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chen dieselbe zu sein, welche Leo Tolstoi in seinem Büchlein „Was ist Kunst?" (Berlin 1898) dargestellt hat. Schon vor Tolstoi scheint Ernst Elster in seinem Werk „Prinzipien der Litteraturwissenschaft" (Halle 1897) eine ähnliche Auffassung zum Ausdruck gebracht zu haben, obgleich meiner Ansicht nach bei weitem nicht in einer so klaren und durchdachten Form wie Tolstoi. Auch habe ich bei Lacombe 1) Andeutungen gefunden, die vermuten lassen, dass auch er ähnliche Gedanken von dem Wesen der Kunst

hat. Seine Äusserungen sind jedoch so allgemein gehalten und knapp, dass es sehr möglich ist, dass ich mich irre.

Im Übrigen scheint es, dass man diese Theorie wohl als im Wesentlichen neu bezeichnen muss, „neu“ natürlich in dem beschränkten Sinne, in welchem philosophische Theorien überhaupt neu sein können. Soweit ich die Geschichte der kunstphilosophischen Theorien kenne, ist mir wenigstens nicht bekannt, dass jemals ein ernsthafter und auch wirklich durchgeführter Versuch gemacht worden wäre das Wesen der Kunst so aufzufassen, wie es hier aufgefasst worden ist, und diese Auffassung einem kunstphilosophischen System zu Grunde zu legen. Wenigstens ist kein solcher Versuch allgemeiner bekannt geworden und hat keine grössere Verbreitung gefunden, wenn er auch jemals gemacht worden wäre. Neu scheint diese Theorie noch besonders in dem Sinne zu sein, dass sie für unsere Zeit neu ist. Wenn die Gebildeten und auch die Ästhetiker unserer Zeit über die Kunst und Kunstfragen urteilen, gehen sie überhaupt niemals bewusst davon aus, dass das Wesen der Kunst darin bestünde, worin es nach der hier vertretenen Anschauung besteht, noch weniger halten sie an einer solchen Auffassung folgerichtig fest. Man braucht nur diese Auffassung weiter zu entwickeln, zu Ende zu denken um einzusehen, zu welchen, von dem Gesichtspunkt der herrschenden Anschauungsweise aus betrachtet, revolutionären Konsequenzen sie führt.

1) l'Introduction à l'histoire littéraire.

Zwar sind ähnliche Gedanken über das Wesen der Kunst auch früher hier und da zum Ausdruck gebracht worden. 1) Aber man hat früher mit diesen Gedanken niemals Ernst gemacht, dieselben nie weiter entwickelt, geschweige denn zu Ende gedacht. Im Vorbeigehen hat nur dieser und jener auf die wichtige Rolle hingewiesen, welche das Gefühlsleben bei der künstlerischen Thätigkeit spielt. Gelegentlich ist sogar ganz richtig hervorgehoben worden, die Kunst sei eben in ihrem Wesen eine Thätigkeit, die den Zweck hat, Gemütsbewegungen auszudrücken und solche in anderen hervorzurufen. Aber dieser rich

tige Gedanke ist nur eine sporadische Äusserung geblieben, an der man nicht mehr festgehalten hat, wo es galt zusammenhängend und systematisch Kunstfragen zu behandeln. Dann ist man wieder zu den alten „Dogmen" zurückgekehrt, zu dem Begriff der „Schönheit" und des ,,künstlerischen Genusses" u. s. w., und dieser richtige Gedanke, der eben an die Spitze hätte gestellt werden müssen und der allein im Stande gewesen wäre die Streitfra

