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ist relativ mager. Wenn es jemand unternähme ein Gedicht auf das allgemeine Stimmrecht zu schreiben oder ein Drama, worin man die Unentbehrlichkeit der Arbeiterversicherung gefühlsmässig darzulegen suchte, so kann man in gewöhnlichen Fällen schon im Voraus sagen, dass solche Versuche misslingen werden, weil der Gegenstand selbst künstlerisch unergiebig ist. Die Frage von dem allgemeinen Stimmrecht oder von der Arbeiterversicherung ist in erster Linie eine Verstandes- und Willensfrage und keine solche, die uns aufforderte bei ihrem Gefühlswerte zu verweilen. Dasselbe gilt von allen sozialen und auch philanthropischen Reformbestrebungen.

Aber diese Ungleichheit in dem Gefühlsgehalt macht sich nicht nur im Kreise der Erscheinungen des geistigen Lebens bemerkbar, sondern auch zwischen den Erscheinungen der äusseren Natur. Warum stellen die Maler, wenn sie die Natur als solche nicht als Hintergrund für den Menschen zum Gegenstand künstlerischer Behandlung nehmen, nicht wohl gepflügte Äcker, Kartoffelfelder und Weinberge dar, sondern statt dessen das weite offene Meer, düstere Wälder, himmelstürmende Berge und rauschende Wasserfälle? Der Grund dazu ist offenbar der, dass diese einen bedeutend reicheren Gefühlsgehalt haben, auf unser Gefühlsleben viel tiefer und mächtiger wirken als jene, bei deren Gefühlswert wir in der Regel nicht länger verweilen. Und weil der Gefühlsgehalt der erstgenannten Erscheinungen so mager ist, sind die Erscheinungen selbst künstlerisch unergiebig.

Obgleich es also theoretisch betrachtet keine Grenze. in der Hinsicht giebt, welche Erscheinungen man künstlerisch darstellen darf, welche nicht, ist es doch in der Praxis durchaus nicht einerlei, welche Erscheinungen man zum Gegenstand künstlerischer Behandlung nimmt. Jenachdem, ob der Gefühlsgehalt einer Erscheinung sehr reich, ziemlich reich oder äusserst karg ist, ist die Erscheinung selbst zum Gegenstand künstlerischer Darstellung besonders gut, ziemlich oder äusserst wenig geeignet.

Ehe wir es unternehmen diese Auffassung von dem

Wesen der Kunst weiter zu entwickeln und dieselbe von neuen Seiten zu beleuchten, ist es vielleicht nicht unangebracht auf einige Einwände einzugehen, die gegen die Kunstdefinition Tolstois gemacht worden sind und welche also auch in Bezug auf die hier vertretene Auffassung gelten würden, wenn sie wirklich berechtigt sind.

So glaubt, scheint es, z. B. Konrad Lange allzu leicht diese Auffassung von dem Wesen der Kunst widerlegen zu können. Er äussert näml.: „Man kann häufig die Behauptung lesen, der Zweck der Kunst sei eine Wirkung auf das Gefühl anderer, der Künstler beabsichtige, mit seinem Kunstwerk auf andere zu wirken. Das ist natürlich richtig, besagt aber für das Wesen des Kunstgenusses nicht das Geringste. Denn es giebt eine Menge Formen der Gefühlswirkung auf andere, die mit Kunst nichts zu thun haben. Wenn mir z. B. jemand einen groben Brief schreibt, so versetzt er mich in ein Unlustgefühl, wenn mir mitgeteilt wird, dass ich das grosse Los gewonnen habe, so werde ich in Lust versetzt." „Dennoch ist das psychische Erlebnis, das dabei entsteht, kein Kunstgenuss." 1)

Lange erwähnt nicht ausdrücklich, gegen wen diese Einwände gerichtet sind. Soweit es aber sein Zweck gewesen ist durch diese Einwände die Falschheit der Tolstoischen Kunstdefinition darzulegen, hat er seinen Zweck wohl verfehlt. Er hat eben den Kern der Tolstoischen Kunstdefinition übersehen. Wir haben schon früher ausdrücklich hervorgehoben, dass nicht jedes Erzeugnis menschlicher Thätigkeit, das nur auf das Gefühlsleben wirkt, nach der hier vertretenen Kunstauffassung zur Kunst zu rechnen ist. Damit ein Erzeugnis menschlicher Thätigkeit ein Kunstwerk sei, muss es 1) ein Ausdruck des eigenen Gefühlslebens des Künstlers sein, also etwas ausdrücken, was der Künstler selbst gefühlt hat; 2) dieser Ausdruck muss geflissentlich zu dem Zwecke gewählt und gestaltet sein, dass er geeig

1) K. Lange, W. d. K. I, 350.

net sei in der beabsichtigen Richtung auf das Gefühlsleben anderer zu wirken, und er darf ausser diesem keinen anderen Zweck haben; 3) der Ausdruck muss auch diesen Zweck erreichen, d. h. thatsächlich auf das Gefühlsleben anderer ansteckend wirken.

Erfüllen nun die von Lange angeführten Beispiele diese Bedingungen? Nein. Wer mir mitteilt, dass ich das grosse Los gewonnen habe, teilt mir keineswegs etwas mit, was er selbst gefühlt hat und was er auch mich wollte fühlen lassen. Und diese Mitteilung ist durchaus nicht als ein absichtlich gewählter und zweckmässig gestalteter Ausdruck eines Gefühls zu betrachten, das der Mitteilende durch dieselbe in mir hervorrufen wollte. Der Zweck einer solchen Mitteilung ist doch offenbar nur einfach der, mich von einer Thatsache zu benachrichtigen, die mich angeht. Die Kenntnis dieser Thatsache kann dann in mir sogar sehr lebhafte Gefühle hervorrufen, aber diese verdanken ihre Entstehung keiner künstlerischen Thätigkeit, denn sie sind nicht so entstanden, dass jemand in ansteckender Weise etwas ausgedrückt hätte, was er selbst gefühlt hat um mich dazu zu bringen seinen Gefühlseindruck mitzuerleben.

