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behauptet worden, was durchaus nicht so selbstverständlich und berechtigt erscheint wie die Forderung selbst. Vor allem scheint es, als ob die Bedeutung der ethnologischen Kunstbetrachtung für die Kunstphilosophie oft nicht unwesentlich überschätzt würde. Auch die Gelehrten haben oft eine ziemlich grosse Neigung dazu, an Wunderkuren" zu glauben. Wenn ein Spezialgebiet in irgend einer Wissenschaft zur Mode geworden ist, so wird im ersten Eifer von der Erforschung desselben die Lösung beinahe aller Rätsel erwartet. Gestern war es die Tierpsychologie, heute ist es die Erforschung der Kunst der Wilden", von welcher alles Heil kommen soll. Es fällt uns Menschen offenbar so schwer, uns mit der uralten und höchst trivialen Thatsache zurecht zu finden, dass bei der Lösung der philosophischen Fragen das Denken jetzt wie immer doch die Hauptsache ist. Wer es einmal nicht vermag, mit seinem Gedanken in den Kern der Erscheinungen einzudringen, das Wesentliche und das Unwesentliche in denselben zu unterscheiden, so seine Begriffe richtig zu bilden und dieselben richtig mit einander zu verbinden -wer zu all dem nicht das Vermögen hat, vergebens wird er alle Galerien und Museen der Welt durchlaufen, alle Wappen, Schilder und Waffen der wilden und zivilisirten Völker studiren und abbilden mit all seiner Gelehrsamkeit wird er es doch nich herausbringen, worin das Wesen der Kunst besteht. Wogegen ein Anderer, der einen philosophischen Kopf hat, den Kern der Sache richtig trifft, obgleich sein Erfahrungsmaterial viel geringer ist als das des Anderen.

Wenn man die Bedeutung, Aufgabe und Schwierigkeit der ethnologischen Kunstbetrachtung richtig beurteilen will, scheint es mir nötig besonders folgende Gesichtspunkte zu beachten.

Erstens muss man darüber im Klaren sein, dass unsere Auffassung von dem Wesen der Kunst nicht ursprünglich so gebildet werden kann, dass wir zu den Anfängen der künstlerischen Thätigkeit hinabsteigen und durch die Untersuchung derselben das wahre Wesen des

Kunstwerkes herauszufinden suchen. Denn gerade umgekehrt, muss man schon wissen, was man Kunst nennt, ehe man die Anfänge der Kunst untersuchen kann. Wenn ich näml. gar nicht wüsste, welches Werk ein Kunstwerk ist, welches nicht, wie könnte ich dann wissen, welche Erzeugnisse der menschlichen Thätigkeit ich untersuchen soll? soll? Die Bedeutung der ethnologischen und überhaupt historischen Betrachtung der Kunst besteht vielmehr nur darin, dass dadurch unsere schon vorhandene Auffassung von dem Wesen der Kunst kontrollirt, nach Bedürfnis berichtigt, jedenfalls vertieft und erweitert wird. Auf welche Weise dann die Auffassung von dem Wesen der Kunst ursprünglich gebildet wird, das soll im nächsten Kapitel zur Behandlung kommen.

Und noch ein zweiter Gesichtspunkt! Es scheint, als ob man nicht genügend alle Umstände in Rechnung zöge, welche die ethnologische Kunstbetrachtung so ungemein schwierig und noch dazu so unsicher machen, und dass man deshalb von dieser Forschung reichlichere Erfolge und sicherere Resultate erwartet, als dieselbe zu geben im Stande ist. Man giebt natürlich zu, dass diese Forschung sehr schwierig ist, aber man behauptet doch, die Erforschung der primitiven Kunst müsse relativ erfolgreicher sein als diejenige der höher entwickelten, weil wie die Begründung dieser Behauptung lautet man auch die Erklärung der Kunsterscheinungen „von unten“ anfangen müsse, denn um das Komplizirte zu verstehen, müsse man zuerst das Einfache verstehen.')

Wenn ich mich nicht irre, beruht diese Behauptung wenigstens zum Teil auf einer Begriffsverwechselung. Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, das was primitiv ist, sei auch eo ipso einfach und zwar einfach in demselben Sinne wie relativ leichtverständlich. Wenn man also sagt: um die hochentwickelte Kunst zu verstehen sei es notwendig zuerst die primitive Kunst zu

1) Vgl. z. B. Ernst Grosse, Ethnologie u. Aesthetik.

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verstehen, so ist darin die Behauptung enthalten, das primitive Kunstwerk offenbare das Wesen der Kunst klarer, übersichtlicher und reiner kurz dasselbe sei ein adäquaterer Ausdruck für das Wesen der Kunst als das hochentwickelte Kunstwerk. Nun werden wohl alle zugeben, dass es gerade umgekehrt ist. Ein primitives Kunstwerk bedeutet also nicht ein einfaches Kunstwerk in demselben Sinne wie ein relativ leicht verständliches Kunstwerk, sondern es bedeutet ein mangelhaftes, unvollständiges Kunstwerk, das nur einige Seiten von dem Wesen der Kunst offenbart, ihm also unvollständig entspricht, ein inadäquater Ausdruck für dasselbe ist. Die primitiven Kunstwerke sind eben noch nicht Kunst im strengen Sinne, sondern Anfänge der Kunst. - Wenn wir nun aber zwei Erzeugnisse menschlicher Thätigkeit vor uns haben, von denen das eine nur einige Seiten von dem Wesen der Kunst offenbart, diesem Wesen unvollständig entspricht, ein inadäquater Ausdruck dafür ist, das Andere dagegen alle Seiten offenbart, die zum Wesen der Kunst gehören, und also ein adäquater Ausdruck dafür ist, so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass es viel leichter ist aus dem letztgenannten auf das Wesen der Kunst zu schliessen. Damit ist durchaus nicht gesagt, dass auch das Studium eben dieser „Anfänge“ nicht lehrreich und beleuchtend sein könnte. Damit ist nur -gesagt, dass es nicht zweckmässig sein kann, die Betrachtung der Kunst in dem Sinne von unten" anzufangen, dass man von den primitiven Kunstwerken ausgeht, wenn es einmal das Ziel der Forschung ist, das Wesen der Kunst ins Klare zu bringen. Dagegen kann die Erforschung der primitiven Kunst in der Hinsicht erfolgreich sein, dass dadurch unsere schon vorhandene Auffassung von dem Wesen der Kunst kontrollirt, erweitert und vertieft wird, und vor allem kann durch ein solches Studium auf die individuellen und sozialen Bedingungen der Kunstproduktion sowie auf den Zusammenhang der Kunst mit anderen Lebenserscheinungen ein Licht fallen. Und dann noch ein Gesichtspunkt, der mit dem eben

