I. Advent. 1. Nun freut euch, lieben Christen g’mein. Die erste Blüte im evangelischen Liedergarten. Als Dr. Martin Luther bei der Nachricht von dem Zeugentode des Heinrich Voes und Johann Esch zu Brüssel 30. Juni 1523 in die Saiten griff mit dem Gesang: Ein neues Lied wir heben an, Das walk Gott unser Herre!" schloß er in freudigem Geiste sein Lied mit den Worten: Der Sommer ist hart vor der Thür, Der Winter ist vergangen. Die zarten Blümlein gehn herfür; Der wird es wohl vollenden. Damit hatte er der evangelischen Kirche auch einen Liederfrühling geweissagt, welcher prächtig ins Land zog. Im nächsten und innersten Zusammenhang mit jenem Liede folgte sofort dieses Kirchenlied, welches der evangelischen Freudigkeit jener beiden Märtyrer einen volltönenden allgemein gültigen Ausdruck gibt. Von Luther gedichtet 1523, erscheint es im ersten Gesangbüchlein der Reformationszeit, dem Achtliederbuch oder kleinen Nürnberger Enchiridion 1524, als das erste von acht, und führt den Titel: „Ein christenlichs Lied Doktoris M. Luthers, die unaussprechliche Gnaden Gottes und des rechten Glaubens begreyffendt." In dem Erfurter Enchiridion vom J. 1524 heißt es ganz kurz: „folget ein hübsch evangelisch Lied, welches man singt vor der Predigt." Luther selbst überschrieb es in seinen G.G.: „Ein Danklied für die höchsten Wohlthaten, so uns Gott in Christo erzeigt hat." Mit Recht kann man von ihm sagen: „Hier ist der ganze evangelische Glaubensgrund enthalten." Schamelius gibt ihm daher den Titel: „Von der Ordnung des Heils und dem Werk der Erlösung", und G. Wimmer gibt den Inhalt kurz und gut mit den Worten an:,,Magnalia redemtionis Christi." Das ganze Lied ist, wie alle Lieder Luthers, dem Boden der heiligen Schrift entsprungen, und jeder Gedanke hat seine biblische Begründung.,,Daß whr auch vns möchten rhümen, wie Moses ynn sehm gesang thut: Exod. 15", so sagt Luther in seiner Vorrede zum " Enchiridion, und in der That macht unser ganzes Lied den Eindruck desselben Jubels wie dort am rothen Meere, nur daß es hier den Triumph über den höllischen Pharao gilt. Dieser Jubelton erfüllt besonders V. 1. Fröhlich soll mein Herze springen!" Das ist ein Echo vom Reigen Mirjams, welches Paul Gerhardt gerne weiter flingen ließ, und welches in unsern Herzen nachklingen soll, so oft wir mit Luther in diesem Lied dem Heldengang des Erlösers nachdenken dürfen. — V. 2. 3. schaut der Sänger in seiner eigenen Lebenserfahrung im Kloster den Zustand des Menschen ohne Christo überhaupt, wobei die Erfahrung Pauli Röm. 7 mitklingt und die Welt vor Christo im Judenthum und Heidenthum angedeutet wird. - V. 4. 5. tritt ihm nun in wundervoller Weise der Rathschluß der Erlösung vor das geistige Auge. Aus dem Jammer der Zeit blickt er in die Tiefe der Ewigkeit und sieht mit Lust, wie die Liebe der Ewigkeit sich ergießen soll in die Fülle der Zeit. V. 6 ist der Mittelpunkt des Liedes: die Thatsache des Heils, kurz und zart in ihrem Eintritt beschrieben. Die Gemeinde wird hineingezogen in seinen Gang. V. 7. 8. 