So ward dieser zu künstliche,,Unionsversuch" von Luther und Zwingli abgelehnt. Beide aber sehnten sich von ganzem Herzen nach Frieden und Eintracht für sich wie für die durch sie erneuerte Kirche; Beide erkannten auch wieder einstimmig, daß nur Der Frieden und die wahre Eintracht verleihen könne, der die Herzen der Menschen lenket wie Wasserbäche. Zu Ihm hatte sich Zwingli gleich beim Beginne des unseligen Streites *) gewendet in dem herrlichen Gebete, das wir hier einschalten wollen: „Erfülle du Schöpfer, Herr und Vater Aller, wir bitten dich darum, uns mit deinem milden Geiste, und vertreibe von beiden Seiten alle Nebel des Unverstandes und der Leidendenschaften, wie du vormals die wogenden Gewässer der Sündfluth durch deine gewaltigen Winde in die Tiefe getrieben und auf der allernährenden Erde die Fülle der Gewächse und Früchte wieder aufsprießen und reifen ließest! Mach Ende, o Herr, dem Streite und dem Zanke und der blinden Wuth! Erhebe dich, Ehristus, du liebliche Sonne der Gerechtigkeit, und bescheine uns mit deinen milden Strahlen. Ach, während wir streiten, versäumen wir nur zu oft nach der Heiligung zu ringen, die du von uns Allen forderst. Denn du weist, o Herr, daß wir nie gebessert aus Weltkämpfen hervorgehen, dieweil sie Fleischeswerke sind, die jeden beflecken, der sich darin verflicht, während die Frommen sich ihrer stets zu ihrem Heile entschlagen. Bewahre uns darum, o Herr, vor solchem Streite, damit wir unsere Kräfte nicht darin mißbrauchen, sondern sie mit ganzem Ernste auf das Werk der Heiligung anwenden.“ Der Herr erhörte das Gebet dieser Männer, die er zu einem großen Werke berufen hatte. Zwingli konnte wenige Wochen vor seinem so frühzeitigen Tode von dem Streite als von etwas Vergangenem berichten; er vermochte ein herrliches Zeugniß von der Kraft und Wirkung der Sacra mente abzulegen (siehe Thl. II. S. 280 ff.) und zu beweisen, daß er die Bedeutung dieser Heilsmittel in ihrer ganzen Tiefe erkenne. An den nämlichen Gott des Friedens wandte sich auch Luther und daher kam auch immer mehr über seine große Seele der wahre Friede, so daß er in dem oben angeführten Briefe an den Herzog von Lüneburg schreiben konnte: „Wo es Gott geben wird (nämlich daß wir einträchtig werden), so will ich alsdann fröhlich sterben, und meinen Abschied nehmen, ob Gott will." Sein Wunsch wurde erfüllt. Bevor er sich nämlich anschickte zu seiner lezten Reise nach Eisleben, wo er (1546) starb, ließ er Melanchthon zu sich kom *) In der Einleitung zu seiner „,freundschaftlichen Auslegung” (amica exegesis). men und sagte ihm: „Ich muß bekennen, in der Sache vom Abendmahle ist zu viel geschehen;" worauf Philipp antwortete: "Herr Doctor, so lasset uns eine Schrift stellen, worin die Sache gelindert werde." Luther erwiederte: „Ja lieber Philipp! ich habe es viel und oftmals gedacht, aber so wird die ganze Lehre verdacht; ich will es dem allmächtigen Gott befohlen haben. Thut ihr auch etwas nach meinem Tode!" Melanchthon hat diesen leßten Wunsch seines verehrten Freundes um so heiliger erfüllt, als ihn auch seine eigene Ueberzeugung dazu mahnte und trieb. Der Geist, der die Gläubigen immer klarer die Wahrheit zu erkennen befähigt, hatte auch diesen. treuen Wahrheitszeugen zu einer Ansicht vom heiligen Abendmahle geleitet, die mit der von Zwingli verkündigten sehr nahe verwandt ist. Wenige Monate vor seinem Tode (29. Oct. 1559*) wurde er von seinem Landesherrn, dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, veranlaßt, sich schriftlich über diesen Gegenstand zu erklären, da ein streitsüchtiger Mann, Heßhusius **), mit der größten Leidenschaftlichkeit den alten Streit wieder zu erwecken suchte. Ich wünsche von Herzen, schrieb Melanchthon, daß die durch die Verkündigung des Wortes neugepflanzte Kirche sich allenthalben des Friedens und der Ruhe erfreuen möge. Darum gefällt mir des Durchlauchten Kurfürsten Meinung, daß die zänkischen Kirchendiener der Kanzel müßig gehen follen, damit nicht Zertrennung in der zarten Kirche angerichtet, und die Schwachgläubigen dadurch betrübt werden. In diesem Streite wäre es das Beste, man hielte sich an die Worte Pauli: „Das Brod, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?" und lehrte dabei eindringlich den Nugen des Abendmahles, wodurch die Leute bewegt würden, dieses Pfand lieb zu gewinnen