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die Begründung der Herrschaft Carl's von Anjou über die Provence soviele getrennte Massen abtheilt.

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Die sehr ausführliche und höchst complizirte Untersuchung, welche Herr F. der epischen Poesie der Provenzalen widmet, hat nicht blos den Zweck, den Reichthum und die Bedeutung dieser bis dahin wenig beachteten Gattung in's Licht zu stellen. Sie zielt vielmehr vorzugsweise darauf ab, die Beziehungen aufzuklären, durch welche sie mit dem Epos des Mittelalters überhaupt verkuüpft ist. Das Resultat, zu welchem der Verfasser in Betreff dieses letteren Punctes gelangt, ist ohne Zweifel von der größten Wichtigkeit. Es ergiebt sich ihm nämlich, daß jene umfassenden epischen Dichtungen, die wir bei fast allen literarisch gebildeten Völkern des Mittelalters, wenn auch in mannigfach abweichender Gestalt, antreffen, ihre früheste Redaction nicht, wie man bisher angenommen hat, der nord- französischen (oder anglonormannischen), sondern der provenzalischen Literatur verdanken. Ob der mit einem großen Aufwande von Geist und Gelehrsamkeit durchgeführte Beweis ausreicht, müssen wir dahingestellt sein lassen; wir können nur in aller Kürze angeben, wie er geführt wird.

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Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die beiden Hauptgruppen des mittelalterlichen Gpos, von welchen bekanntlich die eine Carl den Großen, die andere Arthur und die Tafelrunde zum Mittelpuncte hat (Cap. 23), unterwirft Herr F. jeden dieser Kreise einer besonderen Betrachtung, die nicht blos den stofflichen Inhalt, sondern auch die formelle Composition der in sie fallenden Romane umfaßt (Cap. 24-27). Indem er sich sodann zur provenzalischen Poesie zurückwendet, zeigt er zunächst, anknüpfend an das, was über diesen Gegenstand bereits in einem früheren Abschnitte beigebracht worden, wie auch in der späteren Epoche derselben (d. h. also von den Troubadours), die erzählende oder epische Dichtgattung in großem Umfange angebaut wurde (Cap. 28). In den beiden folgenden Capiteln (29-30) werden dann endlich die directen und indirecten Zeugnisse aufgeführt, aus denen hervorgehen soll, daß die provenzalischen Dichter den wesentlichen Inhalt, sowohl des karolingischen wie des brittischen, an Arthur und den Graal sich anlehnenden Sagenkreises zu selbstständigen epischen Compositionen verarbeitet haben. Diese Dichtungen verbreiteten sich später (in der zweiten Hälfte des 12ten Jahrb.), ebenso wie die lyrischen Poesien, in den verschiedenen Ländern Europa's, wo sie überall, besonders aber im nördlichen Frankreich, bereitwillig aufgenommen, übersett, nachgeahmt und unter steter Einwirkung der örtlichen Sagen und Traditionen mannigfach modifizirt wurden. (S. 448.)

Nebrigens ist die Mehrzahl der älteren provenzalischen Romane, von welchen wir Kunde haben, für uns verloren *); nur wenige sind, theils in ihrem ursprünglichen Terte, theils in Uebersetzungen und Nachahmungen erhalten worden. Bon den wichtigsten unter diesen giebt der Verfasser im 3ten und legten Theile seines Werkes mehr oder minder eingehende Analysen. Es werden hier der Reihe nach zur Sprache gebracht: Ferabras (Cap. 31), Gerard von Roussillon (Cap. 32), Wilhelm Kurznase (Guillaume au Court-nez, Cap. 33), sämmtlich dem karolingischen Sagencyklus angehörig und mit Ausnahme des leßterwähnten Romans, noch im provenzalischen Urterte vorhanden. Dasselbe gilt von „Blandin von Cornouailles“ und „Jauffre und Brunissende“ (Cap. 34), beide aus dem bretonischen Kreise, während „Parceval“ (Cap. 35) nur noch aus der deutschen Bearbeitung Wolfram's reconstruirt werden kann. An_diese Grörterung der provenzalischen Öpen schließt fich (Cap. 36) der höchst interessante Bericht über eine der Form nach mit jenen Dichtungen nahe verwandte „Geschichte des Albigenser-Kriegs", die uns, von einem Zeitgenossen verfaßt, in provenzalischer Sprache vorliegt. ** **) · Um aber auch die

