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fie eben die Arbeiten, die ihnen eure Achtung und die Ehrfurcht ihrer Zeitgenossen erworben haben, mit einem geheimen Widerwillen betrachten! Könnte ich euch das stille Gemach des Tugendhaften öffnen, dessen Frömmigkeit euch mit Rührung erfüllt: welche Bekenntnisse würdet ihr ihn vor Gort ablegen, mit welchem demüthigen Bewußts seyn seiner Unvollkommenheit würdet ihr ihn eben die Handlungen verurtheilen hören, die euch fo rühmlich scheinen! Könnten wir einen Blick in das Innre aller derer werfen, denen es wirklich am Her gen liegt, in jeder Art von Vollkommenheit Fortschritte zu machen: welche Bewegungen der Unzufriedenheit, welchen Eckel vor Erzeugungen und Pflichtleistungen, die das lange nicht sind, was sie feyn sollten, würden wir da entdecken! Erkläret es nicht für Schwachheit oder Eigensinn, sehet es nicht für eine Art von Schwermuth und Krankheit an, daß gerade die weisesten, fähigsten, tugendhafs testen Menschen sich nie Genüge leisten. O sie würs ben sich nicht so erheben von einer Stufe der Volls kommenheit zur andern, sie würden uns nicht fo überraschen mit immer neuen Beweisen ihres Wachsthums in jeder Art von Vortreflichkeit, wenn sie sich eben so gefielen, wie sie uns gefallen. Es ist wichtig, was ich da behaupte; je gröffer die. Anzahl derer ist, die sich mit der harmlosesten Ruhe und Selbstzufriedenheit betrachten: desto nöthiger wird es seyn, diese Selbstgefälligkeit, wo möglich, zu stören, und einmal ausführlicher zu zeigen, daß man, ohne eine vernünftige Unzufriedenheit mit sich selbst zu unterhalten, unmöglich ein wahrer Christ seyn kann. Sehet da den Gebrauch, den ich dießmal von den Belehrungen Jesu in dem heuti gen Evangelio machen werde.

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Evangelium: Luc. VI. v. 36-43.

Ich brauche es wohl nicht bemerklich zu machen, wie sehr alle Ermahnungen Jesu in dem vor. gelesenen Evangelio darauf hinarbeiten, jene Zufriedenheit mit seiner eignen Verfassung zu unters brechen, welche gerade bey denen am größten zu seyn pflegt, die am wenigften dazu berechtigt sind. Jesus sagt es geradehin: wer Andere richten und verdammen kann, ohne zuerst und vornehmlich an fich selbst zu denken; wer selber blind ist, und fich doch für fähig hålt, Andern den Weg zu weifen; wer den Splitter aus dem Auge seines Bruders ziehen will, und nicht fühlt, daß er einen Balken in seinem eignen hat: der ist ein Elender, dem es an allem fehlt, was Jesus von seinen wahren Bekennern verlangt. Ohne ein lebhaftes Mißver. gnügen über jeden Fehler und jeden Mangel, welchen man noch bey sich wahrnimmt, kann man also kein Christ seyn, dieß ist der wichtige Sah, welchen ich heute ins Licht sehen wollte. Ich werde nämlich dießmal davon sprechen:

wie sehr es zu dem Sinn eines wahren Christen gehöre, das Gefühl einer vernünftigen Unzufriedenheit mit sich selbst in sich zu unterhalten.

Ich muß vor allen Dingen I) das Gefühl einer vernünftigen Unzufriedenheit mit fich selbst genauer beschreiben, Hernach will ich II) eine Anleitung geben, wie man es in sich unterhalten soll. Und zulezt III) zeigen, wie sehr es zu dem Sinn eines wahren Christen gehört.

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1) Ich glaube, das Gefühl einer vernünftigen Unzufriedenheit mit sich felbst nicht beffer beschreiben zu können, als wenn ich euch einige Fehler bes merken lasse, die man nicht damit verwechseln muß; hernach die Natur desselben genauer erkläre; und euch endlich den Umfang vorzeichne, den es haben soll