und es oft zu gebrauchen. Das Wörtlein Gemeinschaft soll so erklärt werden. Es spricht Paulus nicht wie die Papisten, daß das Brod verwandelt werde, *) Melanchthon starb im April 1560. Er war zu Bretten in der Pfalz den 16. Februar 1497 geboren. **) Tileman Heßhusius war zu Wesel im Jahre 1527 geboren. Er gehörte zu den Männern, die, weil sie wohl Luthers Leidenschaft aber nicht Luthers großen Geist besigen, sich für die allein wahren Lutheraner halten. Wegen einer leidenschaftlichen Vertheidigung der einseitigsten Auffassung der lutherischen Abendmahlslehre, und wegen seiner Verfolgungssucht gegen Alle, welche nicht mit ihm darin überstimmten, mußte er nach einander seines Lehr- und Predigtamtes entsegt werden: in Goslar, Magdeburg, Wittenberg, Heidelberg, Braunschweig, Wesel, Jena u. s. w., wo er überall die gehäßigsten Streitig= teiten erregte. Eine Synode von zwanzig Predigern in Königsberg verdammten 1577 förmlich die Lehrmeinungen dieses lutherischen Eiserers. Er starb 1588. er spricht nicht wie die zu Bremen,*) das Brod sei der wesentlich e Leib Christi, noch wie Heßhusius, das Brod sei der wahrhaftige Leib Christi: sondern das Brod ist die Gemeinschaft des Leibes Christi, durch das Brod wird eine Gesellschaft**) gemacht mit dem Leibe Christi. Der Sohn Gottes ist bei der Predigt des Evangeliums gegenwärtig und wirket gewiß auch in den Gläubigen durch die Austheilung des Sacramentes, das von ihm eingesezt ist. Er ist aber nicht da um des Brodes, sondern um des Menschen willen, wie er spricht: Bleibet in mir und ich in euch. Und ich bin im Vater, und ihr in mir und ich in euch. ` Und in diesem wahrhaftigen Trost machet er uns zu seinen Gliedern. Also erklären die alten Väter des Herrn Abendmahl. Jezt aber lehren Einige (die Papisten), das Brod und der Wein werden. in den Leib und in das Blut Chrifti verwandelt; Andere (die Ultralutheraner), daß mit, in, unter und neben dem Brode und Weine der Leib und das Blut Christi also verbunden seien, daß eins bei dem andern wesentlich und leiblich gegenwärtig sein müsse; Etliche sogar, daß der Leib und das Blut Christi allenthalben an allen Enden und Orten seien (Johannes Brenz). Von diesen ungeheuren Meinungen haben die alten hochgelehrten Väter nichts gewußt. Ich will auch nicht streiten mit jenen zanfsüchtigen Menschen, die Abgötterei und Mord mit ihrem neuen und groben Wahne von des Herrn Abendmahl treiben, sondern ich will nur nach meinem geringen Verstande anzeigen, was nach meiner Meinung zum Frieden und zur Erbauung der Kirche vorzunehmen wäre. Ich bleibe bei meiner Meinung, daß man den öffentlichen Zank beiden Theilen verbieten solle. Ich rufe den Sohn Gottes, unsern Herrn Jesum Christum an, der da fizet zur Rechten des Vaters und sich durch die Predigt des Evangeliums eine ewige Gemeinde sammelt, daß Er uns Alle und insbesondere jeden lehre, leite und beschüße." Auf diese Weise hat Melanchthon den lezten theuern Auftrag Luthers erfüllt, und die auf dem Grunde des Glaubens an Christum nach der Richtschnur des Wortes Gottes erneuerte Kirche zum Frieden und zur Eintracht ermahnt und hingewiesen. Es ist ein erhebender Anblick, die Männer des Kampfes zu betrachten, wie sie am Abende *) Unter diesen sind die Streittheologen Timann und Westphal zu verstehen, welche den frommen Prediger Albrecht Hardenberg aufs Heftigste verfolgten, weil derselbe in freundschaftlichen Verhältnissen mit Johannes Lasky und den Schweizern stand. **) Melanchthon nimmt hier Bezug auf jene Vergleichung Augustins, die derselbe zwischen den vielen Körnern, die Ein Brod und den vielen Beeren, die Ein Wein werden, mit den Gliedern der Kirche zieht, die durch den gläubigen Genuß des heil. Abendmahles Ein Leib Christi werden! Vergleiche damit ́ was Zwingli sagt: Thl. II. S. 282. ihres Lebens, da das Stückwerk unsers Wissens vor dem Glanze des ewigen Lichtes verschwindet, einander im Geiste die Hand zum Frieden bieten und diesen der durch sie erneuerten Gemeinde des Herrn als heiliges Vermächtniß empfehlen! Und wir sollten nun, nachdem sie eingegangen sind zum großen Abendmahle des Lammes, hienieden uur an ihren Schwachheiten uns anflammern, und unsere Gemeinschaft mit ihnen dadurch beurkunden wollen, daß wir dieselben wieder auffrischen, nachdem sie schon von ihnen selbst als ein zerrissenes, entstellendes Kleid abgelegt worden sind!? Der Herr der Kirche, der seine Jünger daran erkennen will, daß sie Liebe üben unter einander, wolle uns mit seiner Liebe erfüllen, daß wir Alle, die an Ihn glauben, auch das heilige Mahl der Liebe in seinem Sinne und Geiste genießen mögen! Achter Abschnitt. 