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XIV.

Ueber die Einführung unserer Jugend in das Alterthum. ')

In einer Zeit, wo man die formale Bildung, die allseitigste und schärfste Entwickelung aller geistigen Kräfte und Gaben für das einzige oder hauptsächlichste Endziel alles höheren Schulunterrichts ansah, konnte es als eine leichtere Aufgabe erscheinen, der alten Forderung des non multa, sed multum nachzukommen. Damals hatten die Wissenschaften sich von dem Leben in weiterer Ferne gehalten, die classische Bildung war die tüchtigste, aber auch bis zu einem gewissen Grade unentbehrliche Vorbereitung für das akademische Fachstudium, wenn es auch daneben allerdings dafür galt, dem Menschen eine seiner würdige Ballgemeine Bildung zu geben. Dem Geiste des Menschen schien einen nicht geringen Zeitabschnitt hindurch von Gott die Aufgabe gestellt zu sein, seine Kraft und Schärfe, seine Klarheit of und Tiefe zu erschöpfen; es war die Zeit der Höhe unserer nationalen Litteratur, es war die Blüthe unserer in die ganze Zeitle entwickelung lebendig eingreifenden Philosophie, die Meisterschaft über den Gedanken, und die Herrschaft über Form und Rede hatten bei uns den Gipfelpunct erreicht. Da musste denn auch in den. Schulen die formale Richtung herrschen und das Können bis zur möglichsten Virtuosität gesteigert werden; aber das Können bleibt öde und leer, wird arm und matt, wenn es nicht in demselben individuellen Geiste einen in sich weichen und fruchtbaren Stoff findet, an dem es seine Kräfte üben, seine Blüthen mit immer neuen Fruchtkeimen begaben und das Strömen seines Lebenssaftes vor Stockung und Tod bewahren kann. Das Können hat nur zu oft verächtlich auf das Wissen geblickt, aber das

1) Der in der Versammlung der Norddeutschen Schulmänner zu Glückstadt 1845 über dasselbe Thema gehaltene Vortrag, dem nichts Schriftliches zum Grunde lag, ist hier nachmals ausgeführt und darauf mit einigen Auslassungen in der Mittelschule 1846. H. 4. S. 481 503. abgedruckt worden.

Wissen nicht selten dem Können mit einiger Beschämung gegenüber gestanden. Aber allmählich ist die Zeit eine andere geworden und hat, die Einseitigkeit überwindend, dem ganzen Umfange geistigen Lebens das gebührende Recht eingeräumt. Der tiefe Inhalt der Wissenschaften ist in einem früher nicht geahnten Maasse hervorgetreten, alle Gebiete der Natur und des Lebens, der Wissenschaft und der Kunst haben sich einer eifrigen und unermüdeten Erforschung geöffnet und dieselbe mit den reichsten Resultaten der umfassendsten Art belohnt; endlich hat das Leben eine Macht bekommen, einen universellen, Alles beherrschenden Einfluss, wie es vielleicht niemals, so lange als die Welt steht, selbst nicht in jenen frischen blühenden Zeiten hellenischen Lebens, gehabt hat. Und davon sollte die Gelehrtenschule unberührt geblieben sein? Ich denke, so wenig, dass ihre Aufgabe und Bedeutung vielmehr wie unvermerkt eine ganz andere geworden ist. Thun wir einmal einen stillen Blick rückwärts: diese Anstalten jetzt und vor 300 Jahren! wie ganz anders ihre Stellung und Bedeutung! Aber wie sollte es auch kommen, dass, während alles, was dem Kreise organischen Lebens angehört, seine Entwickelung und Geschichte hat, einzig und allein diese, eine so wichtige Quelle und Trägerin höheren geistigen Lebens, derselben nicht unterworfen wäre? Sie ist in einen zum Theil recht harten Conflict mit der Zeit gerathen, aber nicht alles, was diese auf der Oberfläche ihrer Wellen trägt, hat wahres Leben und ist mehr als Schaum und werthloses Kraut; sie hat darum eben so wenig durch die Zeitstimmen sich bethören oder irre machen zu lassen, als sie sich der fortgehenden allgemeinen Bewegung des Geistes widersetzen darf. Sie ist ein Baum, der in dem Boden der Gegenwart wurzelt, der alljährlich neue Aeste und Zweige treibt, aber auch wilde Reiser, die eine sorgsame Hand von Zeit zu Zeit mit behutsamer Schonung entfernen muss. Den tieferen, wahren Bedürfnissen der Gegenwart muss die Geschichte sich fügen und folgen, ihre Forderungen im Verhältnisse zu den wachsenden Mitteln steigern und erweitern, zumal wenn dieselben mit der innersten Natur des Geistes in Einklang sind und die Leistungen der Vergangenheit nicht geschmälert, sondern bereichert in sich aufnehmen. Wir erkennen hieraus die eigentliche Stellung und Natur der Gelehrtenschule; ihr Lebenso dem ist nicht die Wissenschaft, sondern die Erfahrung, ihr Stoff nicht

