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nüchtern prosaischen, aber ihres Zweckes wohlbewußten Thätigkeit hingab, so wird auch Tasso dadurch, daß er am wirklichen Leben sich betheiligt, völlig gefunden, dem Leben und der Dichtung, die sich gegenseitig heben und fördern, erhalten bleiben.

Daß der Kampf Tasso's bis zum endlichen Aufgeben seines idealischen Traumlebens ein äußerst schmerzlicher sei, was niemand schärfer und bezeichnender, als die tiefempfindende Rahel ausgesprochen, steht nicht zu läugnen, aber deshalb können wir doch unmöglich mit Eckardt den Ausgang des Stückes als einen unglücklichen bezeichnen; denn die schmerzlich gewonnene Erkenntniß ist gerade der Ausgangspunkt dauernder Beruhigung und einer neuen, fruchtreichen Blüthe seiner Dichtung, mag dieselbe auch zunächst_auf kurze Zeit ruben, seine Natur_sich vorab zu kräftiger Gesammtwirkung ihrer Strahlen ansammeln müssen, wie ja auch bei unseren Dichterdioskuren Zeiten der Ruhe ihren großartigsten Schöpfungen vorausgingen. Die Frage, wie sich Göthe Tasso's weitere Lebensverhältnisse gedacht, scheint uns Eckardt nicht glücklich gelöst zu haben. Der Dichter hat uns am Schlusse auf den Standpunkt geführt, wo Tasso zur Erkenntniß gelangt, daß die wirkliche Welt die nothwendige Bedingung eines glücklichen Lebens, wie vollendeter Dichtung sei. Von dieser Einsicht getragen, wird er in Zukunft gegen alle Einbildungen gesichert sein, welche ihm bisher das Leben getrübt haben, vor allen jenen Irrgängen, welche der geschichtliche Tasso durchzumachen hatte. Daß Tasso, nachdem er einmal entsagen gelernt hat, jezt Leiden entgegengehe, daß er leidvoll und einsam umherirre, wie dies Eckardt in Aussicht stellt, scheint uns nicht allein durch nichts angedeutet, sondern mit der Entwicklung der Handlung in völligem Widerspruch zu stehn. Tasso hat am Schlusse sich dem Antonio in die Arme geworfen, den er als edlen Mann kennen gelernt hat. Wird er sich der Leitung desselben und seinem gewiegten Rath entziehen, oder dieser sich nicht gern seiner annehmen, da er doch ihn in dieser Noth" nicht lassen zu wollen erklärt hat? Werden Alphons und die Prinzessin sich ganz von ihm abwenden? Freilich der kurze Traum höchsten Glückes an der Seite Leonorens ist verflogen, aber wir halten es keineswegs für unmöglich, daß Tasso, wenn er sich durch eine Reise ganz von seinem ihn noch gewaltig durchzitternden Schmerz hergestellt hat, an den Hof zu Ferrara zurückkehren könne. Was in Belriguardo sich begeben, ist ein Geheimniß der Nächsten, das der gewandte Diplomat Antonio nicht verrathen wird, und die kurze Entfernung Tasso's bedarf vor der Welt kaum einer Beschönigung, da sie aus dem Verlangen, nach der Beendigung seines großen Gedichtes die Freunde in Rom und an anderen bedeutenden Punkten Italiens wiederzusehn, sich von selbst erklärt! Die sieben Momente aus Tasso's Leben, welche nach Eckardt als Greignisse der Zukunft von Göthe bestimmt angedeutet werden sollen, können wir nicht als solche anerkennen. Was Tasso im vierten Auftritt des vierten Aktes gegen Antonio und im vierten Auftritt des fünften Aktes gegen die Prinzessin nicht ohne Verstellung äußert, kann unmöglich für den wirklichen spätern Verlauf maßgebend sein. Daß Tasso einstweilen Ferrara verlassen, sich nach Rom begeben und dort mit den Freunden über sein Gedicht sich besprechen werde, ist an sich natürlich auch nicht unwahrscheinlich, daß er dort auf dem Kapitol gekrönt werde; dagegen ist es gar sehr die Frage, ob er es jetzt wagen wird, was er in einer Art Vision ausgesprochen, dem Banne zum Troß die Schwester in Sorrent zu besuchen, wovon ihn Antonio zurückhalten wird, und eben so wenig glauben wir, daß der zur Erkennt niß durchgedrungene Tasso sein Werk immer verändern werde, nie vollenden, wie er selbst in trüber Verstimmung verkündet hat.

