Lage, mich auch bis zu diesem Augenblicke noch befinde*). Doch legte ich eben in Coserow und seiner großartigen Naturumgebung den ersten Grund zu meiner wissenschaftlichen und ästhetischen Bildung. Insonderheit warf ich mich nach der Aufforderung Jean Pauls, welcher eine Tragödie von mir mit liebevoller Nachsicht aufgenommen hatte, mit großem Eifer auf die philologischen und kritischen Studien, wobei ich jedoch einen Widerwillen gegen alle weitschweifigen Commentare hatte, welcher noch wuchs, als ich nach Aristoteles, Cicero, Quintilianus, Høme, Lessing u. a. meinen Geschmack zu bilden und zu vervollkommnen suchte. Diese Bemühungen hatten denn gleichzeitig auch den besten Erfolg auf meine theologische Richtung. Ich war bis dahin ein gewöhnlicher Rationalist gewesen, aber sobald ich die gewonnenen Anschauungen auf die heilige Schrift übertrug, erstaunte ich und überzeugte mich bald, daß sie nur allein *) Der Verfasser, am 27. Februar 1797 zu Negelkow auf Usedom geboren, studirte von 1813 bis 1815 zu Greifswald Theologie, ward 1820 Rector in Usedom, 1821 Pastor in Coserow, 1826 in Crummin (gleichfalls auf Usedom belegen), 1840 Doctor der Theologie und 1844 Pastor in Rehewinkel und Ball bei Stargard in Pommern. Mehreres über sich hat er mitgetheilt in seinen humoristischen Reisebildern von Usedom. Stralsund bei Loeffler 1837. von dem antifen Standpunkte aus recht verstanden und gewürdigt werden könne. Auf Vocabeln war es mir nie angekommen, nie auf die Form, sondern stets auf den Inhalt. So kam es denn, daß Ausdrücke, als: „und er gab ihn seiner Mutter" Lucas 7, 15;,,und daselbst kreuzigten sie ihn“ Cap. 23, 33 ff. mir die Thränen in die Augen jagten durch die unaussprechlich erhabene Einfalt, welcher ich darin zu begegnen glaubte. Himmel, dachte ich, wenn diese Beschreibungen ein moderner Schriftsteller, vielleicht sogar ein Zeuge der geschilderten Thatsache gegeben hätte oder hätte geben können, welche Bogen langen Exclamationen würden wir lesen. Dies ist keine menschliche, dies ist eine göttliche Ruhe, welche den heiligen Schriftstellern die Worte dictirt, und sie weiter nichts sagen läßt, als die Hinrichtung ihres angebeteten Meisters beginnt, als: daselbst kreuzigten sie ihn*). *) Ich habe später gesehen, daß es dem berühmten französischen Geschichtschreiber Rollin eben so ergangen ist. Er sagt von den Worten: daselbst kreuzigten sie ihn: „jemehr man auf den nicht nachzuahmenden Charakter der Evangelisten achtet, desto mehr erkennt man, daß sie ein ganz anderer Geist leitet, als der menschliche. Sie begnügen sich mit einem Worte zu sagen, daß ihr Herr gekreuzigt sei, ohne irgend Erstaunen oder Mitleid zu zeigen: Wer würde von einem Freunde so reden, der sein Leben für uns gelassen hätte? Allein hierin sieht man den Finger des Herrn offenbar. Und je weniger Natürlich wandte ich nun meine gewonnenen Anschauungen auch auf die Personen der heiligen Geschichte an, und da war es mir allmälig klar, daß mein Kutscher eher einen Goethe'schen „Faust“ schreiben, als daß diese beschränkten Fischer und Handwerker, die Apostel, jemals den Charakter eines Christus hätten durchführen, geschweige erfinden können, den Charakter eines Christus, wovon die größten Geister Roms und Griechenlands niemals eine Vorstellung, ja nicht einmal eine Ahnung gehabt hatten. So galt mir denn bald die psychologische Erklärung der heiligen Schrift, worin aber bis auf den heutigen Tag leider