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dafs zu dem Charakter des Jüngers Johannes, der nach Luc. 9,54 mit seinem Bruder Jacobus auf die Städte Samarias Feuer vom Himmel fallen lassen wollte und vermutlich um dieses Jähzorns willen von Jesu Marc. 3,17 als Donnersohn bezeichnet wurde, dafs zu einem solchen Charakter allenfalls die wilden, apokalyptischen Bilder der Offenbarung Johannis passen möchten, nicht aber das milde Licht und die philosophische Ruhe des vierten Evangeliums.

3. Die paulinische Heilstheorie und der Pragmatismus des vierten Evangeliums.

Wir haben gesehen, wie der Glaube an Jesus, als den gottgesandten Messias, und die Tatsache der Kreuzigung Jesu im Geiste des Apostels Paulus sich zu der Theorie verknüpften, dafs Gott nach einem vorher beschlossenen Heilsplane seinen Sohn, um für die Sünden der Welt Genugtuung zu leisten, in Leiden und Tod hingegeben habe. Zu welchen Konsequenzen diese Theorie führt, ersieht man an dem Pragmatismus des vierten Evangeliums, welcher ein ganz unhistorischer ist. Unter einem historischen Pragmatismus verstehen wir einen solchen, welcher die Begebenheiten aus ihren natürlichen Ursachen ableitet, wie in der Profangeschichte geschieht, auch allenfalls noch einen solchen, welcher zu diesen Ursachen ein unmittelbares Eingreifen Gottes oder der Götter mitrechnet, wie es in den Heiligenlegenden aller Völker der Fall ist; aber von beiden verschieden ist der Pragmatismus des vierten Evangeliums, nach welchem alle Begebenheiten nicht durch natürliche oder auch übernatürliche Ursachen bewirkt werden, sondern allein durch den in Gottes Ratschlufs vorausbestimmten Zweck, die Herrlichkeit des Sohnes Gottes den Menschen zu offenbaren. Daher die öfter vorkommende Wendung in den Reden des johanneischen Jesu: Meine Stunde ist noch nicht gekommen" (vgl. 2,4. 7,6), daher auch die wiederholten Versuche der Juden, Jesum gefangen zu nehmen, erfolglos bleiben; 7,30: „,Da suchten sie ihn zu greifen, aber niemand legte die Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen“; 8,20: „niemand griff ihn, denn seine Stunde

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3. Die paulin. Heilstheorie u. der Pragmatismus d. vierten Evangeliums. 275

war noch nicht gekommen". Besonders grell tritt dieser Pragmatismus der Vorausbestimmung an einigen Ereignissen hervor, so namentlich bei dem Blindgeborenen im Kap. 9, in bezug auf welchen die Jünger dem Herrn die sonderbare Doppelfrage vorlegen, 9,2:,,Meister, wer hat gesündiget, dieser oder seine Eltern, dafs er ist blindgeboren?" Wollen wir nicht unsern Autor einer Gedankenlosigkeit beschuldigen, so werden hier zwei mögliche Erklärungsgründe aufgestellt: Der Mensch ist blindgeboren, entweder, weil seine Eltern gesündigt haben, gemäfs der mosaischen Theorie, nach welcher die Missetat der Eltern heimgesucht wird an den Kindern (2. Mos. 20,5), oder weil er selbst gesündigt hat, eine Möglichkeit, welche eine Seelenwanderung in der Weise der Inder voraussetzt. So betrachtet würde die Doppelfrage der Jünger ein grofses, welthistorisches Problem aufrollen: Wer hat Recht in der Erklärung der Leiden des Lebens, Mose, der keine Unsterblichkeit kennt, daher die Sünden der Väter an den Kindern vergolten werden läfst, oder die Inder, nach deren Pragmatismus alle Leiden des Lebens die Folgen der eigenen Versündigung in einer frühern Geburt sind. Aber weder der althebräische noch der altindische Pragmatismus ist der unsers Autors, welcher seinen Jesus entscheiden läfst:,,Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern, dafs die Werke Gottes offenbar würden an ihm." Also nur darum mufste der arme Mensch von Geburt an blind sein, damit dem Sohne Gottes eine Gelegenheit geboten würde, seine Macht an ihm zu offenbaren. — Ähnlich liegt der Fall des Lazarus, welcher aus demselben Grunde krank werden und sterben mufs; 11,4:,,Da Jesus das hörete, sprach er: Die Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes, dafs der Sohn Gottes dadurch geehrt werde" (vgl. 11,42). Alles aber wird überboten durch die Rolle, welche dieses Evangelium den Judas spielen läfst. Jesus erwählt den Judas, obgleich er „,von Anfang an" (6,64) weifs, dafs derselbe ihn verraten werde, und dieses sogar offen ausspricht, 6,70: ,,Habe ich nicht euch zwölfe erwählet? Und euer einer ist ein Teufel!" Warum, so wird doch jeder fragen, wählte denn Jesus den Judas, wenn er wufste, dafs er ein Teufel war? Darum, so lautet