Auch der Abschnitt „das Eigene im Tasso" bringt manche feine, zutreffende Bemerkungen, worauf wir hier nicht näher eingeben können. Nur sei uns die Bemerkung erlaubt, daß zum Diplomaten Antonio die Hauptzüge vom Grafen Görk, dem Führer der Gegenpartei des Dichters am Weimarer Hofe, hergenommen sind, nicht von Herder, der freilich oft bitter kalt und herb Andere beurtheilte, aber doch nicht auf dem Standpunkte Antonio's stand, welcher die Dichtkunst nur als leichtes Spiel würdigt; doch wollen wir nicht in Abrede stellen, daß im Einzelnen auch manche Züge Herder's strengem Wesen angehören mögen. Zu Leonore

Sanvitale glauben wir das Urbild nicht mit Eckardt in Korona Schröter, sondern in der unendlich liebenswürdigen Branconi zu finden, die Göthe in Lausanne kennen gelernt und deren Besuch zu Weimar ihn im Sommer desselben Jahres, in welchem er den Tasso begann, herzlich erfreut hatte, so daß er an Frau von Stein schrieb: Sie ist immer schön, sehr schön; aber es ist, als wenn Sie, mein Liebstes, entfernt sein müßten, wenn mich ein anderes Wesen rühren_foll.“

Die kurze Betrachtung der Fortsetzungen von Göthe's Tasso, worunter wir das bekannte Drama von Smets vermissen, könnte eindringender sein, dagegen finden wir in den Andeutungen über die Sprüche und Sprache des Tasso und in der darauf folgenden Paraphrase der nach den Charakteren geordneten Hauptsprüche manche feinsinnige Bemerkungen, wenn wir auch in leßterer auf Ausführun gen treffen, welche wir für fremdartig halten müssen und deshalb beim Drucke ausgeschieden wünschten, ohne läugnen zu wollen, daß sie bei den Vorlesungen selbst als unumgängliche Reizmittel für die Zuhörer an der Stelle gewesen sein dürften.

Möge der begabte Verfasser uns mit ähnlichen Früchten gereifter Studien über die Meister unsrer neuern deutschen Dichtung noch oft erfreuen! Wir werden ihn gern, wie heute, herzlich willkommen heißen, da die Zahl derjenigen, welche mit nachhaltiger Liebe und selbstständiger Einsicht in die Tiefe vollendeter Dich werke zu dringen vermögen, noch keineswegs sehr bedeutend zu nennen ist. Vor allem würden wir es ihm Dank wissen, wenn er seine begonnene Entwicklung der Charaktere der Schillerschen Dramen mit derselben tiefen Erfassung und demselben lebendigen Durchschauen, welche diese Vorlesungen bewähren, bald zu Ende führen wollte.

H. Dünker.

Élites des classiques français, publiées par Dr. R. Schwalb. Tome septième, Lucrèce, tragédie de Ponsard, avec des notes par Dr. H. Scheler. 8. 1852. Baedeker, Essen 4 Sgr. Die von Herrn Schwalb veranstalteten Ausgaben französ. Schriftwerke haben das Eigenthümliche, daß die Einleitungen wie die Noten in der Sprache des Ter tes geschrieben sind. Es dürfte, glauben wir, wohl an der Zeit sein, die Frage aufzuwerfen, ob denn diese Einrichtung, an der, soweit sie uns bekannt geworden, keine der bis dahin erschienenen Kritiken Anstoß genommen hat, jene unbedingte Billigung verdient, die sie überall gefunden zu haben scheint. Unsres Grachtens trifft sie derselbe Vorwurf, welcher bis vor Kurzem gegen die verwandten Arbeiten der klassischen Philologen mit allem Rechte erhoben werden konnte und auch in der That oft und laut genug, namentlich von den Vertretern der neuern Sprachen, gegen sie erhoben worden ist. Die klassische Philologie hat sich diese wiederholten Angriffe zu Herzen genommen und gibt sich gegenwärtig alle Mühe, der zurückge sezten Muttersprache das ihr gebührende Recht widerfahren zu lassen. Die latei nischen Floskeln verschwinden mehr und mehr, wie aus den Programmen der öf fentlichen Lehranstalten, so auch aus den für die Schule bestimmten Bearbeitungen der römischen und griechischen Schriftsteller. Zum Beweise kann die vortreffliche Sammlung der Classiker mit deutschen Einleitungen und Anmerkungen dienen, zu deren Veröffentlichung sich die hervorragendsten Repräsentanten der alten Philos logie, unter der Leitung von Haupt und Sauppe, vereinigt haben.

