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Nichts gibt der Neuzeit mehr einen eigentümlichen Charakter, nichts hat tiefer in das Gewebe ihres Lebens eingegriffen, nichts entscheidet in ihr mehr über Wahrheit oder Unwahrheit alles Unternehmens als die Wissenschaft; ein ,,Reich der Philosophie und der Wissenschaften" verkündete schon Bacon (1561-1626) mit begeisterten Worten, ein solches Reich ist in Wahrheit durch jahrhundertlange Arbeit entstanden und umfängt heute uns alle mit überlegener Macht. So muss das Christentum eine ungeheure Erschütterung erleiden, wenn es mit der neuen Wissenschaft in Konflikt gerät, in Konflikt nicht nur hie und da, sondern durch das Ganze der Gedankenwelt, in Konflikt nicht bloss bei den Ergebnissen, sondern in der Gesamtart des Lebens und Strebens. Kann die Religion die Probe der Wissenschaft nicht bestehen, so wird sie leicht aus dem Kern zu einem nebensächlichen Anhange des Lebens, ja zu einer leeren Einbildung. Denn bei diesen Fragen gibt es kein Mittelding; je höher der Anspruch war, desto tiefer muss der Fall werden, wenn er zusammenbricht. So verbietet sich hier jedes Ausweichen und jede Abschwächung; wie viel oder wenig uns Menschen an Wahrheit vergönnt ist, ausser Zweifel bleibt die Pflicht der Wahrhaftigkeit, und sie spricht zu uns nirgends dringender als an

Beiträge zur Weiterentwicklung der Religion.

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dieser Stelle. Sehen wir also, wie sich durch die Gesamtarbeit der Wissenschaft die Lage verändert hat, verfolgen wir, inwiefern das der überkommenen Form der Religion widerstreitet, prüfen wir, ob dieser Angriff über jene Form hinaus auch das innerste Wesen der Religion trifft, oder ob vielleicht auch das härteste Nein schliesslich als ein Mittel dazu dienen mag, eine weitere und wahrhaftigere Gestaltung der Religion herbeizuführen. Denn gar nicht selten hat der Verlauf der Weltgeschichte gezeigt, dass Bewegungen völlig anders ausliefen, als den Handelnden selbst vorschwebte: oft hat zur Zerstörung gewirkt, was aufbauen wollte; oft aber auch erwies sich als eine Kraft der Verjüngung und Erneuerung, was auf Vernichtung ausging. Zerlegen wir aber zugunsten der Anschaulichkeit die Untersuchung in drei Abschnitte, indem wir nacheinander das Verhältnis der Religion zur Naturwissenschaft, zur Geschichte, zur Psychologie betrachten; schliesslich sei das Ganze in einen Anblick zusammengefasst.

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I. Naturwissenschaft und Religion.

Der Zusammenstoss der Wissenschaft mit der Religion ist nirgends augenscheinlicher als bei der Natur; die überkommene Form der Religion ist untrennbar verwachsen mit einem Naturbilde, das sich der neueren Forschung als völlig unhaltbar erwiesen hat; indem wir aber anderes in der Natur sehen lernten, ist auch unser eignes Verhältnis zu ihr verändert und sind dabei die tiefsten Grundlagen der religiösen Ueberzeugung in Erschütterung geraten. - Die Naturauffassung des kirchlichen Christentums entspricht noch jener naiven Denkweise, welche den Menschen als den Mittelpunkt des Alls behandelt, den sinnlichen Eindruck für das Wesen der Dinge nimmt, mit kindlicher Unbefangenheit menschliches Empfinden und Begehren in die Aussenwelt hineinsieht. Das griechische Altertum hatte auf seiner Höhe aus dieser naiven Naturansicht ein zusammenhängendes Weltbild entwickelt, dessen künstlerischer Reiz auch da fortwirken mag, wo die wissenschaftliche Unhaltbarkeit deutlich durchschaut wird. Die ganze Natur bildet hier ein zusammenhängendes, wohlgefügtes Ganzes, einen lebensvollen Kosmos; sein fester Mittelpunkt ist die Erde, um sie kreisen,

