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Das Leben

Walthers von der Vogelweide

von

Dr. Rudolf Menzel,

Lehrer der Geschichte und der deutschen Sprache am Vißthum'schen
Gymnasium in Dresden.

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Vorwort.

Unter der großen Zahl vielgepriesener Minnesänger, deren Dichtungen den Sturm der Jahrhunderte überdauert haben, nimmt keiner die germanistische Kritik so lebhaft in Anspruch, wie Walther von der Vogelweide. Dieses tiefe Interesse einer späten Nachwelt verdankt der Dichter nicht ausschließlich der Genialität und dem süßen Zauber seiner erotischen Muse, sondern vor Allem seiner edlen Persönlichkeit selbst, und diese offenbart sich in vollem Glanze in der politischen Dichtung. Sie ist sein eigentliches Lebenselement; in ihr ist er wahrhaft groß und unerreicht und reißt uns zu um so vollerer Bewunderung hin, als diese poetische Gattung, von keinem deutschen Dichter vor ihm gepflegt, eine freie Schöpfung seines Genius ist. In ihr entfaltet er eine Hoheit des Geistes, einen Adel der Denkart, eine Reife des Urtheils, eine Gluth des Patriotismus, eine Ueberzeugungstreue und einen Freimuth, wie wir ihn an einem armen Sänger, der von Hof zu Hof wandernd mit dem Erlöse seiner Kunst mühsam sein Dasein fristete, nicht vorauszuseßen pflegen. In dieser politischen Dichtung liegt denn auch der Schwerpunkt seiner Bedeutung für die Geschichte unseres Volks. Denn er berührt nicht nur die wichtigsten politischen und kirchlichen Fragen und die verhängnißvollsten Ereignisse seiner Zeit und erhellt den spätesten Geschlechtern ein längstentschwundenes Jahrhundert mit blendenden Schlaglichtern, sondern er greift selbst überall thätig in die Entwickelung der Geschicke der Nation ein und gibt sich als ebenso einflußreichen, wie beredten Sprecher einer Partei zu erkennen, die, unbeirrt von den streitenden dynastischen In

teressen der Ghibellinen und Welfen, die rein nationale Sache vertrat und unverrückt ein Ziel im Auge behielt, die Ehre und Größe der Nation, die Idee des weltbeherrschenden deutschen Kaiserthums. Diese patriotische Grundrichtung seines Lebens und Dichtens würde allein hinreichen, ihm die Unsterblichkeit zu sichern, auch wenn er kein so vollendeter Meister der Form und Gestaltung wäre, wie er es wirklich ist. So aber erscheint er uns als Mensch, als Deutscher und als Dichter gleich groß und bewundernswerth.

Ist die Lebensgeschichte eines solchen Mannes an sich von hohem Interesse, so leiht ihr der großartige Hintergrund einer ereignißreichen, vielbewegten Zeit noch höheren Reiz und wenn bei gänzlichem Mangel urkundlicher Zeugnisse über des Dichters Person und Lebensumstände es einzig dem Scharfsinn des Kritifers überlassen bleibt, aus den Dichtungen selbst die zerstreuten Fäden aufzusuchen und zusammenzuknüpfen, um des Dichters Lebensbezüge zu einem abgerundeten Ganzen zu gestalten, so begreift man leicht, welch mächtige Anziehungskraft diese Aufgabe auf den Literarhistoriker üben muß. Und glücklicher Weise hat uns Walther eine so ansehnliche Zahl politischer Gedichte hinterlassen, daß es uns durch bloße Combination aus den in denselben enthaltenen Anspielungen auf die Zeitgeschichte möglich wird, von seinem Charakter und seinen Lebensschicksalen ein so anschauliches und vollständiges Bild zu entwerfen, wie von keinem andern Sänger der deutschen Vorzeit. Dieses Lebensbild ist von um so größerem Werthe, als dasselbe, wie es einerseits ausschließlich durch Combination aus den Dichtungen Walthers gewonnen ist, so andrerseits wieder den unentbehrlichen Schlüssel zum tieferen Verständniß der lezteren selbst bildet. Leben und Dichtung stehen hier in unmittelbarster Wechselbeziehung, und nur wer jenes vollständig überblickt, vermag auch in die Geheimnisse der einzelnen Gedichte einzudringen und jedes derselben in seinem historischen Zusammenhange mit den Schicksalen des Dichters und mit den Ereignissen der Zeit zu würdigen. Die Biographie Walthers von der Vogelweide ist also zugleich der unentbehrliche Commentar zu seinen politischen Dichtungen. Aber auch der allgemeinen Zeitgeschichte dient sie zur Bestätigung und Ergänzung, indem nicht nur die wichtigsten urkundlich

beglaubigten Begebenheiten hier in den lebendigsten Farben sich wiederspiegeln, sondern auch über manche historische Verhältnisse, über welche die Urkunden uns wenig oder gar keinen Aufschluß geben, einiges Licht verbreitet wird.

Angesichts des lockenden Reizes, den die Lebensgeschichte Walthers gewährt, und ihrer hohen Bedeutung für die Erklärung seiner politischen Dichtungen, wie für die nationale Geschichte überhaupt, kann es nicht auffallen, daß die neueste germanistische Kritik sich mit Vorliebe diesem Gegenstand zugewandt hat, ungeachtet die Schwierigkeiten der Forschung mit den gewonnenen Resultaten oft in schneidendem Mißverhältniß stehen. Das richtige Verständniß und die sichere historische Deutung der Sprüche Walthers ist bald durch die Dunkelheit des Ausdrucks, der als bekannt und selbstverständlich voraussetzt, was den Zeitgenossen insgesammt gegenwärtig war, uns aber nach Verfluß so vieler Jahrhunderte räthselhaft ist, bald durch die Dürftigkeit der Urkunden, die uns den Schlüssel zu jenen Anspielungen geben sollten, ungemein erschwert. Je dehnbarer aber und vieldeutiger oft Walthers Ausdruck ist, desto mehr reizt er den Forschungsgeist zu immer neuen Vermuthungen und Combinationen. Daher kann es nicht befremden, wenn bei dem steigenden Interesse, mit dem sich die Kritik auf Walther von der Vogelweide geworfen hat, stets neue und weiter auseinandergehende Ansichten auftauchen und die Masse der Conjecturen allmählich zu einem Umfang angewachsen ist, der eher verwirrt, als aufklärt. In der That hat die Waltherliteratur in jüngster Zeit eine so üppig wuchernde Saat widersprechender Meinungen und Deutungsversuche ans Licht gefördert, daß es unabweisbares Bedürfniß geworden ist, in dieses Chaos Ordnung zu bringen und durch Zusammenstellung und Sichtung des ganzen kritischen Materials ein möglichst treues und flares Bild von Walthers Leben herzustellen.

Indem ich dieser Aufgabe mich unterziehe, halte ich es für angemessen, eine gedrängte Uebersicht über die gesammte unsern Dichter betreffende Literatur vorauszuschicken.

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