Es wird aber mit dieser Beseitigung eines verjährten Mißbrauchs nicht viel gewonnen, wenn er an anderer Stelle von Neuem aufgenommen wird. Und es scheint wirklich, daß die moderne Philologie auf dem besten Wege ist, in dieselbe Sünde zu verfallen, die sie an der älteren Schwester so scharf und rücksichtslos gerügt hat. Die französ. und englischen Abhandlungen werden nachgerade ebenso häufig, wie es vordem die lateinischen waren, und wenn man sich früher abmühte, feine Gedanken in ciceronianische Phrasen zu kleiden, so plagt man sich gegenwärtig nicht minder, sie auf einen Ausdruck zu bringen, der den Styl- und Sprachmu

stern der benachbarten Völker einigermaßen entspricht. Schon ist es dahin gekommen, daß selbst die grammatischen Lehrbücher in fremder Sprache abgefaßt werden und kaum hat man die Einsicht gewonnen, daß es zweckmäßig sei, die Lektüre der ausländischen Schriftsteller durch beigegebene Erklärungen fruchtbar zu machen, so beeilt man sich, diese Erläuterungen in eine Form zu fassen, welche nicht blos mit dem Interesse des Vaterlands und ebenso mit dem der Wissenschaft unvereinbar ist, sondern auch die beabsichtigte Förderung des Unterrichts wieder in Frage stellt.

Wir geben recht gern zu, daß es dem Einen oder Andern unter besonders günstigen Ümständen gelingt, der franz. oder engl. Schriftsprache so sehr mächtig zu werden, daß er sich in ihr mit einer gewissen Leichtigkeit und ohne erheblichen Zwang zu bewegen im Stande ist. Wie man in der langen Reihe der Latinisten wenigstens Einen Muret antrifft, und manchen andern begegnet, die ihm wenn auch nicht gleichen, so doch nahe kommen, so gibt es bekanntlich unter den französ. Classikern auch Einen Humboldt, der möglicher Weise seine mehr oder minder glücklichen Nacheiferer finden kann. Im Allgemeinen aber glauben wir, wird es unsern Französisten nicht eben anders ergehen, wie es zu ihrer Zeit den meisten und namentlich den deutschen Romanisten ergangen ist. Sie werden sich genöthigt sehen, den Inhalt des Gedankens dem sprachlichen Ausdrucke zum Opfer zu bringen, ohne daß darum der lettere jenen zwitterhaften Charakter verliert, welcher der gezwungenen Nachahmung des Fremden überall eigen ist. Wer auf deutschem Boden und mitten im deutschen Volke denkt und lebt, der glaube doch nicht, daß ihm Sinn und Geist einer fremden Sprache beliebig zu Gebote stehe. Er kann ihre Wortformen benußen, auch ihre Wendungen mehr oder weniger treu copiren; in die Eigenthümlichkeit ihres innern Lebens wird er aber nicht oder doch nur in soweit eindringen, als er die feinige aufgibt. Man würde sich eine solche Resignation gefallen lassen müssen, wenn sie durch irgend welche Nothwendigkeit geboten wäre. Wir sehen aber durchaus keinen in der Sache selbst liegenden Grund, der um auf unsern Ausgangspunkt zurückzukommen dazu zwänge, die Erläuterungen eines französ. Schriftwerkes in der Sprache des Verf. zu geben.

