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Die Poetik.

(Nach Hegel's Ästhetik.)

Für Gymnasien.

Von

Dr. Friedrich Joachim Günther,

erstem Lehrer am Schullehrer - Seminar

zu Halberstadt.

Besonderer Abdruck aus dem ,,Handbuch für den deutschen
Unterricht auf Gymnasien."

Halle,

Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses.

1845.

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Die Poetik.

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§. 1. Der Inhalt der Poesie ist das unendliche Reich des Geistes, die Mannichfaltigkeit der menschlichen Leidenschaften, Empfindungen, Thaten, Schicksale, das Getriebe dieser Welt und die göttliche Weltregierung, genug Alles, worin ein selbstbewußter Geist lebt oder inwiefern Anderes z. B. die Natur auf denselben Bezug hat. Denselben Inhalt hat die Prosa zwar auch. Allein dieser ist die Sache und deren praktisches Verhältniß, jener das bloße Bilden und Reden (daher die vom ge= wöhnlichen Sprechen abweichende Redeform) Hauptzweck. Ferner betrachtet die Prosa jenen Inhalt entweder nach dem verständigen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, Zweck und Mittel u. s. w., oder bloß als Einzelnes, abgerissen vom Ganzen, in bedeutungsloser Zufälligkeit; während die Poesie überall auf den Kern der Dinge dringt und auf die Beziehung aller Einzelnheiten, Äußerlichkeiten und Zufälligkeiten auf Einen geistigen Mittelpunkt. Die Poesie ist nicht, wie die übrigen Künste, an Zeiten und Völker geknüpft, sondern sie wird zu den verschieden= sten Zeiten und fast bei allen Völkern gepflegt. Daher ihre Verschiedenheit je nach Völkern, Zeiten und Sitten; aber Einheit rücksichtlich des rein menschlichen Inhalts und der künstlerischen Form.

Günther's Poetik.

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Die griechische Poesie ist immer von Neuem wieder von den verschiedensten Nationen bewundert und nachgebildet worden, da in ihr das rein menschliche dem Inhalte wie der Form nach zur schönsten Entfaltung gekommen ist.

§. 2. Alles, was den Inhalt einer Dichtung ausmacht, muß Einheit in sich selbst haben, indem sein Ursprung in das freie Individuum verlegt wird (z. B. der Zorn des Achilles in der Iliade, Dante in seiner göttlichen Komödie), und es eine abgeschlossene Welt für sich darstellt. Dieser Inhalt zerlegt sich in einzelne Theile (die Kraniche des Jbycus von Schiller), deren jeder wieder für sich lebendig, angenehm und selbständig ausgeführt werden muß. Das gibt dem Ganzen individuelle Lebendigkeit. Unterschied der Poesie von der Geschichtschreibung und Beredtsamkeit: jene ist an die der Wirklichkeit durchaus angehörigen Einzelnheiten und Willkürlichkeiten (Gök v. Berlichingen) gebunden, diese ist dem Begriffe der Zweckmäßigkeit (Cicero pro Archia poeta) untergeordnet; die Poesie muß aber die Zufälligkeiten und gleichgültigen Beiwerke der Handlung umwandeln und in eine innere Beziehung zum Mittelpunkte der Darstellung setzen, muß, sogar (Gelegenheitsgedichte) der Zweckmäßigkeit dienstbar, diese zur Nebensache herabsehen und sich selbst zur Hauptsache erheben.

§. 3. Im Vergleiche mit anderen Künstlern hat es der Dichter Theils leichter, weil die Schwierigkeiten seines Materials viel geringer find, Theils schwerer, weil die Poesie den Ersaß für jenen sinnlichen Mangel in der Tiefe der Phantasie und der echt künstlerischen Auffassung zu suchen hat. Da das Wort das verständlichste und dem Geiste angemessenste Mitthei= lungsmittel ist, aber durch dasselbe auch die Religion, Wissenschaft, überhaupt die ganze Prosa des Lebens sich ausspricht; so 'muß sich der Dichter hüten, an jene Gebiete anzustreifen oder sich mit ihnen zu vermischen. Endlich muß der Dichter, zwar vollkommen von den Erscheinungen der Welt durchdrungen und an inneren und äußeren Erfahrungen reich, von aller Befangenheit und Leidenschaft sich losgerungen haben, einzig die Sache in's Auge fassen und darstellen. Dies wird dem Alter leichter, als der Jugend. Homer. Göthe.

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§. 4. Das allgemeine Vermögen zur dichterischen Darstel lung ist die Phantasie. Sie ist zum Unterschiede von der bloß passiven und reproduktiven Einbildungskraft wesentlich schaffend, und ist zunächst die Gabe und der Sinn für das Auffaffen der Wirklichkeit und ihrer Gestalten, welche durch das aufmerksame Hören und Sehen die mannichfaltigsten Bilder des Vorhandenen dem Geiste einprägen, so wie das aufbewahrende Gedächtniß für die bunte Welt dieser vielgestaltigen Bilder, aber auch die Gabe, sich mit dem Innern des Menschen, mit den Leidenschaften des Gemüths vertraut zu machen. Ferner ist sie die Fähigkeit, mit Nachdenken, Umsicht und Besonnenheit das Wesentliche und das Wahrhaftige der mannichfaltigen Gestalten und Erscheinungen des Lebens, ihren innersten Kern aufzufinden und aus der innersten Tiefe des Gemüths und der beseelenden Empfindung darzustellen, somit aber den Stoff und dessen Gestaltung als eigenstes Selbst, als innerstes Eigenthum des dichterischen Subjekts zu geben.

Göthe's Werther. Schiller's Näuber.

§. 5. Diese produktive Thätigkeit der Phantasie, durch welche der Künstler das Wahre in der Form des Schönen als sein eigenstes Werk zur wirklichen Gestalt herausarbeitet, wird Genie, Talent zc. genannt. Das Genie ist die allgemeine Fähigkeit zur wahren Produktion des Kunstwerks, so wie die Energie der Ausbildung und Bethätigung derselben. Das Lalent ist eine besondere Fähigkeit zu irgend einer besonderen Art der Kunst z. B. zum Gesang, zum Violinspiel 2. Talent ohne Genie kommt nicht weit über die äußere Fertigkeit hinaus. Beide sind in dem Sinne, daß die Kunst, abweichend von der Wissenschaft, die Wahrheit in das Sinnliche einbildet, eine specifische Anlage und sonach angeboren. Darum sind die verschiedenen Künste mehr oder weniger nationell.

Die Oper bei den Italienern. Die epische Dichtkunst und die.
Skulptur bei den Griechen. Die Volkslieder der Neugriechen.
Die Improvisatoren in Italien.

§. 6. Die Thätigkeit der Phantasie und technischen Ausführung, als Zustand im Künstler für sich betrachtet, ist die Begeisterung. Sie entsteht nicht durch sinnliche Anregung,

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