in durchsichtigen Kristallschalen, in Sphären befestigt (da eine freischwebende Bewegung unmöglich dünkte), die Gestirne vom Monde bis zu den Fixsternen, die zusammen einer einzigen Sphäre angehören. Diese Weltkugel ist wie abgeschlossen nach aussen, so genau durchgebildet im Jnnern; alles Einzelne hat hier seinen festen Platz und sein besonderes Werk; die Bewegungen, vor allem die der Gestirne, verlaufen nicht ins Grenzenlose, sondern sie kehren von Zeit zu Zeit an den Ausgangspunkt zurück und zeigen so im Wandel selbst einen festen. Rhythmus. Unwandelbar erhalten sich auch durch alles Werden und Vergehen der Individuen hindurch die Gestalten der Lebewesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dies Kunstwerk aber ist vom Ganzen her bis in alles Einzelne hinein voll seelischen Lebens. Wohl hatte eine gereifte Denkweise die ältere mythologische Vorstellung von Göttern und Geistern in Baum und Quell, in Berg und Luft überwunden. Aber sie hatte sie mehr weitergebildet als völlig aufgegeben. Denn auch auf der Höhe griechischer Kultur bleibt die Natur ein Reich innerer Kräfte und Begehrungen, die Elemente suchen und fliehen einander, das Feuer verlangt nach oben, der Stein nach unten, durch alle Fülle der Gestalten aber geht ein lebendiger Strom der Bildung aufwärts bis zum Menschen, der die abschliessende Höhe der gesamten Natur bedeutet. So gestellt kann er die umliegende Welt bis zur Tiefe durchschauen und in dem scheinbar Fremden sich selbst wiederfinden. So ein sicheres Verhältnis des Menschen zur grossen Natur, ein leichtes und freudiges Ueberströmen der Kräfte vom einen zum andern.

Dies Naturbild beherrscht im grossen und ganzen die Gedanken bis ins 17. Jahrhundert hinein. Das Christentum hat es nicht verlassen, sondern nur ins Religiöse umgebogen. Den Ausgangspunkt des Lebens bildet nun die überweltliche Gottheit, die Welt wird ein Werk ihrer Weisheit und Güte, ein Zeugnis ihrer Herrlichkeit. Zugleich wird der Mensch durch sein Verhältnis zu Gott über alles blossnatürliche und tierische Sein weit hinausgehoben, bei ihm liegen die Wendepunkte der Weltschicksale, sein Tun und Lassen, sein Fall und sein Auferstehen entscheidet über das Schicksal des Alls. Auch die niedere Natur scheint voller Hindeutungen auf den Kern des Ganzen, auf das erschütternde Drama, dessen Mittelpunkt

das Leben und Leiden des Erlösers bildet. So eine innige und sinnige, aber durchaus subjektive und unwissenschaftliche Naturauffassung, eine Auffassung, die, wie die Greuel des Hexenwahns zeigen, auch dem krassesten Aberglauben offensteht.

Dies Bild ist nun durch die unermüdliche, bald kühn vordringende, bald besonnen nachprüfende Arbeit der modernen Naturwissenschaft gründlich zerstört und durch ein völlig anderes ersetzt worden. Es lassen sich aber in jener Arbeit drei Hauptstufen und Leistungen unterscheiden, von denen jede folgende die früheren bestärkt und verstärkt: die Revolution der Astronomie durch Kopernikus im 16., die Begründung einer exakten Naturwissenschaft durch Galilei und Descartes im 17., die Aufbringung einer naturwissenschaftlichen Entwicklungslehre vornehmlich durch Darwin im 19. Jahrhundert. Punkt für Punkt hat sich dabei das Verhältnis des Menschen zur Natur verschoben. Zuerst ist sein Lebensbereich kläglich zusammengeschrumpft gegenüber der Unendlichkeit der Welt, die jetzt erst auch dem geistigen Auge des Menschen aufgeht; dann hat die grosse Natur eine volle Selbständigkeit gegenüber dem Menschen gewonnen und alle Einmengung seelischer Grössen als eine unerträgliche Verfälschung abgewiesen; endlich hat die Natur den Menschen ganz und gar an sich zu ziehen und in ein blosses Naturwesen zu verwandeln gesucht. Sehen wir nun, wie tief durch diese Veränderungen die eingewurzelte religiöse Vorstellung getroffen wird.