die Gegenwart, sondern die Vergangenheit, ihre Form nicht die systematische, sondern die historische (synthetische), ihr Ziel nicht Erkenntniss, sondern Bildung. Sie ist nicht stufenweise, sondern wesentlich von den akademischen Lehranstalten unterschieden; diese haben es mit dem Neben- Durch- und In- Einander der Idee, sie aber mit dem Nacheinander fortschreitender Entwickelung zu thun, diese beginnt, wo jene aufhört, nemlich auf der gegenwärtigen Entwickelungsstufe des Geistes und der Wissenschaft; jene übt ein Schöpfen aus der Tiefe, diese ein Nehmen aus der Höhe, jene durchdringt und erzeugt ihren Stoff, diese lässt sich von dem ihrigen durchdringen und befruchten. Darum hat auch die Gelehrtenschule alles eigentlich und formell Wissenschaftliche durchaus von sich fern zu halten, ohne darum den schönsten Stoff der Wissenschaften, wie er sich historisch in dem Fortgange der geistigen Entwickelung hervorgebracht hat, irgendwie zu entbehren. Unseres Wirkens Aufgabe, sagten wir, ist Bildung; wenn wir aber bilden, so soll eine Gestalt entstehen, sei es dass wir das Innere des Geistes im Aeusseren darstellen, oder ein uns Aeusseres und Gegenständliches in unsern Geist aufzunehmen und ihm zu assimiliren haben. Wir halten ferner fest, dass auch die Entwickelung der Menschheit ein Organisches, ein Stetiges, ein dem Ziele höherer Vollendung unaufhaltsam Entgegenreifendes ist, ob wir gleich oftmals die Wege, Mittel und Gründe des himmlischen Erziehers eben so wenig verstehen, als das Kind zur Zeit immer den Vater oder der Schüler den Lehrer versteht. Diesen grossartigen Gang und Plan, den die Menschheit gegangen ist, sollen auch wir in unserer Entwickelung gehen, wir sollen in unserer individuellen Ausbildung die allmählich gereiften Früchte des Geistes, wie er durch alle seine Perioden und Phasen hindurch geworden ist, nicht bloss brechen sondern auch geniessen, und mit rascher, concentrirter Energie in unserm Innern eine Gestalt desselben ausprägen. Hiermit erhellt von selbst die ausserordentliche Bedeutung einer in solchem Sinne gefassten Geschichte für die Gelehrtenschule; dieselbe muss entschieden in den Vordergrund treten und von ihrem Standpuncte aus, ich möchte fast sagen, alles des Denkens und Redens Würdige betrachtet werden. Natürlich aber nehmen wir hier die Geschichte nicht in dem engeren Sinne, WO sie den Wechsel und Wandel der Staaten und Völker, die Zerrüttungen der Sitte und die Wuth der Kriege, den Bestand der

