hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn": aber solche Finderkünste soll er bei Wiederholungen versuchen; hier darf und soll er die Stoffmassen bald nach diesem, bald nach jenem Leitmotiv sich gestalten lassen. Bei Neubehandlung aber soll er seine Zeit nicht mit Tasten verlieren und das Ergebnis nicht auf glückliche Einfälle bauen. Hier soll der Stundeninhalt als fertiges Gebilde vor seiner Seele stehen. III. Bei der Vertiefung! In den einzelnen Gedichten finden sich hier und da räumliche und örtliche Winke, aus denen sich ein Gesamtbild aufbauen läßt. Bei der „Gedankendichtung" wird das allerdings seltener als bei den epischen Gedichten der Fall sein. Wo sich ein Lagebild nicht naturgemäß ergiebt, soll es nicht gewaltsam geschaffen werden. Von besonderer Bedeutung ist bei der Gedankenlyrik der Gedankengang in seiner Gliederung und Zuspihung. Oft spricht Schiller die Grundgedanken klar und schön aus, oft aber müssen sie auch unter Blumen und Bildern gesucht werden. Der Gedankenfortschritt in den einzelnen Strophen ist häufig durch Schlagworte des Dichter gekennzeichnet. Charaktergemälde werden sich nur in einzelnen Fällen aus den philosophischen Gedichten entwickeln lassen. Aber alle Charakterzüge bilden in ihrer Zusammenfassung das Charakterbild des Dichters und seiner Weltanschauung. Es wird darum eine besonders wichtige Übung sein, die einzelnen Gedanken nach ihrer inneren Zugehörigkeit in eine bestimmte Vorstellungsgruppe einzuordnen und die einzelnen Gruppen zu einem Gesamtbilde zusammenzufügen, wie es als vorläufige Verständnisunterlage" in IV skizziert ist. IV. Bei der Verwertung! Verwandte und bekannte Stoffe sind als Verständnishilfen, als Vorstellungserweiterungen und als Vergleichsstoffe heranzuziehen, damit das Neue seine sichere Masche in dem gesamten Vorstellungsneße gewinne. Die schönsten Gedanken sind als Merksäge auszuwählen und als Lebensnormen auswendig zu lernen. Kein anderer Dichter nimmt in unserem Sprachschaße und in unsern sittlichen Leitgedanken einen so breiten, wichtigen Plah ein wie Schiller. Einen unerschöpflichen Reichtum von Stoffen zu Rede- und Stilübungen bieten die Schillerschen Sentenzen. Sie in ihrem Zusammenhange und in ihrer praktischen Bedeutung für das Leben zu beleuchten, ist eine überaus dankbare Bildungsaufgabe. Bleibender Gedächtnis-, Denk- und Herzensbesiz sollen eine Anzahl Schillerscher Gedankendichtungen werden und bleiben durch sicheres Auswendiglernen und schönen. Vortrag. Was die Schüler denkend erarbeitet, mitfühlend erfahren und in reinster Form sicher gelernt haben, das hilft als Lebensbesiß ihr Glück bauen. 1. Sinnlichkeit und Sittlichkeit. Neigung und Pflicht. Ideal und Leben. Der Mensch ist ein wunderliches Gemenge von Geist und Fleisch, von Sittlichkeit und Sinnlichkeit, sein Leben ein steter Kampf zwischen Neigung und Pflicht, Genuß und Entbehrung. In der sinnlichen Menschheit ohne den Zügel der Sittlichkeit sehen wir den Krieg aller gegen alle. Das liebe „Ich" sucht sich mit Nägeln und Zähnen, mit Fäusten und Füßen Plaz zur Sinnenweide zu machen. Begier, Genuß und Überdruß sind immer auf wilder Jagd und in steter Abwechselung begriffen. Die Ungerechtigkeit sißt auf dem Throne, die Lüge lehrt auf Lehrstühlen, die Sinnenlust opfert an tausend Altären, und der Schein prunkt auf Straßen