9. sehen wir den Sohn sich gürten zur Hingabe, im Tode das Leben ergreifen und von der himmlischen Triumpheshöhe die Siegesbeute des Geistes geben. Es ist der ErLösungsgang zu unsrem Heil. - Endlich klingt V. 10 das Lied aus in einen Ton der Ermahnung: Lehret sie halten, was ich euch befohlen habe! Einem solchen Lied, frisch aus der Quelle, wo man buchstäblich jede Zeile aus der Schrift belegen könnte, hat es darum an geschichtlichen Beweisen seiner Segenskraft nicht gefehlt. Im Allgemeinen bezeugt Tilemann Heßhusius in einer Psalmenvorrede 1565: „Mir zweifelt nicht, durch das eine Liedlein Lutheri: Nun freut euch, lieben Christen g'mein! werden viel hundert Christen zum Glauben bracht worden sein, die sonst den Namen Lutheri vorher nicht hören mochten; aber die edeln theuren Worte Lutheri haben ihnen das Herz abgewonnen, daß sie der Wahrheit beifallen mußten. So daß meines Erachtens die geistlichen Lieder nicht wenig zur Ausbreitung des Evangelii geholfen haben." - Im Besonderen geschah es, wie Heerbrand in seiner Leichenpredigt auf Dr. Jakob Andreä 1590 erzählt, daß im Jahr 1557 am Tage St. Johannis des Täufers einige Fürsten, die in Frankfurt a. M. beisammen waren, ein Verlangen hatten, eine evangelische Predigt in der St. Bartholomäikirche zu hören. Nachdem es nun ausgeläutet war zu diesem Gottesdienst, bestieg aus Haß gegen die reine evangelische Lehre ein katholischer Priester die Kanzel, stimmt das Lied: Nun bitten wir den h. Geist" an und handelt das Evangelium nach seinen Glaubenslehren ab. Die versammelte Gemeinde aber, welche Verlangen nach dem lautern Wort Gottes hatte, unterbrach endlich ganz erzürnt den Priester durch Anstimmung des Liedes: „Nun freut euch, liebe 2c." Der beleidigte Priester wandte sich zu einem der anwesenden Fürsten und bat denselben, seines Rechts wahrzunehmen und ihm dessen Zeugniß am jüngsten Tag zu geben. Der weise Fürst aber wies ihn mit Vorhaltung seines Unrechts zurück und sezte hinzu: „Was das Zeugniß an jenem Tage betrifft, so glaube ich, werden wir wohl nicht so nahe beisammen sein und einander nicht kennen." Der aufgebrachte Priester wirft die Sanduhr in seiner Hand zur Erde, verläßt die Kirche, aus der ihn die Gemeinde mit diesem Lied hinausgesungen hat, und der evangelische Gottesdienst wird ungestört vollendet. " Für die einzelnen Verse bemerken wir Folgendes: Zu V. 1 erzählt Cyriakus Spangenberg in seiner Cithara Lutheri Erfurt 1569 eine sonderliche Geschichte. Als er einst auf einer Geschäftsreise als Generaldekan von Mansfeld in einem Kloster übernachtet, habe sich ein junger Schreiber nach der Mahlzeit über die Lutherschen Lieder gegen ihn lustig gemacht und namentlich das Lied: Nun freut euch, liebe 2c." ein Huren-, Babel- und Teufelslied genannt. Aus den Worten des 1. Verses nemlich: „und laßt uns fröhlich springen" haben die Papisten damals zu lästern beliebt, es wäre ein Buhlenlied. Da er ihn gewarnt, Gott nicht zu lästern, habe er gesagt: „Ja, er wolle, daß ihn Gott strafe, só es nicht ein solches Lied wäre." Darauf habe er, Spangenberg, gesprochen: Nun wohlan, Gott läßt seiner nicht spotten; er wird sich, ehe ein Jahr umkommt, schrecklich sehen lassen und zu dieser muthwilligen Lästerung nicht stille schweigen." Diese Rede sei nun aufs schändlichste verlacht worden, worauf er die Sache Gott in seinem Gericht anheimgestellt und befohlen habe. Ehe jedoch ein Jahr um gewesen, sei dieser Mensch auf einer Reise ganz wahnsinnig geworden, daß er immer geschrieen und sich endlich in einen Brunnen gestürzt habe. Man habe ihm aber herausgeholfen und Gott habe ihm auf frommer Christen Fürbitte die Gnade gegeben, daß er zur Erkenntniß seiner Sünden und wieder zurecht gekommen sei und nun Zeitlebens V. 1-4 dieses Liedes gar glaubig und andächtig zu beten gepflegt habe. Ganz anders ist die Zeile „Laßt uns fröhlich springen!" dem edlen Paulus Gerhardt erschienen, dem sie eine Quelle wurde zu dem Weihnachtslied: Fröhlich soll mein Herze springen! und zu dem Heldenentschluß: „Mein Herz beginnt zu springen und kann nicht traurig sein." Das „Singet, springet, jubiliret!" läßt sich erst dann recht verstehen, wenn man auch den Zustand in V. 2. 