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die Antwort, weil in dem ewigen Ratschlusse Gottes dieser Unglücksmensch notwendig war, um die Gefangennahme Jesu herbeizuführen.

4. Der Sohn Gottes, allwissend und allmächtig.

Lesen wir die Briefe des Paulus nach der Reihenfolge ihrer Abfassungszeit, so läfst sich vom ersten bis zum letzten, vom ersten Briefe an die Thessalonicher bis zum Briefe an die Philipper verfolgen, wie Jesus dem Apostel unter den Händen aus einem individuellen Wesen sich fortentwickelt zu einem kosmischen Prinzip, als welches er neben Gott schon erscheint 1. Kor. 8,6:,,So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von welchem alle Dinge sind und wir in ihm; und einen Herrn Jesum Christ, durch welchen alle Dinge sind und wir durch ihn." Deutlicher reden die spätesten Briefe, Kol. 1,15, wo es von Christo heifst: „Welcher ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne vor allen Kreaturen. Denn durch ihn ist alles geschaffen, das im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare“; vgl. auch Eph. 3,9: „Die Mitteilung des Geheimnisses, das von der Welt her in Gott verborgen gewesen ist, der alle Dinge geschaffen hat durch Jesum Christum." Diese Fortentwicklung Jesu von einem individuellen zu einem kosmischen Prinzip ist neben der Anknüpfung an die griechische Philosophie die Vorstufe und Voraussetzung der Logoslehre des vierten Evangeliums. In diesem erscheint Jesus von vornherein als eine Inkarnation Gottes, ausgestattet mit den göttlichen Prädikaten der Allwissenheit und Allmacht. Der johanneische Jesus ist allwissend, Joh. 2,24-25:,, Aber Jesus vertraute sich ihnen nicht, denn er kannte sie alle. Und bedurfte nicht, dass jemand Zeugnis gäbe von einem Menschen: denn er wufste wohl, was im Menschen war." Er kennt den Nathanael, ehe er ihn noch gesehen hat (1,48). Er enthüllt dem samaritischen Weibe seine Vergangenheit (4,18), weifs, dafs er vor Abraham schon da war (8,58), sagt auf das bestimmteste voraus, dafs der Tempel seines Leibes abgebrochen und von ihm selbst am dritten Tage wieder erbaut werden wird (2,19-21), sagt die

Auferstehung der Toten voraus (5,28), meldet seinen Jüngern den in der Ferne erfolgten Tod des Lazarus (11,11-14), und auch in dem Zusatzkapitel von anderer Hand erklärt Petrus: ,, Herr, du weifst alle Dinge" (21,17). Diese Allwissenheit scheint sich gelegentlich auch auf andere zu übertragen, denn dem Johannes wird eingegeben zu taufen, um den Messias zu erkennen, und nachdem die Taube als das verabredete Kennzeichen sich auf Jesum herabgelassen hat (1,32-33), weifs Johannes sofort und sagt es voraus, dafs Jesus das Lamm (auvós, vgl. Jesaia 53,7) Gottes sei,,,welches der Welt Sünde trägt" (1,29). Ja sogar der Hohepriester Kaiphas weissagt, ohne selbst zu verstehen, was er sagt, den Opfertod Jesu (11,51). Weiter ist Jesus als inkarnierter Gott auch allmächtig; als solcher bedarf er keiner Speise (4,34), geht durch verschlossene Türen (20,19.26), er hat die Welt erschaffen (1,3), Gott hat ihm Macht gegeben über alles Fleisch (17,2), und er betätigt diese Macht durch acht Wunderwerke, welche alles hinter sich lassen, was die Synoptiker von dieser Art berichten.