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Man wird uns vielleicht einwenden, daß es zwar nicht gerade nothwendig set, wohl aber im Interesse des Unterrichts liege, wenn die Erklärung der Schriftsteller das ihnen eigenthümliche Idiom beibehalte. Man wird das namentlich da für rathsam erachten, wo eine Sprache nicht blos um ihrer selbst willen oder als Trägerin einer reichen Literatur, sondern zugleich und vorzugsweise zu dem Zwecke erfernt wird, um sie als Mittel des mündlichen und schriftlichen Ausdrucks zu verwenden. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Bedeutung, welche dem lehtgedachten Ziele des Unterrichts vindizirt zu werden pflegt, nicht über das gebührende Maß hinausgeht; gewiß ist, daß die Erreichung desselben durch das in Rede stehende Verfahren weder bedingt, noch auch nur sonderlich gefördert, der Nußen aber, den die Erklärung als solche gewähren kann, erheblich vermindert wird. Es versteht sich von selbst, daß der Lehrer, wenn er anders seiner Aufgabe gewachsen ist, den Inhalt der Anmerkungen schon selber in die fremde Sprache, falls er sich deren bei der mündlichen Interpretation bedient, zu übertragen wissen wird. Was aber die Schüler angeht, so zweifeln wir keinen Augenblick, daß die große Mehrzahl derselben die für sie bestimmten Erläuterungen gerade deßhalb ungelesen läßt, weil fie in einem ihnen nicht hinlänglich geläufigen Idiome abgefaßt sind. Es will uns demnach scheinen, daß der praktische Gewinn, den die in der vorliegenden Sammlung befolgte Methode etwa hoffen läßt, nicht groß und sicher genug ist, um die mit ihr verknüpften offenbaren Nachtheile aufzuwiegen.

Die Lucrèce ist unter den Erzeugnissen der neuern französ. Literatur das erste, dem H. Schwalb in seiner Sammlung eine Stelle angewiesen hat; die früheren Hefte sind sämmtlich den ältern Classikern aus der Zeit Ludwigs XIV. ge widmet. Man wird es dem geehrten Herausgeber ohne Zweifel Dank wissen, daß er in dieser neuesten Lieferung seines vielbenutzten Werkes die engen Grenzen einer bestimmten Literaturepoche überschritten und gerade eine der jüngsten Vergangenheit angehörige Dichtung mitgetheilt hat. Dagegen scheint es uns mindestens fraglich, Archiv f. n. Sprachen. XIII.

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ob die Wahl des Stücks, durch welches die neuere_französ. Dramatik vertreten werden soll, unbedingt zu billigen ist. Handelte es sich freilich um eine Ausgabe, die für das Publikum im Allgemeinen und nicht speciell für den Unterricht bestimmt wäre, so würde von Bedenken dieser Art, bei einem Unternehmen, dem von vornherein keine festen Grenzen gesteckt sind, nicht füglich die Rede sein können. Anders stellt sich die Sache, wenn, wie das hier der Fall ist, der ausgesprochene Zweck dahin geht, der Schullektüre einen geeigneten Stoff darzubieten. Wir wollen nun zwar keineswegs behaupten, daß die Lucrèce in der gedachten Rücksicht schlechthin zu verwerfen sei; wohl aber glauben wir, daß es gar manche literarische Produkte gibt, die ihr für den in Rede stehenden Zweck entschieden vorzuziehen sind.

Es sind, dünkt uns, besonders zwei Gesichtspunkte, welche bei der Auswahl der für die Schule bestimmten Schriften als maßgebend anerkannt werden müssen. Zunächst und vor Allem kommt ihr innerer Werth in Betracht, sodaß streng genommen fich nur diejenigen dem Gebrauche empfehlen, welche wenigstens in ihrer Gattung als Muster gelten können. Sodann aber ist auf ihre historische Bedeutung Rücksicht zu nehmen, welche natürlich um sø größer ist, je bestimmter sie den Geist und die Richtung einer wesentlichen Entwicklungsphase der Literatur zum Ausdrucke bringen. Wir glauben kaum, daß das oft besprochene Drama Ponsard's in der einen oder der andern der hervorgehobenen Beziehungen billigen Anforderungen Genüge leistet. Seitdem der Beifallsrausch, mit dem es bei seinem ersten Erscheinen aufgenommen wurde, verstummt und eine ruhige Prüfung an dessen Stelle getreten ist, hat sich das allgemeine Urtheil so ziemlich dabin festgestellt, daß es weder durch seinen dichterischen Gehalt noch auch durch seine künstlerische Form zu dem ausgezeichneten Range berechtigt war, den man ihm für eine Weile angewiesen hatte. Was aber seine geschichtliche Geltung betrifft, so kann diese freilich nicht geradezu in Abrede gestellt werden; eben der glänzende Empfang, der ihm von Seiten des Publikums zu Theil wurde, beweist hinlänglich, daß es die Stimmung und die Tendenzen der Zeit in sich aufgenommen hat.

