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Was aber ist der Einzelne für sich, sei es, daß er eine große Aufgabe der Geschichte löst, sei es, daß er in dunkler Verkennung derselben sich dem Neuen feindlich entgegen stellt? Jedem fällt sein Loos, und sein eigenes Verdienst, wie seine Schuld schieben wir gern den glücklichen oder den unglückseligen Gestirnen zu. Wie also könnte man sich wundern, daß die Vertheidiger des Alten und Abgelebten glaubten, im Rechte zu sein; wie erstaunen, daß selbst ein großer Genius an sich zweifeln kann? Niemals aber wird man finden, daß ein wahrhafter Genius in blinder Selbsttäuschung seine Thaten seiner eigenen, kleinen, menschlichen Person zu Gute hält, er beugt sich in Demuth vor dem Gotte, der auch durch ihn sich offenbart, und erkennt sich als Träger einer weltgeschichtlichen Idee. Und sobald er diese verstanden, schwindet das Kleine und Unsichere, er ist nicht mehr, der er war, er ist geheiligt als der Erfüller reifer Bedürfnisse der Menschheit. Deshalb ist es thöricht, ja erbärmlich, die Genien der Menschheit auf der Waage des Marktes zu messen; es ist albern, sich zu streiten, ob Schiller oder Göthe der größere von beiden sei, und es ist kindisch, bei Michelangelo von schülerhaften Zeichenfehlern, oder bei Phidias von Mangel an Ausdruck zu reden. So etwas vergleicht sich dem Treiben der Gassenbuben, die dem Feldherrn nachlaufen, und statt der Lorbeeren, die sein Schwert umkränzen, nur die Flecke sehen, die das Blut der Feinde in den Stahl gefressen, nun aber ein Geschrei erheben, daß der Herr General nicht einmal einen blank gepußten Degen hat. Denn es ist unendlich leichter, das Zufällige, Unwesentliche und ganz Nebensächliche - wahrzunehmen, als das Wesen einer wahrhaft bedeutungsvollen Erscheinung auch nur zu ahnen. In den großen Begebenheiten der Geschichte aber ist kein Zufall. Wie das Verhängniß auf der attischen Bühne, so mit unbezwinglicher Nothwendigkeit schreitet die Geschichte über die Weltbühne. Und wer darf sagen: er hat sie verstanden? Der Dichter allein. Er, unter allen Erdgeborenen der einzige, hat das Unanschaubare geschaut, er hat gehorcht in der Götter urältestem Rath“ und hat, was er geschaut und gehört, niedergelegt in unsterblichen Gesängen, in Tönen, die nie verrauschen, in Gestalten, die nie altern, in Gemälden, aus denen ewig der Hauch des Göttlichen uns entgegen weht. Wohl denen, die das Walten des Geistes empfinden, wenn sie im Genuß dieser Werke versunken sind!

In Bezug auf unsere deutsche Kunst ist es also zweierlei, was uns dem Verständniß ihrer Blüthe näher bringt: die Einsicht in die Nothwendigkeit ihrer Verjüngung und das Bestreben, die großen Genien nach Wesen und Bedeutung wahrhaft zu fassen.

Die zur französischen Perrückenmode entartete Kunst beherrschte, durch sittenlose Höfe begünstigt, auch in Deutschland den allgemeinen Geschmack. Von nationalem Ursprunge, von innerer Wahrheit und edler Schönheit kann Niemand in ihren Ausgeburten eine Spur entdecken. Freilich tauchte dann und wann ein reineres Talent auf, welches die Mode verschmähend zu würdigen Vorbildern sich hielt, wie wir ein solches in Schlüter bewundern und selbst auch in Knobelsdorf nicht verkennen dürfen, allein diese Männer glichen den Oasen in der Wüste. Ihr Wirken blieb vereinzelt und ohne Folge. Das Volk aber ward endlich übersättigt, es fühlte sich angeekelt von den Formlosigkeiten einer unwahren Hofkunst und verlangte nach reineren Genüssen. Dies Anfangs noch unbewußte Verlangen gährte nach und nach in jeder Brust. Man sah ein, daß Bedeutendes kommen müsse, und fühlte dies so stark, daß Ismael Mengs,

