صور الصفحة
PDF
النشر الإلكتروني

Während Kants Lehre von der Sünde im ersten Stück seiner Religionsphilosophie enthalten ist, ist seine Lehre vom idealen Christus enthalten in dem zweiten Stück dieses Buchs. Es trägt zwar dieses Stück nicht diese Ueberschrift, sondern vielmehr die, welche gleich hier folgen wird. Aber das Gebiet, welches Kant hier beschreibt, ist dasselbe, welches man heutzutage mit dem Lehrtropus vom idealen Christus zu umfassen pflegt.

Wir haben also zu beginnen mit dem zweiten Stück:

Vom dem Kampf des guten Princips mit dem bösen um die Herrschaft über den Menschen.

Die Behandlung der Sache legt sich auseinander in einer Einleitung, zweien Abschnitten und einer allgemeinen Anmerkung.

In der Einleitung wird nochmals mit kurzen Strichen der Inhalt des ersten Stücks, also die Lehre vom radikalen Bösen resumirt. Doch bietet ihre Recapitulation manche neue und eigenthümliche Wendung; wir müssen ihr also nachgehen.

Kant sagt, unter allen alten Moralisten hätten vornehmlich die Stoiker erkannt, daß, um ein moralisch guter Mensch zu werden, es nicht genug sei, den Keim des Guten, der in unserer Gattung liegt, sich blos ungehindert entwickeln zu lassen, sondern auch eine in uns befindliche entgegenwirkende Ursache des Bösen zu bekämpfen sei." Sie hätten dies durch ihr Loosungswort Tugend, „welches sowohl im Griechischen als im Lateinischen Muth und Tapferkeit bezeichnet und also einen Feind vorausseßt," zu erkennen gegeben. Aber, meint Kant, jene wackern Männer hätten doch ihren Feind verkannt, da sie ihn in den natürlichen, blos undisciplinirten Neigungen suchten, anstatt in der Bosheit des menschlichen Herzens. ,,Sie boten die Weisheit gegen die Thorheit auf, die sich von Neigungen blos unvorsichtig täuschen läßt, anstatt sie wider die Bosheit des menschlichen Herzens aufzurufen." Rel. inn. d. Gr. d. menschl. Vern. S. 66 f. Die eigenthümliche Wendung die hier Kant für Recapitulation der Lehre vom radikalen Bösen nimmt, besteht darin, daß er, und zwar bei den Stoikern, einen Beweis dafür sucht, daß es nicht genug sei, „den Keim des Guten, der in unserer Gattung liegt, ungehindert sich entwickeln zu lassen, sondern, daß auch eine in uns befindliche entgegenwirkende Ursache des Bösen zu bekämpfen sei." Mit diesen Worten, wenn man sie genau nimmt, wozu man bei so wichtigen Untersuchungen doch wohl berechtigt ist, würde Kant immerhin die Möglichkeit einer Entwickelung des Guten im Menschen aus sich selbst statuiren, wozu er selbst nach seiner früheren Auseinandersegung über das radikale Böse nicht berechtigt ist. Diese Behauptung des Nichtberechtigtseins brauchen wir hier nicht weiter zu erhärten; wir weisen dafür auf unsere Schrift: Kants Lehre vom radikalen Bösen," besonders auf das Capitel über die ursprüngliche Anlage zum Guten in der menschlichen Natur." Schon daß Kant von einem „Keime des Guten" redet, ist neu und unmotivirt. Er hat früher wohl von „Anlagen zum Guten" geredet, aber nicht von einem Keime des Guten." Unter „Anlagen" eines Wesens verstehen wir nach Kants eigner Definition, die Bestandstücke, die dazu erforderlich sind .... ein solches Wesen zu sein," Relig. S. 30. Ein Keim" dagegen ist eine Potenz zur Selbstentwicklung. Kant, der, und zwar mit Recht, die höchste Anlage zum Guten als Empfänglichkeit aussagt, ,,Empfänglichkeit der Achtung vor dem moralischen Gesez," fann

"