1) So scheint z. B. Alfred de Musset das Wesen der Kunst im Wesentlichen auf dieselbe Weise aufgefasst zu haben, wie es hier geschehen ist. Lanson berichtet näml., dass nach Mussets Ansicht „toute l'oeuvre littéraire consiste à ouvrir son coeur, et pénétrer dans le coeur du lecteur: émouvoir en étant ému, voilà toute sa doctrine; et si l'émotion est sincère, communicative, peu importe quelle forme l'exprime et la convoie.“

son âme

„Il n'eut donc souci que de dire les joies et les tristesses de Il a vécu sa poésie: elle est comme le journal de sa vie. Non qu'elle enregistre les faits, elle note seulement le retentissement des faits dans les profondeurs de sa sensibilite". (Gustave Lanson, Hist. de la Litt. franç. p. 949) Ganz kürzlich habe ich zufälligerweise auch eine in ähnlicher Richtung gehende Äusserung Goethes gefunden, von welcher ich bis dahin keine Ahnung hatte und welche ganz auffallend mit unserer Definition übereinstimmt. In seinen Gesprächen mit Eckermann äussert sich näml. Goethe an einer Stelle, wo von der Idee in einem Kunstwerk die Rede ist, folgendermassen: Es war im ganzen nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensfroher, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Ein

gen befriedigend zu lösen und Thatsachen zu erklären dieser richtige Gedanke ist wieder vollständig vergessen worden.

Der erste, der diesen Gedanken in voller Klarheit und im Bewusstsein seiner Tragweite und seines revolutionären Charakters ausgesprochen hat, scheint mir nun Leo Tolstoi zu sein, und sein Verdienst kann deshalb in dieser Hinsicht nicht leicht überschätzt werden. Es ist nur zu bedauern, dass die meisten in dem genannten Buch Tolstois eben dasjenige übersehen zu haben scheinen, was darin die Hauptsache ist, näml. seine von der gewöhnlichen abweichende Auffassung von dem Wesen der Kunst. Statt dessen hat man sich an allerlei Nebensachen, an Übertreibungen und Einseitigkeiten festgeklammert, an denen es auch nicht in dem Buch Tolstois fehlt, die aber seinen individuellen Eigentümlichkeiten und seiner individuellen Geschmacksrichtung zuzuschreiben sind. Diese Übertreibungen und Einseitigkeiten müssen wir natürlich als solche anerkennen, das darf uns aber nicht hindern unsere Billigung und Anerkennung demjenigen zu geben, was Tolstoi über die Hauptsache Richtiges und Grosses gesagt hat.

Um aber wiederum zu der Kunstdefinition zurückzukehren, zu der wir gekommen sind, besteht unsere nächste

bildungskraft es mir darbot; und ich hatte als Poet weiter nichts zu thun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden und durch eine lebendige Darstellung so zum Vorschein zu bringen, dass andere dieselbigen Eindrücke erhielten, wenn sie mein Dargestelltes hörten oder lasen.“ Aber obgleich Goethe, wie man aus dieser Äusserung sieht, ganz richtig eingesehen hat, worin das Wesen der Kunst besteht, sobald er nur zu seinem eigenen Kunstbewusstsein zurückgekehrt ist, hat er doch diesen richtigen Gesichtspunkt seinen theoretischen Darlegungen in ästhetischen Fragen nicht an die Spitze gestellt und daran konsequent festgehalten. Wie so mancher andere Dichter und Theoretiker ist auch er in diesen Kunstfragen hier und da, wie ein Hase, über den Weg gelaufen, ist aber nicht auf dem Wege geblieben und hat denselben nicht konsequent befolgt, wahrscheinlich deshalb, weil es ihm nicht klar aufging, dass eben dieser Weg zum Ziel führen würde.

Aufgabe darin zu fragen, ob nun durch diese Definition die künstlerische Thätigkeit klar und prinzipiell von den übrigen menschlichen Thätigkeiten, d. h. von der theoretischen und der praktischen unterschieden wird. Um auf diese Frage antworten zu können müssen wir die Natur und Eigenart einer jeden von diesen drei Thätigkeiten einzeln betrachten.

