Theure Collegen in Stadt und Land! Es ist gewiß Niemandem von Ihnen entgangen, wie namentlich die elementare Pädagogik der neueren Zeit wie der ihre ganz besondere Aufmerksamkeit einem Unterrichtsgegenstande zugewandt hat, der bis vor Kurzem in der Schule nicht nur sehr vernachlässigt, sondern fast ganz aus derselben verschwunden war, wir meinen das evangelische Kirchenlied. Es ist von Kirchen- und Schulbehörden, in pädagogischen Büchern und Zeitschriften, von Männern der Kirche und der Schule, von Freunden des Volkes und der Jugend auf die Wichtigkeit desselben für die Schule hingewiesen und seine Bedeutung für dieselbe geltend gemacht; es ist auch schon Manches gethan, um ihm praktisch und thatsächlich zu seinem Rechte zu verhelfen und ihm den Weg und Eingang in die Schulen und Unterrichtsanstalten zu bahnen. Wir unsrerseits stimmen diesen Bestrebungen aus vollem Herzen bei, ja wir wünschten sie noch weiter ausgedehnt, auch auf höhere Schulen angewandt zu sehen; wir glauben auch von Ihnen annehmen zu dürfen, daß Sie ebenso von der Wichtigkeit dieser Bestrebungen überzeugt sind; wenigstens wird doch das gewiß bei allen Denjenigen der Fall sein, die den hohen Werth unsrer herrlichen Kirchenlieder erkannt und erfahren, ihren Einfluß und ihre erfolgreiche Wirkung auf die Herzen und das Leben der Menschen namentlich der Jugend kennen, bei allen Denen, die überhaupt noch eine heilige Poesie und geistlichen Gesang lieb haben und durch sie die Seelen der Menschen geheiligt, geläutert und zu Gott erhoben sehen möchten. Wir glauben aber auch andererseits, daß zur wirklichen praktischen Ausführung, zur eigentlichen Realisirung der angedeuteten Bestrebungen von Seiten der Schule, und zur völligen Erlangung des gesuchten Zieles noch Manches zu thun, noch mancher Schaß erst zu heben, noch manche Hülfe -- zu schaffen ist, und daß erst noch viele Köpfe und Herzen, mancher Mund und manche Hand werden thätig sein müssen. Vor Allem schien uns den Lehrern ein Bu nöthig zu sein, welches sowohl tiefer in den Geist und in die Geschichte und Kenntniß der Kirchenlieder einführte, Is auch namentlich Anleitung zur Behandlung derselben in d Schule gäbe oder doch den Weg dazu wiese. Darum ho sen wir, wenngleich von unsrer Schwachheit überzeugt, in dieser wichtigen Sache Hand ans Werk gelegt und den Versuch gemacht, solchen Weg zu zeigen und zu einer zweckmäßigen und will's Gott fruchtreichen Behandlung des Kirchenliedes in der Volksschule Winke und Mittel zu geben. Wir bieten Ihnen hiermit eine Geschichte und Erklärung der gangbarsten evangelisch-deutschen Kirchenlieder, unter beson derer Bezugnahme auf die Volksschule und ihre Lehrer" bearbeitet dar, und empfehlen sie Ihrer besonderen Benugung. Möchte diese mit solcher Freudigkeit geschehen, wie wir mit großer Freudigkeit und Liebe gearbeitet haben! Möchte unsre Arbeit Sie alle dazu ermuntern, daß Sie die sem wichtigen und heiligen Unterrichtsgegenstande Ihre volle Aufmerksamkeit widmen; möchte sie Ihnen ein Wegweiser werden, wie Sie jene heiligen Poesien mit Segen in ihren Schulen anwenden, wie Sie sie den Kinderseelen recht nahe bringen und zugänglich machen sollen, wie Sie durch sie von früh an der Jugend kindlich fromme Herzen, edle Gemüther und lautre Gefühle einflößen und ihr in denselben einen Schat zubereiten sollen, aus dem sie für alle Lagen ihres Lebens einst Kraft und Stärke, Trost und Vertrauen, Frieden und Ruhe schöpfen können! Gebe der Herr, dem einst diese Lieder gesungen sind und zu dessen Ehre auch wir haben arbeiten wollen, seinen Segen, daß auch durch diese Arbeit sein Name gepriesen und sein Reich gefördert werde! Wittenberg u. Jüterbog im Januar 1851. Liere. Rindfleisch. Vorbemerkungen. Es könnte zunächst auffallen, vielleicht hie oder da selbst Vor urtheile gegen diese Schrift erwecken, daß sie die Namen von zwei Verfassern an ihrer Spiße trägt, also nicht