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*) Ein von Herrn F. entworfenes Verzeichniß derselben, welches außer den Titeln der betreffenden Dichtungen auch die ihre Existenz erweisenden Zeugnisse enthält, findet sich im Anhange zu unserem Werfe (S. 453-515).

**) Herr F. hat eine Ausgabe dieser poetischen Chronik für die Collection des documents inédits sur l'histoire de France besorgt; die umfassende Einleitung, welche er derselben vorausschickte, ist im „Anhange“ vollständig abgedruckt worden. (S.343—453.)

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jenigen Productionen der erzählenden Gattung, welche ihren Stoff aus den localen Traditionen oder aus der Spezialgeschichte des provenzalischen Landes entnehmen, nicht ganz zu übergehen, hebt der Verfasser im 37sten Capitel zwei derselben, die freilich, wie alle übrigen Reste dieser Classe nur noch in Uebersetzungen existiren, die „Geschichte von der schönen Magelone“ und „Aucassin und Nicolette" heraus. Mit dem meist wörtlich wiederholenden Auszuge, in welchem Herr F. die lehtge= dachte überaus anziehende Erzählung gebracht hat, schließt seine Darstellung der epischen Poesie.

In Betreff der vier letzten Abschnitte unseres Werkes (Cap. 38-41), welche den reichen Inhalt desselben nach mehr als einer Seite bin in erfreulicher Weise ergänzen, müssen wenige Worte genügen. Unter ihnen ist der erste: „Von der materiellen Organisation der provenzalischen Literatur", ohne Zweifel auch der interessanteste; er enthält so ziemlich Alles, was sich über die Lebensweise, die Wirksamkeit und die gegenseitigen Beziehungen der Troubadours und Jongleurs, dieser eigentlichen Schöpfer und Träger der provenzalischen Literatur, aus den überlieferten Nachrichten ermitteln läßt. Weniger fesselne, wenn auch nicht von geringerem Werthe ist die Erörterung der „Poetik der Troubadours", die sich namentlich mit dem Reime und dem metrischen Systeme dieser Dichter beschäftigt. Der dritte Abschnitt: „Troubadours und Trouvères" faßt in einer einheitlichen Darstellung zusammen, was vom Verfasser schon früher über den Einfluß, welchen die provenzalische Literatur auf die nordfranzösische ausgeübt hat, gelegentlich bemerkt worden ist. Der vierte endlich behandelt die nicht leicht zu lösende Frage, in wiefern die Poesie der spanischen Araber auf den Ursprung und den eigenthümlichen Charakter der südfranzösischen Dichtung bestimmend eingewirkt hat.

F. Brockerhoff.

Denkmäler der deutschen Sprache von F. A. Pischon. Sechster Theil. 1ste Abtheilung 1850. 2te Abtheilung 1851. Berlin, Verlag von Duncker u. Humblot. 8.