berührten in nahem Zusammenhang steht! Wenn ich mich nicht irre, ist die ethnologische Kunstforschung ziemlich allgemein zu dem Resultat gekommen, dass die künstlerische Thätigkeit auf den primitiven Kulturstadien überhaupt nie spezialisirt auftritt. Man schafft nicht Werke, die keine andere Bestimmung haben als Kunstwerke zu sein und weiter nichts, sondern wo immer bei einer Thätigkeit künstlerische Motive im Spiele sind, da wirken auch andere Motive mit: religiöse, praktische u. s. w. Eine Verzierung an einem Schild, die nur zum Schmuck da zu sein scheint, hat zugleich auch als Eigentumsmarke gedient. Ein Tanz, der nur zu eigenem Genuss und zu dem der Zuschauer ausgeübt zu sein scheint, hat gewöhnlich zugleich auch eine religiöse oder erotische Bedeutung gehabt, oder es hat der Zweck desselben darin bestanden, Feinde zu schrecken und sich selbst in Kriegsstimmung zu versetzen oder wieder in anderen Fällen hat man dadurch gewisse Tiere in die Nähe locken wollen.

Aber sieht man denn nun nicht daraus, dass es ungemein sehwierig, ja oft sogar geradezu unmöglich ist, wenn man eine so äusserst komplizirte Thätigkeit oder ihr Erzeugnis vor sich hat, mit Bestimmtheit zu sagen, welche Bestandteile darin künstlerischen Motiven zuzuschreiben sind, welche nicht? Um das zu können muss man zuerst eine äusserst schwierige Eliminirungsarbeit ausführen Man darf nur diejenigen Seiten der Thätigkeit ins Auge fassen, die ausschliesslich künstlerischen Motiven zuzuschreiben sind, und von allen übrigen Bestandteilen muss abgesehen werden. Um aber bei einer solchen Eliminirung sich nicht zu vergreifen, muss man erstens einen ungewöhnlichen psychologischen Scharfblick und ein ausserordentliches logisches und kritisches Vermögen haben. Dann muss man noch und das ist noch schwerer die betreffenden Zeitverhältnisse ungemein genau kennen. Man muss darüber unterrichtet sein, auf welchem Standpunkt die betreffenden Menschen nicht nur in allgemein kultureller, sondern auch in religiöser und künstlerischer Hinsicht u. s. w. gestanden haben.

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Alles das ist oft mehr, als ein gewöhnlicher sterblicher Mensch zu leisten im Stande ist.

Im Gegensatz dazu sind die Verhältnisse in den. höheren Kulturstadien in dieser Hinsicht viel einfacher. In höheren und besonders in den höchsten Kulturstadien hat sich die künstlerische Thätigkeit wenn nicht immer so doch im Grossen und Ganzen spezialisirt. Der echte hochentwickelte Künstler verfolgt bei seiner Thätigkeit keine anderen als nur rein künstlerische Zwecke. Andere Motive dürfen bei ihm nicht mitspielen. Deshalb ist auch sein Werk ein adäquater Ausdruck des Wesens der Kunst. Wenn man daraus das Wesen der Kunst kennen lernen will, braucht man nichts daraus zu elimiren, denn darin dürfen keine fremden Bestandteile vorhanden sein, man muss nur das Wesentliche vom Unwesentlichen richtig unterscheiden können.

Und noch ein dritter Gesichtspunkt. Um die primitive Kunst und ihre Bedeutung richtig zu verstehen, dürfen wir dieselbe nicht mit unseren eigenen Augen ansehen und sie nach dem Eindruck beurteilen, den sie auf uns macht. Sondern wir müssen sie nach dem Eindruck beurteilen, welchen sie auf die primitiven Menschen, für welche sie beabsichtigt war, gemacht hat. Woher wissen wir aber, welchen Eindruck die primitive Kunst auf die primitiven Menschen gemacht und welche Bedeutung dieselbe für sie gehabt hat? Soweit wir darüber etwas wissen, wissen wir es nur durch Analogieschlüsse. Wir versuchen uns den Unterschied, der in geistiger Hinsicht zwischen uns und dem primitiven Menschen besteht, zu vergegenwärtigen und nach dem Eindruck, den die primitive Kunst auf uns macht, suchen wir dann den Eindruck zu rekonstruiren, den dieselbe Kunst auf einen, von uns so und so verschiedenen Menschen gemacht haben mag. Aber nun ist es offenbar, dass solche Analogieschlüsse äusserst unsicher und schwebend bleiben müssen.

Auch in dieser Hinsicht sind wir nun bei der Erforschung der modernen Kunst viel besser daran. Da brauchen wir keine Analogien aufzustellen, sondern wir können durch unmittelbare Selbstbeobachtung feststellen,

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