und Gassen. Nur Vorteil und Furcht, Gewohnheit und Gewalt scheint die Welt im Gange zu halten. Aber es giebt über diesem Wirrsal eine höhere, geheimnisvolle, geistige und sittliche Macht, die der Verzerrung und Vertierung der Menschheit wehrt: das ist das Ideal, die reine, vollkommene geistige Gestalt", ein Bild der Vollkommenheit, das über dem irdischen, fleischlichen Wirrwarr gestaltend wie Gottes Geist über den Wassern schwebt, leuchtend und leitend in den besseren Seelen lebt und mildernd, bildend und beglückend wirkt. Ps. 85 sieht dies Bild verkörpert: Ehre wohnet in unserem Lande. Güte und Treue begegnen, Gerechtigkeit und Friede küssen sich." Stephanus sah dies Bild, da er aufschaute in den offenen Himmel. Diese Gedanken bilden den Grundton der nächsten Gedichtsgruppe. " 5. Hier spricht man warten Schrecken auf den Bösen Und Freuden auf den Redlichen. Des Herzens Krümmen werdest du entblößen, Nichts kann ich dir als diese Weisung geben." 8. Gieb mir das Weib, so teuer deinem Herzen, Jenseits der Gräber wuchern deine Schmerzen." 9. Die Schuldverschreibung lautet an die Toten," Die Lügnerin, gedungen von Despoten, Hat für die Wahrheit Schatten dir geboten, Du bist nicht mehr, wenn dieser Schein verfällt." 10. Frech wizelte das Schlangenheer der Spötter: Vor einem Wahn, den nur Verjährung weiht, " 12. Ein Lügenbild lebendiger Gestalten, Vom Balsamgeist der Hoffnung in den kalten Unsterblichkeit ?" 13. Für Hoffnungen Verwesung straft sie Lügen Sechstausend Jahre hat der Tod geschwiegen, 14. Ich sah die Zeit nach deinen Ufern fliegen; Blieb hinter ihr, ein welker Leichnam, liegen, Und fest vertraut' ich auf den Götterschwur. 15. All' meine Freuden hab' ich dir geschlachtet: " Vergelterin, ich fordre meinen Lohn! 16. Mit gleicher Liebe lieb' ich meine Kinder!" „Zwei Blumen,“ rief er, „hört es, Menschenkinder, " 17. Wer dieser Blumen eine brach, begehre Genieße, wer nicht glauben kann! Die Lehre 18. Du hast gehofft, dein Lohn ist abgetragen, Du konntest deine Weisen fragen, Was man von der Minute ausgeschlagen, I. Vorbereitung. „Schiller hat (nach Hoffmeister) dies Gedicht mit tiefstem Gefühl aus der Gesamterfahrung seines bedrängten Lebens heraus wie ein Glaubensbekenntnis ausgesprochen." In Sturm und Drang, im wilden Wetten und Wagen glaubte er das äußere Glück erringen zu können. Aber nach den herbsten Erfahrungen mußte er die Unzulänglichkeit der menschlichen Natur beklagen, die Genuß und Glauben, Sinnenglück und Tugend, Reales und Ideales nicht mit einander zu vereinigen vermag. Entweder Sinnenglück oder Seelenfrieden! Für beides zugleich ist kein Raum im Menschen. Für eins muß er sich entscheiden. Aus dieser Überzeugung entwickelte sich Schillers spätere Lebensansicht. Bisher hatte er in der verkehrten Einrichtung und den Mißbräuchen der menschlichen Gesellschaft die Quelle aller Übel und alles Unglücks gesehen. Nun erkannte er, daß im Wesen des Menschen. selbst der Widerspruch und die Quelle des Unglücks liege. Sein eigenes Lebensschicksal hatte ihn gelehrt, wie Unrast dem Genusse gleich seinem Schatten folge, wie das Streben nach dem Höchsten zur Entsagung der sinnlichen Freuden zwinge und wie diese Entbehrung im Jenseits auf keinen Ausgleich hoffen dürfe. Diese Gedanken klangen aus in dem Gedichte Resignation", das beim ersten Druck auch die