3. nachempfunden hat. Denn gerade diese Verse zeigen, daß das Lied nicht bloß der Kirche Lied, sondern Luthers Lied in besonderstem Sinn ist. Sie erinnern an den Herzenszustand, in welchem Luther sich selbst einst befand, da er noch Mönch im Kloster zu Erfurt war und sich so eifrig abmühte, durch Mönchsgelübde und geistliche Übungen den Frieden mit Gott zu erringen, daß er sagen konnte: „Wahr ists, ein frommer Mönch bin ich gewesen und habe meinen Orden so streng gehalten, daß ichs nicht aussagen kann. Ist je ein Mönch in Himmel kommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineinkommen sein. Ich habe mich selbst aufs allerhöchste beflissen und meinen Leib mit Fasten, Wachen, Beten und andern Uebungen viel mehr gemartert und ge= plagt, denn alle die, so jehund meine ärgsten Feinde sind. Ich und andere haben es uns so herzlich und mörderlich sauer werden lassen, daß wir nur unsere Herzen und Gewissen vor Gott zur Ruhe und Frieden bringen möchten, und aber doch denselben Frieden in solch greulicher Finsterniß nirgends finden können." Bei V. 3 und 4 hat sich denn die Trosteskraft der Erfahrung auch hernach geoffenbart. So lesen wir in Gottschalds Liederremarquen 1748: In Ostreich, in dem Lande ob der Enns, gieng einst der Befehl aus, daß alle, die der evangelischen Lehre anhangen würden, ihrer Ämter entseßt und mit Verlust ihrer Güter des Landes verwiesen werden sollten. Da verließ ein Schulmeister, durch diesen Befehl erschreckt, die erkannte Wahrheit und wandte sich wieder zur katholischen Kirche. Seine frommé Ehefrau aber, welche alles für Schaden erachtete gegen die Erkenntniß der überschwänglichen Gnade Gottes in Christo Jesu, stellte ihrem Manne vor, wie er Unrecht gethan habe, und seßte hinzu, er würde auf seinem Sterbebette wohl erfahren, daß er seinen Glauben auf Sand gebaut habe. Nach kurzer Zeit verfällt der Schulmeister in eine schwere Krankheit, die ihm den Tod sicher vor Augen hält. Um sein geängstetes Gewissen zu beruhigen, läßt er Geistliche seines Glaubens rufen, aber bei ihrem Zuspruch bleibt sein Herz kalt und trostlos. Da wird es mit einemmal ganz licht in seinem Innern, er erinnert sich des trostvollen Lieds: „Nun freut euch, liebe 2c." und bittet, daß es ihm seine Frau zum Trost in seiner Todesnoth singen solle. Als die nun V. 3 und 4 gesungen, gab er seinen Geist in die Hände dessen, der auch noch in den lezten Augenblicken seine Gnade den Verirrten darreichet. Von V. 5 und 6 hat Paul Gerhardt den schönsten Nachklang gegeben in seinem Lied: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld. Wer vom Liebesrathschluß der Ewigkeit singen und sagen will, muß es in menschlich unvollkommenen Worten thun; aber Luther und Gerhardt haben es in einem so zarten herzigen Zwiegespräch gethan, daß unter solchen Tönen ein Herz innerlichst erquickt wird. V. 4 und 7 waren die Labung des Erbmarschalls zu Cammerow, Georg