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sonst fromme Katholiken ihre noch ungeborenen Söhne dem geistlichen Stande etwa verloben geloben konnte, der Sohn, der ihm zuerst ge= boren werde, solle Maler und noch mehr, er solle. der Wiederhersteller der Malerei werden. Die ganze Erziehung von Anton Rafael Mengs verfolgte diese Absicht, aber neben der Absicht kann keine Ursprünglichkeit bestehen, und Ursprünglichkeit ist ja die Secle der Poesie. So wurde Mengs ein talentvoller Eklektiker, aber er war weit entfernt, der Genius für eine neue Kunst zu sein. Vielmehr, als habe die Geschichte zeigen wollen, daß es mit der eklektischen Art, wie man die Alten, Rafael und die anderen Meister benutzte, für immer vorbei sei, erscheint er gleichsam nur wie eine Wiederholung Caraccischer Muster, ohne den Erfolg wie diese. Ein anderer Mann mußte kommen, der nicht von seinem sechsten Jahre an schon im Zeichnen abgerichtet, im dreizehnten nicht schon in Rom geschult worden war. In einem Zweiundzwanzigjährigen, der, durch widriges Geschick gezwungen, mit dem Küferschurz in dem weitab von den Schätzen der Kunst liegenden Eckernförde einhergehen mußte, brach die Flamme der Begeisterung durch alle einengenden Schranken kühn em

por, und ward zu einer Leuchte auf dem Wege, dem von nun an die Bahn gebrochen war. Jakob Asmus Carstens ist der Mann, welcher die entscheidende kühne That gethan, und von ihm aus verzweigt sich, mit Ausnahme der Romantiker, die ganze Entwickelung unserer Kunst bis in ihre höchsten Spitzen. Doch Carstens sollte, so lange er lebte, weder Ruhm noch Glück haben; wie ein Opfer seiner Idee erscheint er, angefeindet, geschmäht und endlich frühe vom Todesgenius umschattet. Vierundvierzig Jahre alt starb er, und die Hälfte seines Lebens war dahin, als er zur Kunst kam. Mit Mühen und unter Sorgen arbeitete er sich nach und nach zu innerer Klarheit und äußerer Stellung, aber kaum, daß einige Wenige ihn erkannt, hörte sein Wirken auf.

Was in den tieferen Geistern der Nation schlummerte, was in der Dichtung sich schon so herrlich vollzog, was in der Tonkunst hell glänzte, es war nun auch als die befruchtende Sonne der deutschen Kunst klar ge= zeigt. Winckelmann hatte es unablässig, wie in prophetischer Begeisterung, gepredigt, Lessing hatte darauf hingewiesen, als das, wo jede Kritik verstummt, und nun kam Carstens als schaffender Künstler, in dessen Innerm der Ruf widerklang, und öffnete das Thor der klassischen Kunst. Ihm war es nicht beschieden, auch die goldene Frucht zu brechen, ja nur zu schauen, daß verwandte Geister ihm auf der neuen Straße folgten, und die Gewißheit mit ins Grab zu nehmen, daß das von ihm gepflanzte Samenkorn zur prangenden Blüthe gedeihen werde. Ob Carstens der Mann war, welcher, hätte er länger gelebt, auch die Aufgabe der Zeit ganz durchgeführt, mögen wir nicht entscheiden, doch dies müssen wir annehmen, daß, als er starb, seine Aufgabe gelöst war. Ohne Zweifel war seine Zeit im Allgemeinen auch noch nicht reif für die Erscheinungen, die später eintraten, und gerade dadurch, daß er nur der Vorläufer dieser ist, und so in ziemlich abgeschlossener Einsamkeit sich in seiner ganzen Bedeutung zeigt, tritt er um so bestimmter als der eigentliche Gründer der neuen deutschen Kunst hervor. Der hier naheliegende Einwurf, daß er demnach also zu früh gekommen wäre, ist, wie eine genaue Betrachtung der damaligen Kunstverhältnisse jedem zeigt, nicht stichhaltig. Es ließe sich nun leicht darüber reden, worin er stark und bedeutend war, leicht ließe sich nachweisen, was ihm gemangelt, und man könnte wohl darthun, warum

Carstens nicht selbst der große Genius unserer Kunst, sondern eben der Vorläufer großer Genien werden mußte. Doch wir nehmen ihn wie er ist, und begrüßen in ihm den Morgen einer schönen Zeit. Freilich ohne Rührung können wir nicht bei seinem Bilde verweilen, denn sein Leben ist wie von einem tragischen Geschick begleitet, seine Kraft wie von einem tragischen Verhängniß gebrochen.