Was ist charakteristisch für die theoretische Thätigkeit und für das theoretische Verhalten überhaupt? Wann verhalten wir uns theoretisch zu dem Seienden? Doch offenbar dann, wenn das Seiende vorzugsweise unser Erkenntnisvermögen in Anspruch nimmt, d. h. wenn dasselbe in uns in erster Linie Vorstellungen und Gedanken hervorruft. Und wenn wir dann diese Gedanken, die das Seiende in uns hervorgerufen hat, auch anderen mitteilen, dann sind wir theoretisch thätig. Wann verhalten wir uns praktisch zu dem Seienden? Doch offenbar dann, wenn das Seiende vorzugsweise unser Willensleben in Bewegung setzt, in uns Willensäusserungen: Lust zu etwas, einen Vorsatz, einen Entschluss hervorruft. Und die eigentliche praktische Thätigkeit besteht eben in der Realisirung, in der Ausführung der Willensäusserungen. Nun ist offenbar noch eine dritte Verhaltungsweise zu dem Seienden möglich. Das Seiende kann vorzugsweise unser Gefühlsleben in Anspruch nehmen, in Bewegung setzen, in uns in erster Linie Gefühle hervorrufen. Nach der hier vertretenen Auffasung von dem Wesen der Kunst ist nun die künstlerische Thätigkeit eben in ihrem Wesen ein Gefühlsverhalten. Die künstlerische Thätigkeit bestand ja darin, dass der Mensch die Gefühle, die das Seiende in ihm hervorgerufen hat, bewusst und absichtlich so ausdrückt, dass ähnliche Gefühle auch in anderen entstehen.

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Sobald man also das Wesen der Kunst so auffasst, wie es hier aufgefasst worden ist, sehen wir, dass uns dann nicht nur die Eigenart der künstlerischen Thätigkeit verständlich wird, sondern auch ihr Zusammenhang mit anderen Hauptseiten des menschlichen Geisteslebens.

Die Kunst erscheint uns dann als eine von den übrigen Hauptseiten des Geisteslebens klar und prinzipiell verschiedene Thätigkeit, aber doch zugleich als eine Thätigkeit, welche die anderen wertvoll kompletirt, mit denselben ein harmonisches Ganzes bildet, und ohne welche in unserem Geistesleben eine gähnende Lücke wäre. Wenn man das Wesen der Kunst so auffasst, wie es hier aufgefasst worden ist, erscheint also die Dreiteilung der menschlichen Thätigkeiten nicht mehr willkürlich und zufällig oder nur konventionell, sondern dieselbe erscheint natürlich und notwendig. Sie liegt dann begründet in der Eigentümlichkeit unserer psychischen Konstitution. Wir wissen ja, dass unsere psychische Konstitution drei Seiten aufweist: das Erkenntnisvermögen, das Gefühlsvermögen uud das Willensvermögen. Jenachdem, welche von diesen drei Seiten unserer psychischen Konstitution wir in erster Linie auf das Seiende richten, wird unser Verhalten zu dem Seienden einen prinzipiell verschiedenen Charakter haben. Und jenachdem, welche von diesen drei Seiten unseres geistigen Wesens bei einer Thätigkeit die Hauptrolle spielt, wird auch die Thätigkeit einen prinzipiell verschiedenen Charakter haben. Bei der theoretischen Thätigkeit spielt das Erkenntnisvermögen die Hauptrolle, bei der praktischen das Willensvermögen und bei der künstlerischen das Gefühlsvermögen. 1)

Hier wird nun u. A. auch klar, wie unzutreffend und falsch es ist, die künstlerische Thätigkeit im Gegensatz zu der theoretischen und praktischen als „zwecklos“ zu bezeichnen, wie man es gewöhnlich thut. Die künstlerische Thätigkeit ist durchaus nicht „zweckloser" als die theoretische und die praktische, sie hat nur einen anderen Zweck. Wer den Eindruck, den gewisse Lebenserschei

1) Es sollte wohl eigentlich überflüssig sein besonders darauf aufmerksam zu machen, dass die „Seelenvermögen“ hier nicht in dem alten mythologischen und mystischen Sinne genommen sind, sondern in dem modernen, psychologisch gereinigten Sinne, in welchem diese Dreiteilung noch immer ihre volle Berechtigung hat.

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