[blocks in formation]

sie nicht zugleich als Keim aussagen. Es ist die reinliche Auseinanderhaltung dieser Begriffe für die Lehre vom Heil zu wichtig, als daß wir von dem größten Denker unseres Volkes die größte Strenge hier zu verlangen nicht berechtigt wären. Mit der „Empfänglichkeit," auch nur mit der Empfänglichkeit der Achtung vor dem moralischen Gesez, ist für das christliche Heilsprincip ein Anschluß gegeben; es kann die christliche Grundvoraussetzung in ihrer objectiven, christologischen Form, nämlich daß in Christus ein Göttliches geschichtlich geworden ist, bewahrt werden.. Mit dem „Keim des Guten" aber, der sich aus sich selbst entwickelt, ist das nicht mehr möglich. Denn, wenn man auch das Zugeständniß macht, daß es nicht genug sei, den Keim des Guten sich ungehindert entwickeln zu lassen," so ist das nur die alte gutmüthige pelagianische Concession, die von dieser Seite gern gemacht wird, um den Ruhm und die Stelle der Härese wenigstens zu haben. Dorner, Lehre v. d. Pers. Chr. I, 71 ff. Aber selbst dieses Zugeständniß ist unbegründet. Warum soll es denn nicht genug sein, den Keim des Guten sich ungehindert entwickeln zu lassen? Wenn er's kann, was hat er dann besseres zu thun? Die Sache ist die, daß er's nicht kann! Daß also auch von einem Keime des Guten als Potenz der Selbstentwicklung eigentlich nicht zu reden ist, sondern nur, wie Kant das früher gethan, von einer Anlage zum Guten," fähig dasselbe aufzunehmen, wo es ihr thatsächlich geboten wird! Es bleibt eben hier bei Augustin's Wort: Mein Gutes ist Deine Gabe, o Gott, mein Böses ist meine Schuld.

Wie schon bemerkt, es ist hier nicht der Plag, dies weiter zu verfolgen, und wir brauchen es um so weniger, da Kant sich gar bald selber corrigirt, wenn er, in der Anmerkung S.66, mit Rücksicht auf die Stoiker sagt, daß sie, den Menschen einen unverdorbenen Willen beilegend, eine falsche Voraussetzung gemacht hätten: denn so früh wir auch auf unseren sittlichen Zustand unsere Aufmerksamkeit richten mögen, so finden wir, daß es mit ihm nicht mehr res integra ist, sondern wir davon anfangen müssen, das Böse, das schon Plaz genommen hat .... aus seinem Besige zu vertreiben," d. h. wie Kant ausdrücklich sagt, das erste wahre Gute, das der Mensch thun kann, ist: vom Bösen auszugehen (es zu vertreiben) welches nicht in den Neigungen, sondern in der verkehrten Maxime und also in der Freiheit selbst zu suchen ist.“

Und wie die Speculation dies so formuliren muß, so redet auch Christus wohl von der Nothwendigkeit, daß Aergerniß kommt, áváɣxy ɣáp šotw éldeiv tà oxávdala, Matth. 18, 7, aber er spricht nirgends von einer Nothwendigkeit, daß das Gute komme. Und das beruht auf der vorhandenen Sünde, der „verkehrten Maxime,“ aber nicht auf einem vorhandenen Keim des Guten. Wär' ein solcher da, das Gute müßte von selber kommen. Aber in dieser Welt kommt nur das Böse von selber. Das ist der Punkt, den die Philosophen so gern verkennen und wohl auch verschieben, um der Nothwendigkeit einer zu postulirenden Mittheilung des Guten von Oben her und damit zugleich einer Offenbarung zu entgehen, die ihrem autarkischen Bewußtsein unwillkommen ist.

