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Jahresbericht für 1905-06,

erstattet in der Generalversammlung vom 23. April 1906 durch den zweiten Vizepräsidenten.

Mit einem Trauerklange eröffnet unsere heutige Versammlung: zwei wertvolle Männer, die uns angehörten, sind nicht mehr. Am 20. August vorigen Jahres ist Heinrich Bulthaupt, am 24. desselben. Monats Albert Cohn gestorben. Unser diesjähriges Jahrbuch wird Aufsätze von Edmund Fritze in Bremen und von Robert Prager in Berlin bringen, in denen Wirken und Persönlichkeit der beiden. Dahingegangenen eingehend gewürdigt wird — sei auf sie verwiesen, und sei neben dem ausführlichen, geschriebenen, dem lebendigen Worte nur ein kurzer, erinnernder Rückblick gestattet: verschieden waren beide an Alter als sie starben, der eine noch nicht 56, der andere über 78 Jahre alt. Verschieden in ihrer Betätigung, der eine ein schaffender Dichter, ein nachempfindender Beurteiler, ein Dramaturg der andere ein Mann des Buches, im umfassenden Sinn: ein Wiederauffinder verschollener und verloren geglaubter Schriften, ein Herausgeber dieser Schriften, die er zum handlichen Buche gestaltete, ein Sammler, nicht des gedruckten nur, sondern auch des handschriftlichen Wortes, ein Bibliograph. Gleich waren sich beide darin, daß sie rastlos und rückhaltlos aufgingen in ihrer Tätigkeit, daß Gegenstand ihrer Tätigkeit die Literatur, und nur die Literatur war und daß als Kern und Mittelpunkt darin die Beschäftigung mit Shakespeare stand. Wenn Sie im Nekrolog Heinrich. Bulthaupts das Verzeichnis seiner Werke lesen, werden Sie erkennen, wie rastlos dieser Mann bis zum letzten Atemzuge gewesen; wenn Sie den Nachruf nach Albert Cohn lesen, werden Sie erfahren, daß dieser achtundsiebzigjährige Mann noch die Kraft der Jugend besaß, mit der Zeit der Jugend, der Zukunft zu rechnen, indem er Pläne entwarf, deren

letzte Ausführung er Nachfolgern hinterlassen mußte. So hat nicht unsere Gesellschaft nur, sondern ganz Deutschland mit dem Tode dieser beiden einen Verlust erlitten; und wenn Richard Wagners Wort wahr ist und ich für meine Person halte es für sein wahrstes und schönstes «Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbstwillen tun», dann darf, um wieder mit Shakespeare zu sprechen, «die Natur aufstehen und der Welt verkünden»: dies waren zwei deutsche Männer!

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Sei es von Albert Cohn noch bemerkt, daß er seit dem Beginn der Shakespeare-Gesellschaft dieser angehört hat, deren Mitbegründer er 1864 war, und daß er sterbend dieser seiner, unserer Gesellschaft ein Legat von 5000 Mark vermacht hat.

Wenden wir uns von diesen leidvollen Dingen dem Leben wieder zu, und zu dem, was sich im Laufe des Jahres wichtiges für unsere Gesellschaft begeben hat, so erscheint als bedeutsames Ereignis die im Spätherbst vorigen Jahres zum fertigen Werk gewordene, von Wilhelm Oechelhäuser veranlaßte Revision der Schlegel-Tieck'schen Shakespeare-Übersetzung durch Professor Hermann Conrad. Ich bin mir bewußt, daß ich damit ein schwieriges Thema berühre, und Sie werden es begreifen, wenn ich mich jeden sachlichen Eingehens auf die Veröffentlichung enthalte. Noch ist diese Veröffentlichung Gegenstand der Kontroverse, eines teilweise erbitterten Dafür und Dawider. Von Professor Richard M. Meyer werden Sie im diesjährigen Jahrbuch einen kritisch eingehenden Aufsatz darüber finden. Eins aber kann heut schon über das Werk gesagt werden, und soll gesagt sein: mag die Stellung Conrads den früheren Übersetzern gegenüber sein, welche sie wolle, mag man die Revision dieser früheren Übersetzungen für gerechtfertigt halten oder nicht die Stellung Conrads Shakespeare gegenüber ist unzweideutig und unzweifelhaft die der aufopferungsbereiten Hingebung. Nur aufopfernder Eifer konnte in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Arbeit so großen Fleißes fertig bringen. Hingebung an das Original äußert sich in dem Bestreben des Verfassers, in seiner Übersetzung dem Shakespeare'schen Worte möglichst wortgetreu zu folgen. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, wird unsere Gesellschaft Herrn Professor Conrad Achtung und Anerkennung nicht vorenthalten dürfen. Und es eröffnet das Unternehmen Conrads einen Ausblick in literarisch und kulturhistorisch interessante Verhältnisse. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit wieder einmal die Tatsache zu Gemüt geführt, daß seit der Schlegel-Tieck'schen bis zu der Conrad'schen Übersetzung