3wingli in seinem Privatleben. Es freue sich das Herz derer, die den 1. Zwinglis Charakter; seine weise Benuhung der Zeit zur Besorgung feiner vielen Geschäfte; sein Familienleben. Nachdem wir das heilsame Werk der Erneuerung der Kirche Christi, wie es Zwingli in der Kraft Gottes ausgeführt, sowie die vielfältigen Kämpfe, welche dieser treue Gottesmann im Dienste der Wahrheit bestehen mußte, kennen gelernt haben, wollen wir unsre Betrachtung seinem Privatleben zuwenden und so einige friedlichere Bilder vor unserem Geiste vorüberführen, bevor wir sein leztes Wirken hienieden und die gewaltsame Entscheidung, die sein Leben erfahren, darstellen. Treten wir in sein Haus, so finden wir unsern Reformator stets einfach gekleidet, im weiten Chorrocke mit dem Priesterhut oder „Barette" auf dem Haupte, immer heitern Antliges, das den freudigen, männlichen Muth des Helden verräth, stets freundlich gegen Jeden, den irgend ein Anliegen zu ihm führt, zuweilen in edler Entrüstung aufbrausend, wenn seine grade Seele auf eine Heuchelei, auf Starrfinn und Unverstand stößt. Aber die Wolken des Zorns verziehen sich bald vor dem Strahle der Wahrheit, der er stets eingedenk ist: „Wir fehlen Alle mannigfaltig." Im Effen und Trinken ist er sehr mäßig und liebt vor Allem die einfache Milchkost, an die er sich auf den heimath lichen Bergen gewöhnt hatte. Der Umgang mit seiner Gattin, die Erziehung seiner Kinder, die Gespräche und der geistige Verkehr mit seinen Freunden und endlich die Musik, in der er sich mit der Liebe und dem Fleiße des Künstlers übet: das sind seine Freudengenüsse. Auf diesem Manne, der in den einfachsten, häuslichen Verhältnissen sich bewegt, und der an Leib und Seele sich der herrlichsten Gesundheit erfreut, ruht eine Last von Arbeiten und Geschäften, der jeder Andere erlegen wäre, während Zwingli sich ihrer bei seinen außerordentlichen Gaben und bei der weisen Eintheilung der Zeit mit fröhlichem Gemüthe entlediget. Die frühe Morgenzeit widmete er vorzugsweise dem Gebete und dem Studium der heiligen Schrift, bis die Stunde schlug, die ihn in die Kirche rief zum Predigen oder zum Abhalten der Prophetie (siehe Seite 97), oder in den Lehrsaal, wo er abwechselnd die Geschäfte eines Professors der alt- oder neutestamentlichen Exegese besorgte. Um 11 Uhr speiste er zu Mittag. Nach dem Essen unterhielt er sich mit seiner Familie, empfing Besuche oder ging spazieren bis zwei Uhr. Den Nachmittag gab er sich oft dem Studium der herrlichen Meisterwerke der Griechen und Römer hin, und gönnte sich erst nach dem Abendessen wieder eine kurze Erholung entweder im Kreise seiner Familie oder seiner Freunde. Zuweilen speiste er auch zu Nacht auf jenen mittelalterlichen Gesellschaftshäusern oder Zunftstuben, wie sie noch in schweizerischen Städten bestehen, in Gesellschaft seiner Amtsbrüder, der Mitglieder des Rathes und anderer angesehener und gebildeter Freunde der evangelischen Wahrheit. Die späten Abendstunden und einen Theil der Nacht benußte er, seine vielen Briefe zu schreiben. Drängten ihn die Geschäfte, so konnte er sich ganz die Nachtruhe versagen (während des Gespräches von Baden 6 Wochen nacheinander, siehe Seite 202), sonst gönnte er sich, wie Bullinger treuherzig meldet, wohl die nöthige Ruhe *). Nur bei einer so sorgfältigen Eintheilung und Benutzung der Zeit war es ihm selbst bei den herrlichen Geistesgaben und der eisernen Gesundheit, der er sich erfreute, möglich, die vielen Geschäfte, welche das Werk der Reformation ihm aufbürdete, zu bewältigen und so Großes zu leisten, wie er es gethan hat. Daß er, unter dem großen Geschäftsdrange, seinen Büchern nicht die wünschenswerthe Ausbildung und Vollendung zu Theil werden lassen konnte, hat er oft schmerzlich bedauert, wie wir dies z. B. aus einem Briefe ersehen, den er an seinen Jugendfreund *) Diese Schilderungen find getreu den übereinstimmenden Berichten mehrerer Bekannten und Freunde Zwinglis: Myconius, Bullinger und Bernhard Weiß, entnommen. Myconius bemerkt noch, daß er immer stehend studirt und gearbeitet habe. |