Die Bekenntnißschriften unserer Kirche behaupten sämmtlich, daß Wesen und Macht der Sünde durch philosophisches Raissonement nicht gefunden werde, nur die Schrift gebe genügenden Aufschluß; Form. Conc. de pecc. III, 9: quid et quantum sit hoc ingens haereditarium malum, id nulla humana ratio indagare aut agnoscere potest, sed, ut Smalcaldici articuli loquuntur, ex Scripturae Sacrae patefactione discendum et credendum est. Vergl. artic. Smalc. tertia pars de pecc. 1, 3. Hätte Kant diese Behauptung der Form. Conc. durch Nachweis eines verunglückten philosophischen Versuchs über das Böse mit einem Exempel belegen wollen, so hätte er kein passenderes finden können, als das angeführte, die Stoiter.

Also die Stoiker sollen die Nothwendigkeit eines Kampfes mit dem Bösen erkannt haben! Sehen wir uns einmal das Böse der Stoiker und ihren Kampf an!

Die stoische Philosophie fing an eine Macht zu werden, als die heitere griechische Welt dem praktischen und verstandesmäßigen Selbstbewußtsein der Römer zum Opfer gefallen war, als die hellenische Mannigfaltigkeit gebeugt war unter die fremde Gewalt Einer Herrschaft und die Individualität der Völker wie der Einzelnen dem abstracten Principe Eines Rechtes gehorchen mußte. Für die Einzelnen, sowie für die Völkerindividuen war da die Welt der Wirklichkeit nur noch ein Unglück, eine Last. Die Philosophie ist immer im Zusammenhange mit der Weltvorstellung. Das zeigte sich auch hier.

In solchem Unglück, wo die Verhältnisse den Menschen nirgends zur Ruhe kommen lassen, wird er in sich selbst hineingetrieben. Das war die Weisheit der Stoiker, Isolirung des Subjects von den Verhältnissen; und dieses Theorem, ethisch gewendet, heißt: Freiheit ist in der Gleichgültigkeit, in der vollständigen Gleichgültigkeit des Subjects gegen die Weltobjecte; befriedigt ist nur das Individuum, welches von Nichts berührt wird, frei ist wer apathisch ist. Aus dem Begriff der Freiheit aber wächst überall die Aufgabe des Menschen hervor. Ist Freiheit Gleichgültigkeit, so besteht die Aufgabe des Menschen, d. h. seine Tugend, seine sittlich und gemüthlich richtige Beschaffenheit, darin, diese Gleichgültigkeit zu realisiren. Sie ist alleinige Befriedigung des Subjects, höchste Aufgabe und höchster Genuß. Es ist aber offenbar, daß solches Verschließen des Subjects in sich selbst, solches abstracte Verhalten des Individuums zu sich selbst, etwas rein Negatives ist; von concreter Sittlichkeit in geisterfüllter Wirklichkeit ist da nicht die Rede; und ebenso offenbar ist es, daß einmal was man Tugend nennt, etwas rein Negatives ist, abstracte Freiheitsbethätigung des Selbstbewußtseins, und das andere Mal, was man als Kampf bezeichnet, ein Fernhalten aller concreten Wirklichkeit ist. Das wirkliche Leben ist das Böse, d. h. das Eingehen in die objectiven Verhältnisse ist böse.

Man sieht, wohin der Begriff einer abstracten Freiheit, der Autonomie des Subjects führt, zur reinen Negation und zu einer Bestimmung der Begriffe: gut und böse, die dieser Negation entspricht. Es ist das nicht blos für die Stoiker, es ist für alle Autonomisten Consequenz. Da sie die intacte Freiheit des Subjects statuiren, so können sie das Böse nicht ins Subject verlegen. Sie müssen es also außerhalb des Subjects sucheu, d. h. in den realen Lebensverhältnissen. Es ist die Störung des Subjects durch dieselben. Nun ist es aber keineswegs der Begriff des Bösen, den wir unter der Störung des Subjects durch die realen Lebensverhältnisse zu verstehen haben, sondern der des Uebels. Und der Kampf ist gerichtet nicht gegen das Böse, das für den Stoiker, überhaupt für den Autonomisten, gar keine Macht, ja gar nichts Existirendes ist, sondern gegen das Uebel. Das ist die Stärke aller Tugend- und Freiheitshelden. Es ist aber die größte Schwäche; sie machen etwas Secundäres, das Uebel,

« السابقةمتابعة »