eine ganze Anzahl von anderen Übersetzungen entstanden sind. Wir gewinnen dadurch ein greifbares Bild von der wahrhaft phänomenalen. Wirkung, die der britische Dichter auf den deutschen Geist geübt hat und immer noch ausübt. Und parallel mit der Intensität seiner Wirkung auf unser nationales Geisteslebens geht die Macht seiner Ausbreitung über die gesamte Kulturwelt. Ein sprechender Beweis hierfür wird uns heute geliefert, indem ein Amerikaner, Herr Professor Dr. George B. Churchill vom Amherst College in Massachusetts unter uns erscheint, um heute, hier, in der Stadt der deutschen Dichter, im Mittelpunkt der literarischen Tradition Deutschlands, die Festrede über Shakespeare zu halten. Wie schon so manchesmal ist dadurch Weimar zum Ort eines internationalen Vorgangs gemacht. Wir begrüßen das.

Wir begrüßen Herrn Professor Churchill, von dem wir wissen, daß er sich durch Herausgabe eines guten Buches über die Sage von Richard III. bis zu den Tagen Shakespeares Verdienste um den Dichter erworben hat.

Und nachdem ich mich dieser erfreulichen Pflicht entledigt habe, bitte ich Sie, noch einige Gedanken kurz entwickeln zu dürfen, zu denen ich mich angeregt fühle, indem ich auf den internationalen. Charakter blicke, der unserer heutigen Versammlung durch das Erscheinen des amerikanischen Gastes aufgeprägt ist: Sie alle kennen die Bestrebungen, die seit beinah Jahr und Tag ins Werk gesetzt werden, um die verloren gegangene geistige Fühlung zwischen Deutschland und England wiederherzustellen. Inmitten dieser Bewegung steht unausgesprochenermaßen die deutsche Shakespeare-Gesellschaft, denn jeder dieser von deutscher Seite an Englands Adresse gerichteten Wiedergewinnungsversuche gipfelt in dem Satze «vergeßt nicht, daß wir etwas Gemeinsames besitzen, den großen Dichter, den Ihr erzeugt, den wir zu dem unseren gemacht haben». Echt deutsch ist es ja nun, daß wir annehmen, wir könnten einen Streit, in dem es sich wesentlich um materielle Interessen handelt, durch den Hinweis auf ein gemeinsames ideales Besitztum zum Frieden versöhnen. Damit aber der schöne Vorsatz zu einem wirklichen Ergebnis, nicht zu einer Enttäuschung führe, scheint es mir nötig, daß wir in den vielfach unklaren Empfindungen, die uns dabei leiten, Klarheit schaffen, und das kann nirgends besser geschehen, als hier, am zentralen Sitze des deutschen Shakespeare-Kultus. Es scheint mir nötig, daß wir uns einmal Rechenschaft darüber geben, inwieweit dieser gemeinsame Besitz denn wirklich ein solcher ist. Wir haben uns nämlich

im Laufe der Zeit so daran gewöhnt, Shakespeare als den unseren zu betrachten, daß wir beinah dahin gelangt sind, ihn als eine. deutsche Persönlichkeit zu empfinden. Das ist, meines Erachtens, ein Irrtum, der zu gefährlichen Folgerungen führen kann. Nur durch die Arbeit, die wir Deutsche an ihm getan haben, ist er der unsere geworden, aus sich selbst nicht. Shakespeares Persönlichkeit ist durch und durch englisch; er ist ein straffer englischer Nationalist. Ihm daraus einen Vorwurf zu machen, wäre ich gewiß der letzte. Alle großen Dichter sind leidenschaftliche Söhne ihres Vaterlands gewesen. Als Aeschylos starb, schrieb er auf seinen Grabstein kein Wort von seinen dramatischen Taten; das einzige, was er rühmend von sich erwähnte, war, daß er bei Marathon für sein Vaterland gekämpft hatte. Aber wenn wir Shakespeare aus seiner nationalen Gesinnung keinen Vorwurf machen, so dürfen wir doch auch nicht die Augen davor verschließen. Wir dürfen, wenn wir die feierliche Ansprache des Bastard Faulconbridge im « König Johann» lesen, «dies England lag noch nie und wird auch nie zu eines Siegers stolzen Füßen liegen, den beinah unbändigen Stolz in den letzten Worten dieser Ansprache nicht überhören: << So komme nur die ganze Welt in Waffen, wir trotzen ihr; nichts bringt uns Weh und Reu, bleibt England nur sich immer selber treu. >> Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, daß dieses Nationalitätsgefühl sich stellenweise zur Ungerechtigkeit steigert, wenn wir in « Heinrich VI.» lesen, in was für einem grausam verzerrten Bild sich eine Gestalt wie die der Jungfrau von Orleans in Shakespeares Auffassung widergespiegelt hat.