so wenig geschehen ist, als die höchste, und wenn auch nicht tausend äußere Zeugnisse mir die Wahrheit des Evangeliums verbürgt hätten, die inneren würden es allein gethan haben*). der Mensch in einem so wenig menschlichen Betragen vorkommt, desto klarer ist die Wirkung Gottes". (De la manière d'enseigner et d'étudier les belles lettres.) *) Und dieser felsenfesten Ueberzeugung bin ich noch, nachdem Schleiermacher und später Twesten die Grundlage meines Glaubens vollendet haben. Es vergeht seit geraumen Jahren kein Tag meines Lebens, an welchem ich wenigstens nicht einige Verse der heiligen Schrift des N. T. im Originale lese, und so oft ich sie auch schon ganz durchlesen, so finde ich in diesem Urquell aller Wahrheit doch immer neue Goldkörner und neue Befestigung. Deßhalb war und ist mir nichts verhaßter als die von den Philologen bis auf den heutigen Tag einzig aus dem sprachlichen Ausdruck entlehnten Beweisgründe so mancher Theologen für die Aechtheit oder Unächtheit dieses oder jenes biblischen Buches, welche allenfalls nur noch mit einigen leicht aufzufindenden historischen Notizen verbrämt sind. Ist doch diese Tollheit so weit getrieben, daß es fast kein einzelnes Buch in der ganzen heiligen Schrift giebt, an welchem man nicht versucht hätte, sich auf diese leichte Weise die Rittersporen zu verdienen. Allein welche Irrthümer bei dieser Kritik vorgehen können, zeigte mir die ältere und neuere Zeit an Männern, welchen diese Herren nicht werth sind die Schuhriemen aufzulösen. Ich wußte aus Bayle*), daß schon Muretus dem gelehrten Scaliger einige selbstgemachte Verse für antike und zwar für Verse des Trabea mit unerwartetem Glücke aufgedrängt hatte, und daß Erasmus, doch einer der größten Gelehrten aller Zeiten, in einen ähnlichen Irrthum gefallen war. Ebenso hielten einst die größten Kritiker des Reformations - Zeitalters den untergeschobenen Dichter Apollonius Collatius für ächt**). *) Dictionnaire IV, sub voce Trabea. **) ut antiquus a summis saeculi hujus viris passim laudatur sagt Vossius de historia latina pag. 811. Ich führe nur einige an: Casaubonus, Joseph Scaliger und Meursius. Meinhold, Bernsteinhere. 3. Aufl. b Auch unsere, sich so überaus klug dünkende Zeit war nicht frei von ähnlichem Irrthume. Der längst wieder aufgegebenen HomeridenHypothese des berühmten F. A. Wolf, welche nach meinem Dafürhalten allein schon zeugt, daß ihr Erfinder weiter nichts, als ein Schulmeister oder Vocabelstecher, kurz ein Mensch war, der keinen Begriff vom dichterischen Schaffen hatte, erwähne ich nur im Vorbeigehen, und erinnere dagegen an den weit größeren Bock, welchen er schoß, als er einen Brief des Cicero nach Stil und Sprache für unächt erflärte, blos weil ein altes Manuscript ihn an einer andern Stelle hatte, als sämmtliche bisherige Ausgaben, in welchen unser Held aber vorher nachzulesen sich nicht die Mühe gegeben hatte. Dies war bekanntlich der Tod seiner Analekten nicht blos, sondern fast auch seiner ganzen kritischen Auctorität*). Ich legte und lege daher auf dergleichen Spiegelfechtereien, wie sie auch auf die heilige Schrift angewendet worden sind und noch angewendet werden, nicht das allergeringste Gewicht, sondern bin ganz der Meinung des großen Bayle, welcher von dem kritischen Irrthum des Erasmus sagt: es erhellt hieraus, daß die allergeschicktesten Leute. *) Tholuck, „Die Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte". S. 120 ff. |