Carstens erscheint in seinem Verhältniß zu den großen Genien unserer Kunst ähnlich wie Klopstock zu Göthe und Schiller, oder etwa wie ehedem Andrea Mantegna zu der Blüthe der italienischen Kunst. Allerdings, Verschiedenheiten sind da, aber dennoch haben Carstens und Mantegna enge Verwandtschaft, und beide weisen auf Größere hin, die nach ihnen kamen, dennoch sind Carstens und Klopstock in ihrem Streben nach geistiger Vertiefung und klassischer Form sich verbrüdert. Carstens griff das Uebel der Zeit in tapferer Gründlichkeit gerade beim rechten Ende an, und warf den Krebsschaden der Kunst, das verrottete Lehrverfahren über Bord. Denn dies Lettere richtete die Hand zur handwerkmäßigen Künstlerschaft ab, es verlieh ihr eine gewandte Technik, aber um die echte Bildung des Geistes, die Läuterung der Phantasie und die Erfassung tief poetischer Gegenstände war es ihm nicht zu thun. Nüchterne Gehaltlosigkeit bei gutem Vortrag war das Beste, was erreicht wurde. Diesen Zustand erkannte Carstens in seiner ganzen Ueberlebtheit, das akademische Lehrverfahren stieß seine Natur gewaltsam zurück. Auf ganz eigenthümliche Weise studirte er deshalb für sich allein Natur und Antike, und machte sich zum Herrn der Form, so daß sie ihm frei zur Verfügung stand für den Ausdruck seiner Ideen, ebenso wie dem Dichter das Metrum.

Es lag nahe und bestätigt nur eine allgemeine Erfahrung, daß Carstens in seinem berechtigten Haß gegen das Hergebrachte auch das wenige Gute übersah, was dieses besaß. Er betrachtete Antike und Natur, und lernte lebendig ihre Form auswendig; dann zeichnete er nachher aus dem Kopfe den Gegenstand auf. „Er zog“, heißt es bei Fernow, „nie Modelle zu Rathe und verwarf auch hier mit dem Mißbrauche den rechten Gebrauch... In den Besitz einer echten Kunstbildung gelangt, betrachtete er den richtigen und lebendigen Ausdruck der dargestellten Idee als die wesentliche Forderung an ein Kunstwerk. Ein wahrer, durchgeführter und

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dem Charakter des Gegenstandes angemessener Styl ist in dieser Forderung schon inbegriffen, weil nur durch diesen die Ideen plastisch und auf kunstgemäße Weise dargestellt werden können. Statt daß also das Hauptverdienst der meisten damaligen Kunstwerke in der Vermeidung einzelner Fehler und in sorgfältiger Ausführung einzelner Theile nach dem Modell und Gliedermann bestand, so waren Carstens' Werke durch bedeutende Auffassung des dargestellten Gegenstandes und durch einen schönen Sinn des Ganzen ausgezeichnet. Hingegen erschienen dieselben im Einzelnen keineswegs fehlerfrei." Carstens hatte zu diesem Verfahren eine Berechtigung durch seine eigenthümliche Aufgabe den allgemeinen Zuständen gegenüber, er mußte es übertreiben, um den wahren Kern desselben recht in das Licht zu stellen. Denn dies sichere Auswendigwissen der Form, dies Aus dem = Kopf zeichnen, über das, gleich den Anhängern des alten Zopfes einst, auch die naturalistischen Virtuosen neuester Art halb mitleidig, halb spöttisch die Achseln zucken, — ist eine Grundbedingung für den echten Künstler. Er muß die Form auswendig wissen, denn den nenne ich keinen Künstler, der nur seine Modelle sich zurechtsetzen und copiren kann. Das Kunstwerk nimmt seinen Ursprung in der Phantasie des Künstlers, aber nicht im lebenden Modell. Wie soll also der Künstler das Bild seiner Phantasie skizziren, wie soll er die Idee gleichsam niederschreiben können, wenn ihm die Buchstaben nicht geläufig sind? Hievon ging aber die Methode, wie Carstens sich selbst unterrichtete, aus. Ihm kam es auf das Wesentliche an: die poetische Idee in anschauliche Form zu bringen. Die Ideen schöpfte Carstens aus den Sagen der griechischen Welt, und nur um den vollen und ganzen Ausdruck dieser Ideen war es ihm zu thun. Farbenglanz und was die Leute jet oft unter malerischer Freiheit verstehen, lag ihm ganz und gar ferne, und so ist denn Carstens in den Augen der modernen sogenannten Coloristen nichts als ein verunglückter Bildhauer.

Aber eben diese Ansicht erhebt die Bedeutung von Carstens erst recht. In ihm steckte wirklich ein großer und hoher plastischer Sinn, und diesen gerade muß man als echt deutsch bezeichnen. Er findet sich bei uns besser vertreten, als bei irgend einem anderen Volke der Neuzeit, und er ist es, der unsere Malerei stylvoll, streng und gedankenreich erhalten hat, bis die Coloristen die Nachahmung der Franzosen und Belgier für das Heil erklärten

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