صور الصفحة
PDF
النشر الإلكتروني

vertiefte Totalauffassung vermitteln. Dennoch ist es möglich, auch hier den Weg zu bahnen, das Verständnis vorzubereiten und zu erleichtern. Läßt sich eine Kunst des Empfindens nicht lehren, so doch eine Kunst des Sehens;*,) diese wird zu der wirksamsten und fruchtbarsten Vermittlung für jene. Durch das Auge dringt auch die Empfindung in das Herz (s. unten das Gedicht A, I, 5). Darauf nun gehen die nachfolgenden Erläuterungen aus; im übrigen wollen sie auch hier kein vollständiger Kommentar sein, sondern nur ein Wegweiser und eine allgemeine Beleuchtung.

A. Naturleben.

Wir gehen von objektiv gehaltenen Naturbildern aus und reihen sie so aneinander, daß wir mit den einfachsten beginnen, mit jedem folgenden einen neuen Zug in dem Wesen der Lyrik vorführen und nach Behandlung einer jeden Einheit (Gruppe) den Gewinn derselben heraustreten lassen. Der Gang der Einzelbetrachtung ist im allgemeinen ein typischer und zwar der folgende: Fests stellung

1. des objektiven Hintergrundes. Derselbe ist in dieser Gruppe Naturleben, Naturbilder.

2. Verhältnis des Dichters (und damit zugleich unser eigenes) zu demselben. Sein (und unser) Gefühls- und Empfindungsleben. Es ist hier vorwiegend Naturgefühl, aber von verschiedener Art und meist in einer Mischung mit anderen Elementen.

3. Verlauf und die Entwicklung des Empfindungslebens. Die Grundstimmung.

4. Form (Ausdrud, Rhythmus, Metrum).

Dieser typische Gang wird dem Schüler nicht von vornherein mitgeteilt, sondern er wird dahin geführt, denselben anfangs zu erkennen und im Fortgang wieder zu erkennen, oder selbst zu bestimmen.

I. Gruppe

(vorwiegend Ausdruck des Naturgefühls).

1. Meeresstille (Weimar 1795).**)

1. Objektiver Hintergrund. Er wird hier zur Hauptsache. Landschaftsbild von einfachster Größe und Erhabenheit. Bild der Erhabenheit des Raumes (die „ungeheure Weite" des Meeres) und der Ruhe (tiefe Stille", "ohne Regung ruht das Meer“, „Todesstille fürchterlich", „keine Luft von keiner Seite", „keine Welle reget sich." Hier die Höhe der das Ganze durchziehenden Steigerung). Staffage: der Schiffer; nur ein Zug aus dem Seelenleben: bekümmert sieht der Schiffer" u. s. w.

[ocr errors]

*) s. Herbart, Pädag Schriften (von D. Willmann) I, S. 110 und Pädagog. und dididakt. Abhandlungen I, S. 393 ff.

**) Vgl. Bd. II, S. 543.

2. Verhältnis des Dichters zu diesem Bilde, sein (und unser) Empfindungsleben: sein eigenes Empfinden tritt zurück; aber es ist unausgesprochen da in dem Naturgefühl, das sich als einfache Naturbeobachtung und ein Herausfühlen der Stimmung aus der Natur (s. oben S. 244) äußert. Auch unser eignes Verhältnis zu dem dichterischen Bilde wird das einer einfachen, ungemischten Teilnahme.

3. Verlauf und Entwicklung des Empfindungslebens. Grundstimmung: eine Entwicklung des Empfindungslebens fehlt. Die Grundstimmung ist einfach; geistiger Druck und Bekümmernis, also Leid.

4. Form: objektive, aber höchst malerische Schilderung mit den einfachsten sprachlichen Mitteln. Einfache Hauptsäße, dreimal selbst ohne verb. finitum, einmal, da wo die Staffage eintritt, durch „und“ verbunden. Der Rhythmus schwer und fast feierlich. Metrum: Trochäen, dazu der Reim aber in lockerer Verwendung.

2. Glückliche Fahrt (Weimar 1795).*)

1.**) Auch hier ist die Landschaft das Meer, die Staffage ein Schiffer, aber das Bezeichnende im Gegensaz zu Nr. 1 die steigende Bewegung im Leben der Natur, wie in der Rührigkeit des Schiffers („Es rührt sich der Schiffer. Geschwinde! Geschwinde!").