Verfassungen und die Blüthe der Bildung in politischer und Culturgeschichte zusammenfasst; wir verstehen sie vielmehr als den Inbegriff menschlicher Bildung nach der gesammten reichsten Entwickelung, deren sie fähig ist, als die in allen ihren Factoren explicirte höchste Potenz geistiger Empfängniss und Wiedererzeugung, wovon Sprachen und Wissenschaften, Litteratur und Kunst im Laufe der Weltgeschichte das tiefe Gepräge liefern. In diesem Sinne soll der gebildete Mensch, der berufen ist, seinen Gesichtskreis über die Gegenwart und nächste Umgebung auszudehnen, alle die verschiedenen Stadien der Geistesbildung, die der Standpunct der einzelnen weltgeschichtlichen Nationen gewesen sind, in seinem Geiste durchwandern und, auf keiner derselben stehen bleibend, vielmehr sie als Blüthen und Fruchtkeime höherer Geistesentwickelung sich aneignen. Der gebildete Mensch hat, wenn er die Schule, von der wir hier handeln, betritt, die bunte in Naturschöpfungen sich überbietende Welt morgenländischer Phantasie bereits in der Feen- und Mährchenwelt seiner eigenen Kindheit überwunden, sein Standpunct ist vielmehr eigentlich der, wo der Geist seiner selbst bewusst wird, sich in seiner Welt und Umgebung zurecht findet; man wird ihn daher gern vorwärts gehen lassen und ihn erst dann, wenn er selbst fester und heimischer darin geworden ist, zurückführen in das Kindesalter des menschlichen Geistes nach Indien und Aegypten, und auch dann nur einmal zu einem kurzen und flüchtigen Einblicke. Vor allen Dingen soll er jetzt verweilen bei dem Volke, das an der Hand Gottes ging, aber auch bei den beiden grossen Völkern, Gott ihre eigenen Wege gehen liess. Mit jenem soll er wandern in das Diensthaus nach Aegypten und in die Wüste, soll mit ihm jauchzen auf Zion, aber auch mit ihm trauern an den Wassern zu Babel, und in Allem soll er erkennen lernen die Wege und Abwege des eigenen Lebens und Strebens. Er soll das Räthsel lösen, das dem hellenischen Volke gestellt war, in ihm die Fülle der Kräfte und den Reichthum der Gaben und Erzeugnisse schauen, deren die rein menschliche Geisteskraft als solche fähig ist; er soll mit freudiger Liebe bei den harmlosen Schöpfungen der Kunst, der bildenden wie der redenden, bei den Denkmälern der Geschichte und Weisheit verweilen, aber auch die Thatkraft und den Heldenmuth des Römers bewundern, für Ein grosses Ziel alle seine Kräfte und Neigungen, Gut und

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Blut opfert, damit sein Vaterland immer herrlicher werde. Aber was ist Geistesblüthe und Thatendurst, was ist auch die glänzendste Entwickelung der Humanität, was ist selbst das schönste irdische Vaterland gegen das Wissen von der erlösenden Liebe und den Hunger nach dem Brode des Lebens, gegen das reich entfaltete Leben einer durch Christum begnadigten gläubigen Seele, gegen das Erbtheil unserer himmlischen Berufung und die ewige Heimath droben? - Das Christenthum trat in die Welt, und damit eine Alles überwältigende geistige Macht, ein Sauerteig, der alle Gebiete des Lebens zu durchdringen bestimmt war und diese seine rückwärts und vorwärts gehende Kraft gar bald an den Tag legen sollte. Nun sind alle Räthsel der Zeit enthüllt, die Bedeutung der Vergangenheit ist geoffenbart wie der Sinn der kommenden Zeiten gewiesen; mit diesem Schlüssel, der auch den rechten Eingang in das Alterthum öffnet, treten wir getrost in die dunkelen und verworrenen Zeiten des Mittelalters, und sehen auch da ein wunderbares Licht, das uns hinübergeleitet in die inhaltschwere Geschichte der letzten Jahrhunderte und damit in die Zeit, deren Kinder wir selbst sind und in der wir in einem höheren Sinne uns zurechtefinden und heimisch machen sollen.

Das ist der Gang durch die Geschichte, den der gebildete Mensch gehen, dessen Entwickelungsstufe er innerlich durchleben soll. Ein solcher Gang gleicht dem Blicke eines Wanderers von einer Höhe hinunter auf ein unermesslich weites Ackerfeld, auf dem die verschiedensten Fruchtarten und Pflanzen neben einander wachsen, wo ein Gewächs das andere überschattet und verdrängt, Unzähliges frucht- und spurlos wieder verschwindet, Anderes der Erde seinen Samen wiedergibt und sterbend neues Leben erzeugt, wo hier silberhelle Quellen aus dem tiefen Schoosse der Erde emporsteigen, dort gewaltige Ströme rauschen und ihre rollenden Fluten dem Meere zutragen, hier die Auen grünen, dort Berge und Felsen sich emporthürmen; so wenig aber dem ruhigen Beschauer bei allem bunten Wechsel, bei allem Umschwunge, darin die Erde um sich selbst und um die Sonne sich bewegt, das Einzelne sich entziehen kann: so wenig gehen die Weltgeschicke im Strome der Zeit unter, nur die nächste Umgebung am Fusse des Bergcs verbirgt sich ihm, die Gegenwart ist keine Bildungssphäre für den Geist.

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