aus Einem Kopfe und Einem Herzen hervorgegangen zu sein scheint. Wir geben gern zu, daß bei einer Schrift dieser Art ein solches Bedenken weit eher und leichter entstehen kann und auch gerechtfertigter wäre als etwa bei einem von zwei oder mehreren Verfassern herausgegebenen Lesebuche; wir sehen aber, zur Hebung jenes Bedenkens, sogleich hinzu, daß unsre Ansichten und Bestrebungen theils überhaupt so verwandt und übereinstimmend, sodann aber namentlich in Bezug auf das Kirchenlied und seine Benußung und Behandlung in der Schule so eins und identisch sind, daß wir getrost gemeinschaftlich an eine solche Arbeit gehen konnten; und wir thaten das um so lieber, als wir vereint das Werk um so eher beendigen und einem selbst von höherer Seite geäußerten Wunsche um baldige Publicirung der Schrift, willfahren konnten. Bei so gleichen Ansichten konnte es uns nicht schwer werden, daß wir uns auch über unsre beabsichtigte Schrift selbst, über die Anlage des Ganzen, über Materielles und Formelles derselben einigten; ja wir glauben diese Einigung so weit erreicht zu haben, daß sich kaum eine merkliche oder wesentliche Differenz zwischen den von dem Einen und dem Andern bearbeiteten Partien finden wird. Sollte aber hie oder da auch wirklich eine solche vorhanden sein, so kann die insofern dem Ganzen keinen Eintrag thun, als doch jedes einzelne Lied wieder ein Ganzes für sich bildet. Niemals aber ist ein und dasselbe Lied, nicht einmal ein und dieselbe Klasse, getheilt von beiden Verfassern behandelt worden. = Schwerer fast als die angedeutete Einigung ist uns die Auswahl der aufzunehmenden Lieder geworden. Ein Mal ist ja die Zahl der Kirchenlieder und selbst die Zahl vorzüglich guter Kernlieder so groß, daß eine Auswahl, ja sogar eine sehr beschränkte, statt finden mußte, da es doch nicht unsre Absicht sein konnte, auch nur alle Kernlieder erklären zu wollen. Sodann aber wird derjenige, der solche Lieder erklärt und sich in sie vertieft, so von ihnen angezogen und mit solchen Reizen von einem zum andern geführt und gefesselt, daß er oft nicht weiß, welches er hintanseßen, welches er ausschließen soll. Und doch mußten wir uns ein Ziel stecken. Wir thaten das in der Weise, daß wir, dem besondern Zwecke unsrer Arbeit entsprechend, den Beschluß faßten, zunächst die 46 von dem Königl. Schulcollegium der Provinz Brandenburg für die Schullehrer Seminarien und Präparanden Anstalten vorgeschriebenen Gesänge *) aufzunehmen, sodann aber noch diejenigen hinzuzufügen, die in der evangelischen Kirche am gangbarsten und gebräuchlichsten, im Volke am meisten bekannt und beliebt, und der Schule am angemessensten sind. Wir handelten aber auch in diesem Punkte nicht nach eigenem Gutdünken, sondern folgten dabei, der Hauptsache nach, der kleinen weit verbreiteten, namentlich in Schulen und Unterrichtsanstalten gebrauchten Sammlung,,geistlicher Lieder für Schule und Haus“ von Otto Schulz, die gewiß am meisten unter allen Sammlungen eine richtige Auswahl getroffen hat. So enthält denn unsre Schrift die genannten 46 Lieder ohne Ausnahme (wir haben sie mit einem * bezeichnet); außerdem einen großen Theil der anderen in der genannten Sammlung enthaltenen Lieder; nur sehr wenige haben wir nach eigener Wahl hinzugefügt; fast wider Willen mußten wir uns bei den leßteren selbst ein Halt! zurufen. Die Zahl (im Ganzen 82 —) scheint uns groß genug zu sein, um das darzuthun und zu leisten, was wir wollten: die Hauptlieder der evang. Kirche sind literär-historisch, materiell und formell behandelt und erklärt; wir hoffen, es wird sich aus der Erklärung ersehen lassen, wie Kirchenlieder überhaupt behandelt und erklärt werden müssen; wir hoffen auch, daß unsre Behandlung denjenigen, der sie benußt, tiefer in die Gesänge, in die Lieder- und Gesangbuchskunde hineinführen und zu eigenem *) S. Schulblatt für die Provinz Brandenburg, Jahrgang 1840, S. 248-252. |