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Das Endresultat nun von diesen Ausführungen? Es ist der Rat, den ich geben möchte, daß, wo wir die seelische Harmonie zwischen. uns und anderen Nationen getrübt sehen und das Bedürfnis empfinden, Zuflucht zu einer über uns und ihnen waltenden großen Persönlichkeit, wie zu einer Gemeinsamkeit zu nehmen, in der wir uns mit ihnen zusammenfinden können, wir dieses vermittelnde Element in einer tieferen Anschauung suchen, diese Gemeinsamkeit auf eine breitere Grundlage stellen sollten, als es in den erwähnten Adressen für gewöhnlich geschieht. Zwei Gewalten, so sollten wir zu den entfremdeten Nationen sprechen, sind über der Menschheit, von denen die eine alles das enthält, was die Menschenseele unglücklich, die andere alles, was sie glücklich machen kann. Das ist auf der einen Seite die Wirklichkeit auf der anderen die Phantasie. Im Schoße der Wirklichkeit ruhen all' die Mächte, die die Menschen von einander

reißen, die materiellen Interessen, die Sucht, mehr zu haben, mehr zu sein, als der andere, Selbstsucht, Habsucht und Herrschsucht. Die Phantasie dagegen umschließt alles, was die Menschenseelen, indem es sie ablenkt von den ewig egoistischen materiellen Interessen, in der Gemeinsamkeit eines großen, uneigennützigen Gefühls zusammenführt.

Denn Phantasie, wie ich sie verstehe, ist nicht eine geistige Spielerei, sondern der Inbegriff aller geistigen Betätigungen, im Gegensatz zu den sinnlichen. Phantasie ist auch nicht Aufhebung der vernünftigen Lebensbedingungen, sondern die Umdeutung derselben zu einem weisheitsvolleren Zusammenhang, als der Alltag und Eintag ihn gewährt. Alle segenbringenden Mächte der Phantasie vereinigen sich in deren letztem und höchstem Produkt, im Kunstwerk. Das große Kunstwerk ist die Erlösung, der große Künstler der Erlöser der Menschheit. Nur selten aber gelingt der unablässig schaffenden Menschheits-Phantasie dieses Höchste und Letzte. In Jahrhunderten ein einziges Mal erscheint solch einer, dem es gegeben ist, ein Werk hervorzubringen, das alle Elemente der wirklichen Welt in sich schließend, eine wahre und doch keine wirkliche, sondern eine über dieser stehende Welt darstellt.

Solch ein geheimnisvoller, von unerklärlichen Seelenkräften genährter Mensch war Shakespeare.

Der deutsche Geist, erlösungsbedürftiger als der Geist anderer Nationen, verständnisvoller für das allen Menschen Gemeinsame, als die Seele anderer Nationen, hatte die Werke dieses Dichters kaum kennen gelernt, als er sogleich empfand, daß hier eine Welt sich auftat, in der es wirklich Erlösung von der Wirklichkeit gab, eine Welt, in der Menschen wirklich zusammen leben konnten als Angehörige einer großen Gemeinschaft, weil alles Leid der Ungerechtigkeit, womit der Alltag uns belastet, aufgehoben war durch den Ausblick in ewige Gerechtigkeit, weil die Stimmen der materiellen Interessen, die immer zum Krieg rufen, übertönt waren von einer Stimme, die den Menschen verkündete: «in dem Hause, wo ich wohne, ist Raum für alle». Darum, mit Inbrunst stürzte sich der deutsche Geist über Shakespeares Werke her. Er riß sie an sich, indem er sie in seine Sprache übertrug, in einer Übersetzung übertrug, die den Urtext meinem Urteil nach, stellenweis an Schönheit übertrifft. Es erging ihm dabei, wie es jemandem ergeht, der einen Berg ersteigt, oder der ins Meer hinuntertaucht: je höher man steigt, um so mächtiger wird der Berg, je tiefer man taucht, um so unergründlicher das Meer. In immer neuen Schönheiten leuchtete das Schnee- und Gletscher

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