Die vollen Konsequenzen der kopernikanischen Umwälzung sind erst allmählich deutlich geworden, aber nicht ohne Grund hat man sich von Anfang an dagegen nicht nur auf katholischer, sondern auch auf protestantischer Seite mit aller Kraft gesträubt. Denn in Wahrheit wurde das gesamte Anschauungsbild der Wirklichkeit, das die ältere religiöse Ueberzeugung trug und dem Menschen nahehielt, bis in seine Grundzüge hinein zerstört. Es entfiel nunmehr der freie Raum, welcher früher der religiösen Phantasie jenseits der Sterne offenstand, es entfiel der Gegensatz von Himmel und Erde, der so tief in das christliche Dogma (man denke nur an die Himmelfahrt) eingreift, innerhalb des Raumes war nun kein Platz mehr für ein Jenseits. Hatte Laplace unrecht, wenn er Napoleon gegenüber vom Standpunkt der blossen Astronomie aus die An

nahme einer Gottheit als eine überflüssige Hypothese bezeichnete? Und indem zunächst die Sonne zum Mittelpunkt wurde, dann aber über das Sonnensystem hinaus sich Welten über Welten bis in schwindelnde Fernen eröffneten, sank der Wohnplatz des Menschengeschlechts herab zu winziger Kleinheit. Widersprach es nun nicht dem natürlichen Eindruck der Dinge, dass, was auf dieser kleinen Erde, diesem der Unendlichkeit gegenüber verschwindenden Stäubchen, vorgeht, über das Wohl und Wehe der unermesslichen Welt entscheidet, dass dieser Trabant eines nicht weiter ausgezeichneten Fixsterns geistig den Mittelpunkt des gesamten Weltalls bildet? Als einen solchen Mittelpunkt aber hatte ihn das ältere Christentum in seinen Hauptlehren von Weltschöpfung und Weltgericht, von Sünde und Gnade behandelt; kann es sich selbst noch weiter als Weltmacht behaupten, wenn es nur besondere Erlebnisse dieses Weltstäubchens vertritt?

Aber so bedeutend und folgenreich diese Wandlung ist, sie betrifft mehr die Ausdehnung als das innere Gefüge der Natur. Dieses aber erfährt eine gänzliche Umwandlung durch das Aufkommen einer exakten Naturwissenschaft, das sich unter der Führung von Galilei (1564-1642) und Descartes (1596—1650) vollzog. Solche Begreifung verlangt vor allem eine gründliche Entfernung aller seelischen Grössen aus der Natur, die Verbannung aller inneren Kräfte, Triebe und Zwecke, die Anerkennung des Unvermögens der Seele, von sich aus körperliche Dinge zu bewegen und zu gestalten. Die ganze Welt draussen wird jetzt ein Komplex von Bewegungen seelenloser Massen; die bunten Eigenschaften, welche die Natur dem Beschauer entgegenzubringen scheint, gelten jetzt als von der Seele in die Natur hineingetragen und dem eigenen Bestande der Dinge fremd; unter Auflösung des ersten Bildes dringt jetzt die Denkarbeit weiter und weiter zu kleinsten Elementen vor und findet ihre höchste Aufgabe darin, die einfachsten Wirkformen dieser Elemente, d. h. aber die Naturgesetze, zu ermitteln. Je mehr solche Erkenntnis sich befestigt, desto einfacher wird in aller unermesslichen Fülle der Erscheinungen der innere Bau der Natur, desto strenger verketten durchgehende Kausalzusammenhänge alles Geschehen, desto augenscheinlicher wird die Geschlossenheit des Ganzen. Das stösst in seiner Entwicklung

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