2. Der Dichter identifiziert sich zum Schluß mit dem Schiffer („Schon seh' ich das Land!“). Das Naturgefühl ist hier teilnehmendes Mitleben mit der Natur (f. oben S. 244).

3. Fortschreitende Bewegung der Empfindungen: Erwartung, Hoffnung, Erfüllung, Freude. Diese wird Grundstimmung und geht unwillkürlich anch in unser Gemüt über, es in gleiche Schwingungen verseßend.***)

4. Der Sazbau wie in Nr. 1, aber die Bewegung malt sich auch in der vierfachen, asyndetischen Reihe: Es säufeln, es rührt, es teilt, es naht sich. Metrum: logaödisch (Verbindung von Daktylen und Trochäen) mit Auftakt. 3. 4 und 10 beenden katalektisch je eine Strophe. Dazu tritt der Reim wie in Nr. 1.

3. Auf dem See (15. Juni 1775).

Vorbemerkung. Das Gedicht befindet sich in Wahrheit und Dichtung, Bd. 18. Dort beschreibt Goethe eine Schweizerreise, welche er anfangs gemeinsam

*) Vgl. Bd. II. S. 543.

**) Wir bezeichnen im Folgenden die oben aufgezählten Glieder des typischen Ganges nur mit den Ziffern 1-4.

**) „Äolus löset das ängstliche Band." Eine mythologische Erinnerung an Odyssee X, 19 ff. und Virgil, Äneis I, 81 ff., aber in freier Verwertung, so daß die Vorstellung von einem zugebundenen Schlauch, die hier durchaus fremdartig sein würde, zurücktritt. Der Gedanke ist, in genauem Zusammenhang mit der voraufgehenden und nachfolgenden Reihe: der Gott der Winde macht der beängstigenden Windstille ein Ende, so daß die Lüfte nun zu säuseln beginnen.“

mit dem Grafen Stolberg unternahm, s. oben S. 279, und dann eine Fahrt auf dem Züricher See mit seinem Freunde Passavant: „Wir fuhren an einem glänzenden Morgen den herrlichen See hinauf. Möge ein eingeschaltetes Gedicht von jenen glücklichen Momenten einige Ahnung herüberbringen."

"

1. Auch hier ein Landschaftsbild. Totalauffassung in Str. 1, 3. 5-8: Berge wolkig, himmelan,*) und der Dichter im Kahn auf den Wellen im Rudertakt sich wiegend. Die Ausführung Str. 3 von wunderbarer Kunst der Schilderung. Sie nimmt den Ausgang vom Nächsten (die Wellen, welche im Sonnenglanze blinken, daß tausend Sterne auf ihren Häuptern zu schweben scheinen;)**) sodann Blick in die Ferne (die in der Ferne rings sich türmenden Gebirge; weiche Nebel fließen mit ihren lichten Umrissen, dieselben gleichsam trinkend, zusammen); endlich Rückkehr zu dem Nahen (den beschatteten Buchten***) und den fruchtbaren Geländen, die sich im See bespiegeln).†)

2. und 3. Frohes, hingebendes Genießen im Sinne eines heiteren Lebensgenusses. Naturgefühl im Sinne von Naturfreude und Naturgenuß, s. oben S. 242. Aber auch Wehmut und Leid in der Erinnerung an die ferne Geliebte und das schwankende Glück einer nicht voll erwiderten Liebe (G.s Verhältnis zu Lili). — Also Mischung in dem Empfindungsleben: ein mehr äußerliches, auf Anschauungselementen gegründetes; daneben ein innerliches, das Gefühl der Wehmut; endlich Eindringen eines Willensentschlusses, durch den dieses störende Element ausgestoßen werden soll. Rückkehr zur Grundstimmung der Freude. Also auch ein Verlauf und eine Ent

wicklung des Gefühlslebens.