Überschrift „Eine Phantasie" trug. Wilh. v. Humboldt meint deshalb, „der durchgeführte Hauptgedanke müsse als vorübergehende Stimmung eines leidenschaftlich bewegten Gemütes angesehen werden. Das Gedicht trüge aber Schillers eigentümliches Gepräge an sich in der unmittelbaren Verknüpfung einfach ausgedrückter großer und tiefer Wahrheiten und unermeßlicher Bilder und in der ganz originellen, die kühnsten Zusammenseßungen begünstigenden Sprache." Zweifellos bezeichnet das Gedicht einen Wendepunkt in Schillers Leben, den Abschluß der Sturm- und Drangperiode und den Anfang einer ruhigen Entwickelung. II. Bur Erläuterung. Str. 1. Der Anfang der „Resignation“ (Verzichtleistung, Ergebung) ist ein Anklang an eine Gemäldeunterschrift im Palast Colonna in Rom: Et in Arcadia ego" (Auch ich war in Arkadien). Nach Schillers Brief an Körner vom 8. Dezember 1787 wollte der Maler Reinhardt eine große Landschaft zu dem Et ego in Arcadia" malen. Auch Goethe gab seiner „Italienischen Reise" dies Wort als Überschrift. Es ist schon lange und sehr oft als geflügeltes Wort gebraucht und häufig angewandt worden. Das alte Arkadien war die mittelste Landschaft im Peloponnes und von einem einfachen, glücklichen Hirtenvolke bewohnt, das sein Glück und Behagen in Musik und Tanz, Poesie und Festfreude fand. Str. 2. Des Lebens Mai und der kurze Lenz sind die Jugendzeit, ja das ganze Leben. Der stille Gott ist der Genius des Todes; er taucht oder löscht die Fackel; das Leben entflieht, und totenstill wird's da, wo eben noch die Unruhe klopfte. Die Erscheinung flieht, d. h. das Leben wie eine Traumerscheinung. Str. 3. Die Brücke zur furchtbaren Ewigkeit ist Sarg und Grab. Furchtbar ist sie in ihrer Unfaßbarkeit und in ihren Geheimnissen. Der Vollmachtsbrief zum Glücke ist der Glücksanspruch, den jeder Mensch bei seiner Geburt für das Leben mitbekommt. Er ist unerbrochen, d. h. er hat seine Anweisung auf Lebensfreude nicht zur Geltung bringen können. Str. 4. Die verhüllte Richterin ist die Ewigkeit, die Schiller zuerst ehrwürdige Geistermutter nannte. Jener Stern ist die Erde, die frohe Sage die trostreiche Lehre, daß alle Entbehrungen des Diesseits durch reichen Ersaz im Jenseits vergolten würden. Str. 5. Des Herzens Krümmen sind die verborgenen Herzenswinkel mit ihren bösen und guten Gedanken, der Vorsicht Rätsel das unfaßliche Walten der Vorsehung, das Rechnung halten mit den Leidenden der Ausgleich aller Ungerechtigkeiten, die Vergeltung des Leidens durch Freuden. Str. 6. Das Götterkind Wahrheit hielt meines Lebens raschen Zügel an, d. h. die Wahrheit, die vom Himmel stammt, fesselte mich schon früh und gebot mir Halt auf dem rasch und unbesonnen durcheilten Lebenswege. Str. 7. Das Wahrheitsstreben forderte meine Jugend mit ihren Freuden und gab mir dafür eine Anweisung auf Vergeltung im Jenseits. Str. 8. Deine Schmerzen (über den Verlust deiner Jugendgeliebten) wuchern, d. h. tragen reichliche Zinsen, jenseits der Gräber, d. h. im ewigen Leben. Zu diesem Glauben (in den ersten 8 Strophen) hohnlächelt die Welt: „Die Schuldverschreibung (über Ersaß im Jenseits) lautet an die Toten, welche dieselbe niemals einlösen werden. Die Lügnerin (Religion und Philosophie), gedungen von Despoten, um die Massen zu bändigen, hat dir statt der gesuchten Wahrheit Schatten Lyrische Dichtungen. 3. Aufl. 24 |