a) Nicht jede Unzufriedenheit mit sich selbst ist vernünftig, es giebt vielmehr gewisse Fehler, die auf keine Weife damit ver wechselt werden dürfen. Diese Fehler sind Die mürrische Laune, und das verzagte Mißtrauen, das man in seine Kräfte fest. Es treten Zeitpunkte ein, wo ein trùbes Mißvergnügen in uns herrscht, wo wir uns selbst mit Widerwillen betrachten, wo wir den Umgang mit Menschen fliehen, weil wir sie scheuen, wo wir fähig sind, aus tiefer Verachtung uns selbst zu quålen. Es fey ferne von uns, diesen Zustand einer düstern Laune für vernünftig und gut zu halten. Ueberfällt sie uns, ohne daß wir uns einer besondern Ursache, eines wichtigen Vergehens bewußt sind; so ist sie entweder die Folge unbefriedigter Leiden schaften; oder die Wirkung eines zerrütteten, den Geist mit bangen Gefühlen ångstigenden Körpers. In beyden Fållen haben wir Ursache, einem Uebel entgegen zu arbeiten, das alle unsre Kräfte lähmt, das an unserm Leben nagt, und uns aufgelegt zu groffen Fehltritten macht. Eben so wenig ist das Jaghafte Mißtrauen zu billigen, das manche in ihre Kräfte feßen. Wie freygebig mit natürlichen Fähigkeiten ist Gott gegen so manchen gewesen, der in einer Dunkelheit verborgen liegt, wo ihn Niemand kennt. Er könnte sich

auszeichnen, er könnte der Welt die nüßlichsten Dienste leisten, er könnte eine Menge eingebildeter unbescheidner Thoren mit Schande bedecken: aber ihr ermuntert ihn vergebens, die Ansprüche geltend zu machen, zu welchen seine Kräfte, sein Fleiß und feine rühmlichen Eigenschaften ihn berechtigen; denn er traut sich nichts zu, er hält sich zu allem unfähig, was er zu thun im Stande wåre, wenn er mehr Muth hätte. Sehet da ein paar Arten der Unzufriedenheit mit sich selber, welche die Vernunft verwirft, und das Christenthum verurtheilt. Laffet mich dagegen

b) die Natur der vernünftigen Un zufriedenheit mit sich selbst genauer erklären, und es wird in die Aug* fallen, wie sehr sie von jenen beyden verschieden ist. Sie ist, wenn ich es kurz sagen soll, das Mißvergnügen über die Mängel, welche man an feinen Vorzügen noch an trift. Wer diefes Gefühl hat, verkennt sich keineswegs felber ; nein, er wird sich alles des Guten bewußt, das ihm die Natur geschenkt hat, das durch. Fleiß und Anstrengung errungen ist, das er täglich übt und erweitert. Aber wie könnte er es vor sich selbst verbergen, daß dieses Gute sehr eingeschränkt ist; daß seine Kräfte sich bald erschöpfen; daß seine Er kenntniß überall an Dunkelheiten grånzt; daß es seiner Tugend an Lauterkeit und Stärke fehlt; daß auch das beste Werk, das er hervorbringt, immer noch seine Flecken hat? Je beffer er selbst wird; je mehr sich sein Geist zu allem erweitert, was er haben und groß ist: desto mehr bildet sich in ihm eine reine heilige Gestalt von Vollkommenheit, die ihm immer vorschwebt, und die er doch nie erreis chen kann. Würde er nicht seine Pflicht verlegen,

wenn er nicht mit Mißfallen bemerken wollte, wie weit er noch von dem ihm vorgesteckten Ziel ent. fernt fey? Wird das demüthigende Gefühl über diesen Abstand sich nicht in jede Freude mischen, die er über seine Vorzüge empfindet? - Und nun wird sich auch

c) der Umfang leicht vorzeichnen lassen, den dieses Gefühl haben soll. Allem, was gut an uns ist, sind gewisse Unvollkom= menheiten beygemischt; die unvernünftige Unzufrie denheit mit sich selber wird sich also über unser Wi ssen, über unsre Tugend, und über alle unsre Verrichtungen ausbreiten müssen. Denn wie kann der, der Wahrheit redlich sucht, bey dem, was er we, sich jemals beruhigen? Wie búrf tig sind seine Kenntnisse! Wie oft verlassen sie ihn gerade da, wo er sie am nöthigsten hatte! Wie schwer wird es ihm, ihr gänzliches Verschwinden zu verhindern! Wie wenig ist ihm gerade von den Dingen bekannt, die seine Wißbegierde am meisten reizen! Wie unermeßlich liegt das Reich der Wahrheit da vor ihm, und wie klein ist die Gegend, die er überschauen kann; und in dieser kleinen Gegend, welche Dunkelheiten, welche Ab gründe, welche råthselhafte, unzugängliche Pläße giebt es noch, in die er fo gern eindringen möchte, ohne es zu können! Scheint es der in der wah ren Weisheit nicht am weitesten gebracht zu ha ben, der es weiß, daß wir nichts wissen? Und was foll man von unsrer Tugend sagen? Feh len wir, wie der Apostel spricht, nicht alle mannichfaltig? Ist es nicht wenigstens ein Splitter, was uns im Auge hångt, wenn uns auch kein Ballen entstellen sollte? Geben wir den Reis hungen zum Bösen nicht oft und viel zu willig nach ?

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