Mit diesem 6ten Theile ist das Werk, das dem Publicum in einer Reihe von Jahren allmälig vorgeführt worden ist, geschlossen. Die 1ste Abtheilung umfaßt die Dichter vom Jahre 1813 bis jetzt, die 2te Abtheilung aber die Prosaiker vom Jahre 1750 bis auf die heutige Zeit. Was die Vertheilung des Stoffes betrifft, so hat sich der Verfasser durchaus an seinen Leitfaden zur Geschichte der deutschen Literatur gehalten (der jezt bereits in der 10ten Auflage erschienen ist). Er hat deshalb die Dichter nach folgenden Gruppen geordnet: 1) Vaterlandsdichter im groBen Freiheitskampfe (Schenkendorf, Körner, Rückert, Stägemann). 2) Dramatiker der sogenannten Schicksalstragödien (Zach. Werner, Müllner, Grillparzer). 3) Einzelne ausgezeichnete Dichter der besonderen Gattungen, nämlich a) epische: E. Schulze, Egon Ebert, Auersperg, Lenau, Pyrker; b) lyrische: Uhland, Wilh. Müller, G. Schwab, Just. Kerner, König Ludwig von Baiern, v. Eichendorff, L. Schefer, H. Heine, A. Knapp; c) didaktische: E. Raupach, Immermann, Platen, Grabbe. Die prosaische Abtheilung enthält in vier Abschnitten Proben a) aus Romanen, b) aus geschichtlichen Werken, c) aus der didaktischen Prosa, d) aus rednerischen Schriften. Der 1ste Abschnitt behandelt 1) den humoristischen Roman (Thümmel, Hippel, Jean Paul, E. T. A. Hoffmann, E. Wagner); 2) den empfindsamen Roman (J. M. Miller); 3) den komischen Roman (J. G. Müller); 4) den philosophischen Roman (Klinger, Benzel - Sternau); 5) den Kunstroman (J. J. W. Heinse) und 6) den Familien-Roman (Jung-Stilling, Lafontaine). Der 2te Abschnitt, der die geschichtliche Prosa behandelt, theilt Proben 1) aus geschichtlichen Werken im engeren Sinne (Joh. v. Müller, Archenholz, Woltmann, Manso, Planck, Niebuhr, E. M. Arndt, Raumer, Ranke); 2) aus Biographien (Varnhagen von Ense und Rahel); 3) aus Reisebeschreibungen mit (J. G. A. Forster, K. P. Morih, Seume, A. v. Humboldt, Pückler-Muskau). In dem 3ten Abschnitte, der

Archiv f. n. Sprachen. XIII.

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die didaktische Prosa umfaßt, werden die Satiriker (Lichtenberg) die Physiognomen (Lavater) und die Philosophen und Aesthetiker (Kant, F. H. Jacobi, Fichte, Schelling, Hegel, Herbart, Solger, K. C. F. Krause, W. v. Humboldt und Theremin) behandelt. Von den Rednern sind Zollikofer, Reinhard und Schleiermacher erwähnt worden.

Was die vorliegende Beispielsammlung vor vielen ähnlichen Werken auszeichnet, ist zunächst die diplomatische Genauigkeit, mit welcher der Verf. jedes einzelne mitgetheilte Bruchstück behandelt hat. Derselbe ist in dieser Beziehung so peinlich gewesen, daß er das, was er aus Herbart's, aus Krause's und aus Fichte's Schriften mittheilt, mit lateinischen Lettern_hat drucken lassen, weil die Originale so gedruckt waren. Von Fichte ist ein Bruchstück aus der „Anweisung zum seligen Leben“ mit lateinischen Lettern, die übrigen Beispiele aus Fichte's Schristen dagegen find mit deutschen Lettern gedruckt. Der Verf. wollte offenbar dadurch dem Leser ein möglichst treues Bild des Originals liefern. Ein zweiter Vorzug der Pischonschen Sammlung besteht darin, daß der Verf. entweder Stücke gewählt hat, die durch sich selbst verständlich waren, oder, wo dies nicht möglich war, den Inhalt des ganzen Werkes kurz angiebt, so daß der Leser das mitgetheilte Bruchstück im richtigen Zusammenhange aufsassen kann. Dies ist namentlich mit der Cäcilie von Schulze (S. 104), mit der Wlasta von Ebert (S. 146), dem Savonarola von Lenau (S. 174) 2. geschehen. Ein dritter Vorzug endlich, der rühmend erwähnt zu werden verdient, besteht darin, daß viele Bruchstücke mitgetheilt sind, die man in ähnlichen Sammlungen nicht findet. Dies gilt namentlich von dem Abschnitt, der die Philosophen und Aesthetiker behandelt. So ist von Kant ein Abschnitt (aus der Schrift: die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft) mit der Ueberschrift: „Gottseligkeit,“ ein anderer mit der Ueberschrift: „von den Bewohnern der Gestirne" (aus der allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels), von Schelling eine Stelle aus Bruno, von Hegel eine Stelle aus seiner Religionsphilosophie und eine andere aus seiner Aesthetik, von Herbart eine Stelle über den Hang des Menschen zum Wunderbaren, eine Rede zum Gedächtniß Kant's, und eine Stelle über das Verhältniß der Schule zur Kirche mitgetheilt.

