehr der Burschen und Mädchen durch Blumen und Kränze vermittelt. Lust an heiterer Geselligkeit und Hinausweisen der Murrtöpfe.

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V. Verwandtes. Das Schönste sucht er auf den Fluren, womit er seine Liebe schmückt“ (Schiller). Der Schnee zerrinnt, der Mai beginnt" (Hölty, I. 130). Paul Gerhards Sommerlied: "Geh aus, mein Herz, und suche Freud -" (II, 700). — An den Anfang des Liedes lehnt sich als geistige Umdichtung Barthol. Ringwalds schönes Sterbelied: „Herzlich thut mich verlangen nach einem sel'gen End!" In dem weltlichen Volksliede spricht sich ein Drang nach Erdenfreude, in der geistlichen Umdichtung aber Sehnsucht nach der Himmelsfreude aus. Nach dem Versmaß unseres Volksliedes hat Paul Gerhard das schöne Lied Befiehl du deine Wege -" gedichtet.

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2. Grasliedlein.1)

1. Jch hört ein Sichelein rauschen,
Wohl rauschen durch das Korn; 2)
Ich hört ein Mägdlein klagen,
Sie hätt' ihr Lieb verlor❜n.

2. Laß rauschen, Lieb, laß rauschen!
Ich acht' nicht, wie es geh;
Ich hab' ein Buhlen 3) erworben
Im Beiel und grünen Klee.“4)

3. Hast du ein Buhlen erworben
Jm Veiel und grünen Klee,
So steh ich hie alleine,
Thut meinem Herzen weh.

I. Kurze Worterklärung. 1) Grasliedlein waren eine besondere Sammlung von Volksliedern, die Natur- und Liebesleben in inniger Wechselbeziehung zeigten. 2) Es ist also in der Erntezeit. 3) Buhle, von buolen, d. h. lieben oder sich um Liebe bewerben, ist der oder die Geliebte. Erst später bekam das Wort die Nebenbedeutung eines unsittlichen Verhältnisses. 4) Veiel, von Viola = Veilchen. Im Veiel und grünen Klee, also in der Frühlingszeit.

II. Hauptinhalt und Gedankengang. Das Lied ist ein Zwiegespräch zweier Schnitterinnen, einer traurigen und einer frohen. Die traurige wird durch das gleichförmige und doch leise klagende Klingen der

Sichel und durch das Sinken der gebleichten Halme an ihr verlorenes Liebesglück erinnert. Die frohe und leichtmütige Gefährtin denkt noch in der Erntezeit an Veilchen und grünen Klee, also an den Frühling, da sie den Liebsten gewann, der ihr noch treu ist. Für sie ist's noch in der Ernte wonniger Frühling. Drum mahnt sie die klagende Gefährtin: Nimm das Geschick nicht zu schwer; ich acht' nicht, wie es geh!" Traurig erwidert die Gefährtin: „Du bist im Glück und begreifst darum nicht mein Weh. So stehe ich allein und unverstanden mit meinem Schmerze, und das macht ihn um so schwerer.“

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III. Volksglaube und Volkssitte. Mädchen schneiden das Korn mit der Sichel. In Zwiegesprächen macht sich das volle Herz Luft. Die Frühlingszeit ist die Zeit der aufblühenden Liebe. Die Natur spiegelt unsere Seelenzustände wieder.

3. Sonnenschein.

1. Schein uns, du liebe Sonne,
Gieb uns ein' hellen Schein.
Schein uns zwei Lieb zusammen,
Die gern bei einander sein.

2. Dort fern auf jenem Berge
Da liegt ein kalter Schnee;
Der Schnee kann nicht zerschmelzen,
Gottes Wille muß ergehn.

3. Gottes Wille der ist ergangen,
Zerschmolzen ist uns der Schnee.
Gott gesegne euch, Vater und Mutter,
Ich seh euch nimmermeh!

I. Hauptinhalt und Gedankengang. Das ist ein Sehnsuchtslied von zwei liebenden, aber getrennten Herzen. Draußen ist öder Winter, und die beiden Herzen sind freudlos. Wie zwischen Sonne und Erde der kalte Schnee, so liegt zwischen Lieb und Liebe die trennende Ferne und vielleicht ein Verbot der Eltern. Wie sich die Erde nach dem Frühling sehnt, so sehnen sich die beiden Herzen nach Vereinigung. Was die Sonne der Erde, das ist die Liebe dem Herzen. Doch nicht eher wird's Frühling, als bis nach Gottes Willen und Ordnung der Schnee schmilzt, und nicht eher werden die Liebenden glücklich, als bis die Trennung aufhört.

Nun schmilzt der Schnee nach Gottes Ordnung, und der Frühling zieht ein. Da hält's den Jüngling nicht länger; er verläßt Vater und Mutter mit einem Segenswunsche und eilt hin zu der Geliebten, um in der Vereinigung mit ihr den Liebes- und Lebensfrühling zu finden.

II. Volksglaube und Volkssitte. Die Natur ist ein Spiegel unseres Geschicks; sie beeinflußt unser Empfinden und Handeln. Gottes Wille lenkt die Natur und auch mein Herzensgeschick. „Ein Mann wird Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen." Wenn der Schnee zerschmilzt, die Vögel wiederkehren und die Bächlein von den Bergen springen, da regt sich in deutschen Herzen die Wanderlust mit besonderer Stärke.

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