4. Man vergl. den einheitlichen Guß und Fluß dieser vollendeten Schilderung mit den verstreuten Einzelzügen bei Klopstock, um des Fortschritts in der Kunst dichterischer Darstellung recht inne zu werden. Besonders glückliche und wirksame, zum Teil musikalische Wendungen: „Weiche Nebel trinken,“ „Morgenwind umflügelt“ u. s. w.; vergl. Kl. Str. 3: Komm, süße Freude, auf dem Flügel der Abendluft“. Metrum; Str. 1 jambisch, Str. 2 trochäisch, Str. 3 Wechsel von trochäischen und logaödischen Zeilen. Dazu der Reim in festerer Haltung und regelmäßigerem Tritt als in 1 und 2.

4. Dornburg (September 1828).

Vorausseßung ist die Bekanntschaft mit der Landschaft von Dornburg: das Saalthal unweit Jena; auf schroff herabfallender Felswand aus

*)_Klopstock in der Ode: „Der Zürcher See“: Str. 5. „Jeßt entwölkte fich fern silberner Alpen Höh'!"

**) Kl. Str. 2: „Der schimmernde See".

"

***) Al. Str. 7: Die beschattenden, kühlen Arme des Waldes"; Str. 17: "In den Umschattungen, in den Lüften des Waldes"; Str. 18: „Der Schattenwald“.

†) Man wird sehr wohl an die Rebenhügel denken können; auch Kl. spricht am 10. Juli von des Sees Traubengestaden (Str. 2) und dem „Gebirge voll von Reben".

stufenweise sich erhebenden Wein- und Blumengärten heraustretend ein stattliches Schloß mit rebenumrankten Erkern. Von hier aus weiter Blick zur Rechten und Linken in das Saalthal, gegenüber auf die dichtbewaldeten Berghöhen von Tautenburg. G. hielt sich „in dem ruhigen, überlieblichen Dornburger Schlößchen“ wiederholt auf, dichtete hier die ersten Akte der Iphigenie vor ihrer Vollendung in Italien, und weilte daselbst auch vom 7. Juli bis 12. September 1828 (also 79 jährig), wie eine Notiz von G.3 eigner Hand noch jezt an Ort und Stelle bezeugt.

1. Eine in Wirklichkeit vorhandene Landschaft (vgl. oben S. 238). Thal, Gebirge, Blumengärten; darüber der Himmel, sei es als wolkentragender Äther, sei es als „blaue Sonnenbahn", oder als das von Sternen erglühende Firmament. — Tagesumlauf: Morgenfrühe, wo die Landschaft sich den Nebelschleiern enthüllt und die Blumenkelche sich öffnen; Tagesmitte Str. 4; Abendröte und Sonnenuntergang; tiefe Nacht.

2. Dankbar teilnehmende und unbefangen genießende Naturbeobachtung, über welche der Tag hinabsinkt, Str. 3. Giebst du dich hin in reinem Genuß der Größe und Herrlichkeit der Natur, so fließt darüber die Zeit hinab, und es scheidet goldig hinabsinkend die Sonne, die Große und Holde, an deren Anblick du dich soeben noch weidetest.

"

3. Es bleibt als Grundstimmung die Sehnsucht, mag sie nun sein, das „sehnlichste Erwarten“ des heraufkommenden Tages Str. 1, der sehnliche Zug der Gedanken in die Ferne blauer Berge", wenn diese in vollem Tageslicht daliegen, oder mag sie geweckt werden durch den Aufblick zu dem glühenden Heer der Sterne. Abschluß dieser Empfindungen. mit einem gedankenmäßigen Element und einer ethischen Wahrheit: des Menschen Los ist zu preisen, wenn er dem Erdendasein, „dem Rechten", so zugewandt ist, daß er zugleich auch in das Ewige sich zu erheben vermag. Die Mischung ist hier also eine reiche. Anschauungselemente, Naturbeobachtung, Gedankenmäßiges, Ethisches, aber das Gefühlsleben, als Naturgefühl mit dem Grundton der Sehnsucht zieht sich leise durch alle anderen Elemente hindurch.

4. Metrum: trochäisch.

5. Dämmrung senkte sich von oben“ u. s. w. (Gedicht VIII aus den chinesisch-deutschen Jahres- und Tages-Zeiten.)

Vorbemerkung: Es hält sich völlig frei von Anklängen an chinesisches Wesen und ist von G. im Frühling 1827 während eines Aufenthaltes in seinem Gartenhause gedichtet. Das Nähere bei Dünger III, 692. Landschaftliche Motive aus dem Park von Weimar und aus der Umgebung jenes Gartenhauses liegen dem landschaftlichen Stillleben zu Grunde.