Von jedem Schriftsteller, aus dessen Werken Stellen mitgetheilt find, giebt der Verf. die Lebensumstände und die Werke genau und vollständig an, und das Buch wird darum solchen Lesern eine willkommne Gabe sein, welchen nicht eine große Bibliothek zur Verfügung steht.

Lehrern der deutschen Literaturgeschichte namentlich können wir das Werk um so mehr empfehlen, als alle Beispiele so gewählt sind, daß sie Schülern vorgelesen werden können. Nur in Beziehung auf eine Stelle aus dem goldenen Kalbe von Benzel Sternau (S. 501 3. 13 von oben) würden wir Bedenken tragen.

Von Druckfehlern_ist_das Werk nicht ganz frei. So steht in der Vorrede zur 1ten Abtheilung S. VI. Schulz statt Schulze, in der zweiten Abtheilung S. VIII. Joh. Martin Müller, statt Miller, und Friedr. Heinr. Jakobi statt " Jacobi x. In dem Gedicht von H. Heine, das „Im Hafen“ überschrieben und S. 304 mit: getheilt ist, fehlt nach den Worten: „Für alle Völker,“ eine halbe Zeile: „Das find Männer!"

Der Verf. beabsichtigt noch einen Supplementband erscheinen zu lassen, der die neuesten lyrischen Dichter behandeln soll. Wir wünschen, daß er seinen Plan ausführen möge, weil sein Werk dadurch einen vollständigen Abschluß erhalten würde. Berlin. Dr. Kleiber.

Viertes Sprach- und Lesebuch. Ein Sprach- und Lesebuch für höhere Lehranstalten und Familien. Von G. Fr. Heinisch und J. L. Ludwig. Bamberg, 1852. Buchner'sche Buchhandlung. Schon seit geraumer Zeit sendet der Buchhandel helle Haufen von deutschen Lesebüchern, Mustersammlungen, Albums, kurz Sammelwerke classischer Prosa und

Poesie in die Welt und noch immer scheint weder das Bedürfniß noch die Lust der Verleger erloschen zu sein. Natürlich; haben doch die meisten dieser Werke nähere oder entferntere Beziehung auf die Schule und die Schule ist eine vortreffliche Kundin der Buchhändler. Wenn daher die Menge solcher Bücher ein erfreuliches Zeugniß ablegt von dem Eingang, den auch vaterländisches Wort und Lied mehr und mehr in unsern Schulen findet, so bleibt doch die Anwendung dieser Lehrmittel namentlich auf der höhern Bildungsstufe nicht ohne mannigfaches Bedenken. Um diese ins Licht zu sehen, unterscheide ich die zu besprechenden Bücher, a. in solche, welche die Literaturgeschichte, b. in solche, welche Stilistik, Rhetorik oder Poetif und c. in solche, welche nichts zum Princip haben, als das Streben Gutes und wahrhaft Mustergültiges zu bieten.