Man darf indeß nicht übersehen, daß die ihm gewordene Anerkennung nur eine vorübergehende war, und dieser Umstand berechtigt zu dem weiteren Schlusse, daß man den Grund derselben nicht in einem nothwendigen Momente der geistigen und künstlerischen Entwicklung, sondern mehr nur in einer zufälligen Richtung, in der augenblicklichen Laune des Volksgeistes zu suchen hat. Auch unterliegt es keinem Zweifel, daß die Erneuerung der klassischen Formen, wie sie von Ponsard, freilich nicht ohne daß er den modifizirenden Einfluß der sogenannten Romantik vielfach verriethe, versucht werden, mit dem fortschreitenden Gange der französ. Civilisation in Widerspruch steht und lediglich als eine zeitgemäße Reaktion gegen die Extravaganzen der romantischen Schule, keineswegs aber als ein ernstgemeinter Protest gegen deren charakteristische Tendenzen mit Beifall begrüßt worden ist. Wenn demnach die Lucrèce allerdings eine gewisse historische Bedeutung in Anspruch nehmen kann, so erscheint uns diese doch nicht erheblich genug, um sie auf Grund derselben in die Schule einzuführen. Es würde dies wenigstens nur da statthaft sein, wo der Unterricht die Geschichte der Literatur in ihrer ganzen Ausdehnung umfaßt und darum auch ihre minder wichtigen Momente berücksichtigen kann. Wenn aber und wir fürchten, daß das der bei Weitem häufigere Fall ist der Lehrer sich darauf beschränken muß, die Hauptepochen der literarischen Entwicklung in ihren hervorragendsten Vertretern zu charakterisiren, so wird er sich ver nünftiger Weise auch bei der Auswahl des Lesestoffes an die besten Werke dieser Koryphäen der Literatur zu halten haben.

Wenden wir uns nun zu der Bearbeitung des vorliegenden Dramas, die, wie schon angedeutet wurde, Herrn Scheler verdänkt wird, so ist zunächst ein Wort über die Einleitung zu sagen. Wir sehen uns, was den Inhalt derselben_angeht, nicht veranlaßt, dem Verfasser in irgend einem wesentlichen Punkte zu widersprechen. Dennoch können wir nicht versichern, daß sie uns vollkommen befriedigt hätte. Der Zweck solcher Arbeiten ist nach unserm Dafürhalten ein doppelter; sie sollen einerseits dem Leser ein lebendiges Interesse für den Gegenstand des ihm vorge legten Werkes einflößen und ihn andrerseits in den Stand sehen, dasselbe in allen

feinen wesentlichen Bezichungen, nach seiner wahren und inneren Bedeutung zu verstehn. Diese Aufgabe ist in keinem Falle eine leichte und ihre Lösung namentlich dann mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft, wenn die Leser, auf welche elngewirkt werden soll, vorzugsweise dem Schülerkreise angehören. Wir wissen nicht, ob Herr Scheler, als er seine Abhandlung schrieb, deren nächste Bestimmung im Auge behalten hat; soweit sich darüber aus Inhalt und Form derselben urtheilen läßt, möchten wir es bezweifeln. Indeß seben wir auch von diesem freilich sehr wichtigen Punkte ab, und legen lediglich den allgemeinen Maßstab an, an welchem jede derartige Arbeit gemessen werden muß, die vorliegende, glauben wir, wird doch als unzureichend bezeichnet werden müssen.