Ebenso wenig einschlagend ist das andere Beispiel Langes. Wenn jemand einem anderen einen groben Brief schreibt, so geschieht es gewöhnlich deshalb, weil der Briefschreiber von Seiten des anderen entweder beleidigt zu worden oder auf irgend eine Weise Unrecht erlitten zu haben glaubt. Und er schreibt seinen Brief zu dem Zweck um dem anderen dieses schlechte Benehmen vorzuhalten und um es ihm klar zu machen, wie ungerecht er gehandelt habe - oder wenn er auch dies nicht mehr zu erreichen hofft, will er den anderen wenigstens schimpfen um sich an ihm auf diese Weise zu rächen. Aber alles dies ist ja etwas wesentlich anderes als ein reiner Ausdruck des Gefühlslebens, der nur dazu da ist um das eigene Gefühl ansteckend zum Ausdruck zu bringen.

Soweit also die Einwände Langes gegen die Kunst

definition Tolstois gerichtet sind, treffen sie ihr Ziel gar nicht. Nach der Tolstoischen Kunstdefinition ist das Kunstwerk durchaus nicht dasselbe wie nur überhaupt ein Erzeugnis menschlicher Thätigkeit, das auf das Gefühlsleben wirkt, sondern das Kunstwerk unterscheidet sich von diesen ganz klar und prinzipiell erstens dadurch, dass es ein Ausdruck des eigenen Gefühlslebens des Künstlers ist; zweitens dadurch, dass es absichtlich und bewusst so gestaltet ist, dass es auf das Gefühlsleben anderer ansteckend wirken könnte, und ausser diesem Zwecke hat es keinen anderen.

In diesem Zusammenhang berühren wir auch einen anderen Einwand, den René Doumic in seiner Kritik der kunstphilosophischen Ansichten Tolstois gegen dessen Kunstdefinition gemacht hat.') Doumic sagt: „Tolstoï méconnait totalement la valeur de la forme. C'est par elle cependant que le langage de l'art se distingue de tout autre langage. L'artiste est celui qui sait exprimer mieux que les autres hommes des sentiments que ceux-ci éprouvent souvent avec plus de vivacité et de profondeur que lui. C'est par le pouvoir de la forme que les sentiments ainsi exprimés éveillent un écho dans beaucoup de coeurs et traversent les âges. De cette erreur initiale en découlent d'autres." 2)

Aus dieser Äusserung scheint hervorzugehen, dass Doumic mit Tolstoi darin übereinstimmt, dass das Kunstwerk seinem Wesen nach ein Ausdruck des Gefühlslebens ist. Nach Doumic's Ansicht wäre es Tolstoi nur nicht gelungen den Unterschied zwischen dem künstlerischen und dem gewöhnlichen Ausdruck des Gefühlslebens zu entdecken. Selbst erblickt Doumic diesen Unterschied in der „Form". "L'artiste est celui qui sait exprimer mieux que les autres hommes des sentiments Wird nun dadurch das Kunstwerk von allen übrigen Ausdrükken des Gefühlslebens klar und prinzipiell unterschieden?

1) Revue des deux Mondes 1898. S. 447 u. ff.

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Keineswegs. Sagt man nur, der Künstler drücke sein. Gefühl besser" aus als andere Menschen, und will man nur auf Grund dieses ,,besseren" Ausdrückens das Kunstwerk von allen übrigen Ausdrücken des Gefühlslebens unterscheiden so ist eine solche Unterscheidung so durchaus unbestimmt und dehnbar, dass es uns dadurch gar nicht klarer wird, worin die Eigenart des Kunstwerkes bestehe. Was heisst es denn „exprimer ses sentiments mieux que les autres?" In welcher Hinsicht besser" und nach welchem Massstab ,,besser?" Alles ist schlecht, gut und besser nur in Bezug auf irgend einen Zweck. Welches ist der Zweck, den der Gefühlsausdruck hat und in Bezug auf den der künstlerische Gefühlsausdruck besser ist als der gewöhnliche? Doumic hat vergessen dies zu sagen, und deshalb hat der von ihm gemachte Unterschied zwischen dem künstlerischen und dem gewöhnlichen Gefühlsausdruck keinen bestimmten Sinn, und derselbe macht es uns gar nicht klarer, worin die Eigenart des Kunstwerkes besteht.

Dies thut aber wohl die Kunstdefinition Tolstois. Nach der Tolstoischen Kunstauffassung unterscheidet sich das Kunstwerk von dem gewöhnlichen Ausdruck des Gefühlslebens eben durch diejenigen Merkmale, die hier schon wiederholt hervorgehoben worden sind. Das Kunstwerk ist ein Ausdruck des Gefühlslebens, der bebewusst und absichtlich so gestaltet ist, dass er ansteckend wirken könnte und der ausser diesem Zweck keinen anderen hat. Und das Kunstwerk ist ein Ausdruck des Gefühlslebens, der auch thatsächlich ansteckend wirkt. Und eben besonders durch dieses letzte Merkmal unterscheidet sich der künstlerische Ausdruck des Gefühlslebens von den nicht-künstlerischen Ausdrücken desselben. Hätte Doumic seine Bemerkung in der Weise formulirt, dass die Verkennung der künstlerischen Form bei Tolstoi darin zum Vorschein komme, dass er die Bedeutung der künstlerischen Technik wesentlich unterschätzt und sich deshalb allzu heftig gegen allen Kunstunterricht und gegen

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