Malzan, vor seinem Scheiden. Kläglich winselnd ließ er nicht davon und wiederholte mehreremal die Worte: "Ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein, uns soll der Feind nicht scheiden", worüber allen, die es angehört, das Herz gebrochen und die Augen aus herzlichem Erbarmen und Mitleid übergegangen sind. Zu V. 9 und 10. Bartholomäus Rieseberg, ein alter Theolog aus Luthers Zeiten, der im J. 1566 nach vielen erlittenen Drangfalen als erster evangelischer Prediger zu Gardeleben an der Pest erkrankte, gab den Glaubensgenossen, die mit Gebet und Flehen sein Lager umstanden und ihn fragten, wie nach seinem Tod die Kirche bestellt und regiert werden solle, die Antwort: „Alles nach Gottes Wort und dem lieben Luthero." Hierauf hob er seine Stimme hell auf und sagte: „Gen Himmel zu dem Vater mein fahr ich von diesem Leben“ bis zu Ende. Und als er hier noch mit besonderem Nachdruck gesprochen: „und hüt't euch für der Menschen G'sag", sezte er ihnen schließlich hinzu: „eine kurze und gute Kirchenordnung." (Pilger aus Sachsen. 1839. Nr. 36.) Wie tief dies Lied den Gemüthern in der Reformationszeit eingeprägt war, beweist auch noch folgende Parodie, die ebenso wohlgemeint als historisch interessant ist. Als der edle Dulder, Johann Friedrich, Kurfürst zu Sachsen, aus seinem Gefängniß_frei geworden war Sept. 1552, war die Freude allgemein. Die Kurfürstin Sibylla vertauschte die Witwenkleider, welche sie fünf Jahre lang getragen, mit dem herrlichsten Festschmuck, und in Eisenach fangen die Kinder: Ihr Bürger, freut euch insgemein Als aber der Kurfürst zu seinem Hofprediger, dem Bischof von Amsdorf, sagte: Ach was bin ich armer Sünder, daß mir solche Ehre widerfahren darf? antwortete dieser: „Kurf. Durchlaucht sollten zufrieden sein. Wenn Sie zur Stätte der Ewigkeit gelangen, muß es viel besser werden!" (Fliedner, Buch der Märt. III.) Das Lied ist im ganzen mit 4 Melodien geschmückt worden. Die Melodie g g dgchag erscheint mit ihm in den ersten Drucken auf einem einzelnen Blatt und in den acht Gesängen 1524, sie verbreitete sich weit, gieng sogar in das Gesangbuch der böhmischen Brüder 1531 über und ist noch jezt gebräuchlich. Es fehlt jedoch an den nöthigen Bürgschaften für Luthers Urheberschaft, sonst hätte Johann Walther in seinem Gesangbüchlein 1524 nicht eine zweite Melodie hinzugefügt, die übrigens bald außer Gebrauch gekommen sein muß. Ebenso früh wie die erste erscheint eine dritte, welche dem Lied: Es ist das Heil uns kommen her" verblieben ist (vgl. daselbst), und eine vierte jonische Parallelmelodie der ersten, welche sich mit dem Lied verbunden hat: „Es ist gewißlich an der Zeit" (vgl. dort). " 2. Mit Ernst, o Menschenkinder. Über Luc. 3, 1-18 gedichtet von Valentin Thilo, dem Jüngeren (1607-1662), und erschienen im „New preußischen Gesangbuch, Königsberg 1650." Dieser edle Genosse Simon Dachs, der seit 1643 Professor in seiner Vaterstadt Königsberg war, hatte durch den rührend schönen Tod seiner einigen, allerliebsten Schwester" einen so tiefen Eindruck bekommen, daß er schon als ein Mann im blühendsten Lebensalter ernstlich bedacht war, sich auf sein eigenes Ende zu bereiten. Diese Schwester Justina, die Gattin des Pfarrers Kuhn an der Roßgarti= schen Kirche zu Königsberg, wurde nemlich als blühende, junge Frau schon vier Jahre nach geschlossener Ehe, am 16. August 1639, von |