Was zunächst an den literarhistorischen Lesebüchern bedenklich erscheint, ist die Begünstigung und Förderung eines breiten flatternden Wissens, dem der Kern und Mittelpunkt fehlt. Die Literatur hat die Bestimmung, Gemeingut des Volks zu sein, und es entspricht dieser Bestimmung, daß sowohl äußerlich ein Jeder an die Werke derselben kommen, als auch innerlich jede Geisteskraft diese von einer oder der anderen Seite erfassen kann. Darum ist nächst der Musik die Literatur das gewöhnlichste Opfer jener anspruchsvollen Halbheit, die sich über den unbefangenen naiven Genuß zum Wissen, oder zur Beurtheilung erheben, oder wenigstens um alles in der Welt den schöngeistigen Schein dieser Erhabenheit gewinnen möchte. Nun scheinen die literarhistorischen Lesebücher den beiden Seiten jenes Dilettantismus einen gewissen Vorschub zu leisten, der Aeußerlichkeit des Wissens, wie dem Vorwizz des Urtheils, je nachdem die eine oder die andere Kraft im dilettirenden Geiste vorwiegt. Dem einen werden die beigebrachten Proben, vielleicht die reinsten und tiefsten Grgüsse einer durch und durch künstlerischen Seele, zum abstracten Gedächt nißhaft für den Namen des Dichters: „aber Namen sind uns Dunst,“ sagt Uhland. Der andere meint in dem einzelnen Stücke den ganzen dichtenden Geist zu haben und urtheilt frisch darauf los, gut oder schlecht, jenachdem das zufällig Gebotene feiner zufälligen Stimmung entsprochen hat.

Gewiß ist es wünschenswerth, die Literatur vor der Erniedrigung zu wahren, die ihr in jenem ersteren Falle geschah, da sie, die Königin, zu gemeiner bürgerlicher Magd heruntergesezt wurde, etwa wie in den lateinischen Elementargrammatiken der Vers, oder wir wollen sagen, Sylbenfall und Reim dem kindlichen Gedächtniß dient. Mehr aber und ernsilicher ist unserer Jugend zu wehren, daß sie nicht durch den genannten Vorwizz des Urtheils, durch vorgefaßte Neigung und Abneigung, durch diese Negativität des subjectiven Urtheils sich dem Genusse und der segensreichen Einwirkung der Literatur verschließt; eine Gefahr, die nur vergrößert wird, wenn das Buch selbst fertige Urtheile, oder Winke zur Beurtheilung giebt, die dem haltlosen Kunstgeschmack des jungen Menschen als unumstößliche Gesetze erscheinen, in die sich sein natürliches Gefühl hineingewöhnen muß. Bekanntlich ist dies dasselbe Bedenken, welches sich vielfach auch im literargeschichtlichen Unterrichte fühlbar macht, obgleich das lebendige Wort des Lehrers weit mehr jene starre Gesezesform vermeiden und sich mit Unterscheidung an die verschiedenen Individualitäten der Schüler wenden kann.

Literaturgeschichte obne Literatur ist ein Unding, jedenfalls kann es nichts Hohleres geben als sie. Die Proben aber, die ein literarhistorisches Lesebuch selbst bei ungewöhnlichem Umfange und bei verständiger Begrenzung des Zeitraums zu geben im Stande ist, können schwerlich ausreichen, die Jüdividualität des Talentes und die besondere Lebensstellung des Dichters zu klarer Anschauung zu bringen. Und daß dies nöthig ist, wird man gerade in unserm lyrischen Zeitalter nicht leugnen wollen. Den Homer, die Nibelungen und alle wahrhafte Volksdichtung mag man lesen ohne das Bedürfniß, durch das Product auf den Grund der producirenden Seele hinabzuschauen; wenn nur die Kenntniß des Volksganzen, seines Gemüths und seiner Sitten nicht fehlt. Seitdem es aber Dichter giebt, seitdem die Dichtung nicht mehr Gesammtausdruck des in sich eigenen Volksgemüths ist: seitdem ist es nicht bloß zur Würdigung, sondern auch zum vollen Genusse der literarischen Leistung nöthig, daß man in der Mannigfaltigkeit der Schöpfungen den Schöpfer als deren

Einheit finde. Nur so ist es möglich, daß der jugendliche Geist_in_freier Wahl, in sympathetischem Zuge sich einen Lieblingsschriftsteller unter den Dichtern seines Vaterlandes suchen kann, wie dies im Lateinischen und Griechischen schon immer von unsern reiseren Schülern verlangt ist. Und wiederum wird nur der, dem es gelun gen ist auf diese Weise einen Mittelpunkt seiner Studien zu finden, den rechten Halt gewinnen, sowohl für die Geschichte, als auch für die Würdigung der Litera tur; die Würdigung ist aber eben der Genuß, der sich selbst begreift. Ludwig Uh land sagt in dem Vorwort zu seinen Gedichten, die dem frischen Geist unserer Jugend nicht genug empfohlen werden können:

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In diesen Versen ist schön und klar ausgesprochen, was unserer jezigen Dichtung gegenüber noth thut; das Element der Bildung, das in ihnen liegt, wird nicht eher flüssig und ethisch wie ästhetisch wirksam, als bis man anfängt in der unend lichen Mannigfaltigkeit des Einzelnen die Einheit zu suchen; und diese Einheit kann nichts anderes sein, als „des Dichters ganz Gemüth", von dem aus man rückwärts wiederum das Einzelne um so tiefer und inniger begreifen wird. Als noch Rhapsoden und Volkssänger hier die Lieder von Troja, von Achilleus u. f. w., dort von Worms, von Siegfried und Dietrich durch das Land trugen, damals hatte man freilich in dem Kerne des Epos noch die ganze unaufgeschlössene Fülle der Poesie zusammen, und das Gemüth eines Dichters, das nur eine oder die andere Seite des ausein andergegangenen Lebens hat crfassen können, ist nur ein schwacher Ersag, aber es ist der einzige, den wir der Jugend bieten können. Statt der objectiven Einheit müssen wir mit der subjectiven zufrieden sein; ist es doch sicherlich schwerer, den einzelnen Geist eines Dichters zu erfassen, als zur Zeit des Epos den Geist des ganzen dichtenden Volkes.

Dieses Ahnen und allmähliche Finden des einheitlichen Grundes verschiedener Dichtungen, das für die Ausbildung_des ästhetischen wie des poetischen Gefühls überhaupt so nöthig erscheint, wird offenbar durch die literar-historischen Lesebücher nicht gefördert, die durch ihr Princip gezwungen sind, eine Masse des in Auffassung, Gegenstand und zeitlicher Entwicklung Verschiedenen vor die jugendliche Seele zu bringen; wobei es zugleich auf der Hand liegt, daß Manches mit unterlaufen muß, das der Geistesrichtung und dem Geschmack der Gegenwart zu fern steht, um noch einen andern als geschichtlichen Werth zu haben, und das daher unsere Jugend nicht durch sich selbst, nicht durch seinen Inhalt ansprechen und ergreifen kann.

Dies ist nun ein Uebelstand, den das formelle, oder wie ich es oben genannt habe, das stilistisch-rhetorische Princip mit dem literar-historischen ́theilt; wenn dort die literarischen Erzeugnisse zum Gedächtnißhaft wurden, so werden sie hier zu Beispielen, zu Beispielen irgend einer Form des Stils, bei denen wenigstens princis piell der Inhalt gleichgültig ist. Freilich kann hier ein emsiges Suchen und ver ständiges Wählen Vieles gutmachen, aber das System ist da, es will ausgeführt werden, es kann kaum vermieden werden, daß auch Stücke von geringerem Interesse der Form wegen Eingang finden. Darf man die Rechnung nicht ohne den Wirth, so soll man auch die Mahlzeit nicht ohne den Gast machen, der dieselbe genießen und bezahlen soll; der Gast ist aber hier die Jugend, und soweit ich sie kenne, kommt es der nicht auf abstracte Formen, nicht auf hohle Schalen, sondern auf die kräftigen Gerichte an, die man mitunter in den ausgesuchtesten Schalen vergebens sucht. Sind aber die Gerichte gut, sind die Proben der Lesebücher, von denen wir jest sprechen, wirklich auch ihrem Inhalte nach probat, so ist es wiederum schade, daß sie nur der Form nach betrachtet und gleichsam mit der Schale in das Auffassungsvermögen gebracht werden.

Zu dieser Klasse der deutschen Lesebücher gehört nun auch das vorliegende der Herren Heinisch und Ludwig, das auf 764 Seiten eine große Menge profaischer

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