Es lassen sich im Allgemeinen gar manche Punkte denken, die in der Einlei tung zu einem Werke der Literatur oder der Poesie zur Sprache gebracht werden können. Das Verhältniß der Dichtung zu dem in ihm behandelten Stoffe, die Stelle, welche fie innerhalb der poetischen Gattung, der sie angehört, einnimmt, ihre Beziehung zu der Persönlichkeit dessen, der sie geschaffen hat, der Einfluß, den fie auf den Gang der Civilisation überhaupt oder auf die Entwicklung der Poesie in's Besondere ausübt, das alles sind ebenso wichtige wie interessante Fragen, deren Erläuterung durchaus geeignet ist, für die richtige Würdigung und das tiefere Verständniß einer literarischen Erscheinung eine vassende Grundlage abzugeben. Welche von ihnen in jedem besonderen Falle am Besten behandelt werde, das hängt natürlich von dem Juhalte und dem Charakter des Werkes ab, mit dem man sich eben beschäftigt.

Wir erkennen gern an, daß Herr Scheler in dieser Rücksicht nicht fehl gegriffen hat. Da die Bedeutung der Lucrèce fast ausschließlich in dem außerordentlichen Erfolge besteht, mit welchem sie für eine kurze Zeit gekrönt wurde, so war es ganz am Orte, auf die faktischen Verhältnisse, unter welchen diese enthusiastische Aufnahme stattfand, näher hinzuweisen und die entscheidenden Motive derselben genauer in's Licht zu stellen. Haben wir somit gegen den Stoff, welchen Herr Scheler in der Einleitung behandelt, nichts einzuwenden, so können wir dagegen die Art und Weise, in der er dort behandelt wird, keineswegs gutbeißen. Sie ist unseres Erachtens mindestens ungenügend und darf, vielleicht nicht ganz mit Unrecht, etwas oberflächlich genannt werden. Die Analyse oder vielmehr das Resumé des Inhaltes, mit dem der Verfasser nach einigen einleitenden Notizen beginnt, ist zwar an sich nicht übel und jedenfalls recht gut geschrieben. Wie aber durch diese Exposition die gleich nachher folgende Beurtheilung des Drama's erläutert oder går motivirt werden könnte, sehen wir nicht ab. Auch durfte sich, scheint uns, Herr Scheler nicht darauf beschränken, die Ansichten der französ. Kritiker, an die er sich anschließen zu müssen glaubte, in ihrer abgerissenen Form einfach wiederzugeben. Ein paar Säße aus einem Feuilletonartikel können die gediegene, zusammenhängende Entwicklung, die man billig erwarten durfte, nicht ersetzen. Wir zweifeln sehr, daß Jemand, dem die zur Sprache gebrachten Verhältnisse nicht schon anderweitig bekannt geworden sind, aus den Grörterungen des Verf. eine irgend zureichende Kenntniß derselben gewinnen werde. Wer sich aber mit der Geschichte der neuern französ. Literatur nur einigermaßen vertraut gemacht und nebenbei die Zeitungsberichte über die ersten Aufführungen der Lucrèce gelesen hat, wird aus der vorliegenden Einleitung kaum etwas erfahren, was er nicht schon wüßte.

Weit mehr wie die Einleitung haben uns die Anmerkungen, die wir indeß nur theilweise durchsehen konnten, zufriedengestellt. Sie sind, was ihren Inhalt angeht, theils zur Erläuterung der historischen und antiquarischen Verhältnisse bestimmt, in welchen sich die Handlung des Dramas bewegt, theils handeln sie in größerer oder geringerer Ausführlichkeit über einzelne Stellen, die in sprachlicher oder auch in ästhetischer Rücksicht zu besondern Bemerkungen Anlaß geben. Was der Verf. über die im Drama berührten Zustände und Eigenheiten des altrömischen Lebens mittheilt, ist aus den besten philologischen Werken entnommen und darf mithin als zuverlässig betrachtet werden. Sein Urtheil über Gegenstände, die in das Bereich der Grammatik oder der ästhetischen Kritik fallen, ist meist ebenso unbe fangen wie begründet. Doch, glauben wir, würden die Noten ihrem Zwecke noch

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