1. Gegenstück zur Situation im voraufgehenden Gedicht. Dort ist Ausgang der aus Nebelschleiern sich erhebende, die Landschaft enthüllende Tag; hier die mit schleichenden Nebeln sich herabsenkende, allmählich die Landschaft verhüllende Dämmerung und Nacht. Das Naturbild: ein See, schwarz-vertiefte Finsternisse wiederspiegelnd", umgeben von „schlanker Weiden Haar-Gezweigen"; darüber Dämmrung und bald auch tiefe Nacht; Lyrische Dichtungen. 3. Aufl,

20

[ocr errors]

des Abendsternes holdes Licht und am östlichen Himmel die ersten Vorboten des Mondesglanzes und seiner Glut, endlich des Mondes Zauberschein selbst, wie er durch bewegter Schatten Spiele" hindurchzittert. Alles ist Bewegung (senkt sich, emporgehoben, schwankt, schleichen, wiederspiegelnd, scherzen, zitternd); darin als Ruhepunkt: Schwarzvertiefte Finsternisse wiederspiegelnd ruht der See."

"

Auch hier Naturbeobachtung, aber ganz beseelt vom tiefsten Naturgefühl. Erwartungsvolle Bewegung des in unbestimmter Sehnsucht aufgerührten Gemüts (Str. 2, 2: Ahn' ich Mondenglanz" u. s. w., das sich schließlich zur Ruhe sänftigt: „Und durchs Auge schleicht die Kühle, sänftigend ins Herz hinein“, s. oben S. 302).

"

3. Hier beherrscht der „Gefühlsklang“ (Th. Vischer) von vornherein die Schilderung, welche nur als Vorbereitung erscheint, um schließlich das Gefühlsleben als Hauptsache heraustreten zu lassen.

4. Die Sprache, höchst malerisch und musikalisch zugleich; der Rhythmus bewegt und doch ruhig, entsprechend der Landschaftsschilderung und bezeichnend für des Dichters Seelenstimmung. Mannigfache Verwendung der Allitteration. Metrum: Trochäen.

6. Wanderers Nachtlied (Ein gleiches,
2. September 1783).

1. Landschaft: Bergesgipfel und Waldeswipfel; darin als Belebendes die Vögelein und der Dichter (kürzeste Zusammenfassung aller Elemente eines Naturlebens).

2. und 3. Kaum mehr Naturbeobachtung, nur Naturgefühl und zwar als unlösliches Zusammengehen von einem Herausfühlen der Stimmung aus der Natur (Waldeinsamkeit, Waldesstille, Waldesfrieden) und einem Hineinfühlen der eignen Stimmung in dieselbe (Friedensbedürfnis, Sehnsucht). Die Gefühlsbewegung ist die denkbar einfachste; der Verlauf ein stilles auf sich einwirken lassen des Friedens in der Natur und beruhigende Einkehr des Friedens in das eigne Gemüt.

ton: Sehnsucht; Wehmut und Befriedigung gehen zu einem Gefühlsklang zusammen, der das Gedicht nicht nur beherrscht, sondern aus dem das Gedicht so sehr besteht, daß seine „hingehauchten Strophen" wie Sang und Musik tönen, und wie keine anderen zur Komposition herausfordern. Alles andere s. Bd. II, S. 536 ff.

Wanderers Nachtlied (1776).

Gedichtet am Hange des Ettersberges bei Weimar am 12. Febr. 1776. Das Naturleben tritt so zurück, daß es nur durch die Überschrift angedeutet und nur ganz allgemeiner Hintergrund ist (nächtlicher Himmel). Das Gedicht würde somit zur Gruppe B gestellt werden können, verhält sich aber zu dem voraufgehenden wie Verlangen zur Befriedigung, und mag an dieser Stelle als Beispiel dienen einer Dichtung, in der das Gefühlsleben losgelöst von allen Anschauungselementen zu vollstem lyrischen Ausdruck gelangt. Selbst das Gedanken

« السابقةمتابعة »