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Das erste Wunder, die Verwandlung des Wassers in Wein auf der Hochzeit zu Kana, ist ohne jeden ethischen Gehalt und hat daher lediglich den Zweck, die magische Macht des Gottessohnes über die Natur zu erweisen (Kap. 2). Dann folgt die Heilung des Sohnes des Königischen aus der Ferne (4,52), des Gichtbrüchigen, bei dem die magische Wirkung des durch einen Engel bewegten Wassers ersetzt wird durch die nicht weniger magische Wirkung des Wortes Jesu (5,4.8). Aus der synoptischen Überlieferung sind die Speisung der Fünftausend und das Wandeln auf dem Meere herübergenommen; eigentümlich dem vierten Evangelium und, wie oben gezeigt, bedingt durch den Zweck, die Herrlichkeit des Sohnes Gottes zu offenbaren, sind die Heilung des Blindgeborenen (Kap. 9) und die Auferweckung des Lazarus (Kap. 11), woran sich als achtes Wunderwerk die aus der allgemeinen Tradition übernommene Auferstehung Jesu schliefst, welche hier nicht, wie nach der paulinischen Predigt, durch Gott, sondern durch Jesum selbst bewirkt wird (2,19; über die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes vgl. oben S. 229 fg.). Auch

sonst fehlt es in unserm Evangelium nicht an Zügen magischer Wirkung; so bei der Gefangennahme (18,6): „Als nun Jesus zu ihnen sprach: Ich bins, wichen sie zurück und fielen zu Boden"; und nach der Auferstehung 20,22 heifst es: „Und da er das sagte, blies er sie an, und spricht zu ihnen: Nehmet hin den heiligen Geist." Das stärkste Beispiel ist die Art, wie hier der Verrat des Judas eingeleitet wird. Nach Matth. 26,23, Marc. 14,20 will Jesus beim letzten Mahle nur sagen: Einer, der mir so nahe steht, dafs er mit mir die Hand in die Schüssel taucht, d. h. mit mir aus derselben Schüssel ifst, wird mich verraten. Und was wird daraus im vierten Evangelium? Jesus erklärt: Einer unter euch wird mich verraten. Petrus winkt dem Johannes, den Herrn zu fragen, welcher es sei. Jesus antwortet:,,Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er tauchte den Bissen ein und gab ihn Juda Simonis Ischarioth. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn" (13,26-27). Hiernach sieht es fast so aus, als hätte Jesus durch Überreichung des Bissens das Fahren des Satans in Judas und somit dessen Verrat selbst veranlafst. Zu solchen Konsequenzen führt der Pragmatismus dieses Evangeliums.

5. Die Wiedergeburt und der Monergismus.

Wir sahen oben, wie im Gedankengang des Apostels Paulus aus den beiden fundamentalen Überzeugungen von der Unfreiheit des Willens und den gleichwohl zu Recht bestehenden ethischen Forderungen die Lehre von der Wiedergeburt als das Zentraldogma des Christentums allmählich entstand, ohne dafs für die Bezeichnung dieser Wiedergeburt schon ein bestimmter Terminus vorhanden wäre. Vielmehr beschreibt Paulus diesen Prozefs mit mannigfachen Ausdrücken als eine neue Schöpfung (Gal. 6,15, 2. Kor. 5,17), als ein Umgewandeltwerden (μstaμoppovode, Röm. 12,2), ein Geborenwerden Christi in uns, das Anziehen eines neuen Menschen, und erst im unechten Titusbrief 3,5 begegnet uns das Wort παλιγγενεσία. Diese verschiedenen Bezeichnungen beweisen, dafs Paulus erst sucht nach einem Ausdruck für das, was ihn innerlich beschäftigt, dafs somit das Dogma von der

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