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ihre Mittheilungen erfolgen nicht immer in der Art, wie der Mensch sie vermuthet hat. Das Orakel ertheilt oftmals nicht die erwartete oder begehrte Antwort, sondern statt derselben bisweilen eine andere schwere Weisung oder Mahnung, dadurch es sich denn offenbar nicht bloss als eine enthüllende, sondern als eine fügende und wirkende Macht kund gibt. In solcher Weise führt es dann grade den Menschen in den vollen sittlichen Conflict hinein: er will dem verkündigten Geschicke entgehen und stürzt so gerade in ängstlichster Vermeidung desselben mitten in das gefürchtete Loos hinein. Ganz natürlich verliert es so leicht seine Bedeutung als eine äusserliche und objective, dem Menschen gegenüberstehende Macht; es tritt in eine nähere Beziehung zu seinem Innern, es wird eine Stimme darin und verbindet sich mit der Sprache seines Gewissens. Darum heisst es in solcher Beziehung einmal 26) beim Dichter: Der vom Orakel bezeichnete Urheber einer bösen That, für den es Zeit ist, dass er schneller als die sturmwindbeflügelten Rosse seinen Fuss zur Flucht lenke, irret im wilden Forst, in Höhlen und Felsklüften umher, wie ein Stier, elend mit einsamem Schritte, die von des Erdraums Mitte kommenden Schersprüche meidend, die ihn doch immer lebendig umflattern. Wehe darum dem Menschen, der solcher Wirkung sich entziehen zu können meint; er wird die Folgen nur um so bitterer empfinden. Der Dichter will einem Zeitalter gegenüber, das im Vertrauen auf die bisher in treuem Glauben bewahrte göttliche Macht und Vorsehung schon so matt und wankend geworden ist, es recht fest und nachdrücklich einprägen, dass der Mangel am Götterglauben zur leichtsinnigsten Ansicht des Lebens und damit natürlich unmittelbar zu sittlicher Verschuldung führt. Diese Erfahrung zeigt sich an den stürmischen Bewegungen besonders in dem Gemüthe der Frauen, unter welchen namentlich die Iokaste das abschrekkendste Bild von der zerstörenden Gewalt derselben darbietet. Was aber von den Orakeln insonderheit gilt, das gilt von der ganzen Mantik überhaupt und zum Theil in noch grösserem Maasse, weil die menschliche Beschränktheit in dem Träger derselben noch stärker hervortreten musste. Auch hier ist ein voller Streit im menschlichen Bewusstsein zwischen der selbständig ge

26) Soph. Oed, Tyr. 460-75.

reiften Geisteskraft und der göttlich erleuchteten Gabe vorhanden, wie sich derselbe in dem heftigen Auftreten des Oedipus und des Kreon gegen den greisen Seher Tiresias zu erkennen gibt. Aber eben damit weist auch der Dichter auf die unausbleibliche Folge hin, die an die Schuld des Menschen im weiteren Verlaufe sich anknüpft.

Wir bewegen uns also immer wieder auf dem sittlichen Gebiete, so oft wir auch den Dichter die Wege und Irrwege menschlicher Erkenntniss verfolgen sehen. Und das ist wohl grade zumeist als ein wesentlicher Unterschied in dem religiösen Bewusstsein anzuerkennen, wie sich dasselbe in der homerischen und in der sophokleischen Poesie herausstellt. Zwar ist es beiden gemeinsam, noch andere Factoren der sittlichen Handlung anzunehmen und insbesondere der Abstammung und dem Schicksal einen bestimmten Einfluss darauf zuzuweisen; aber der besondere Antheil des Einzelnen an seinem Thun fällt bei Homer vorzugsweise dem natürlichen Wesen des Menschen, beim Sophokles dem mit der Einsicht und Erkenntniss eng zusammenhängenden freien Willen anheim. Der homerischen Vorstellungsweise gilt die Sünde als eine factische Zerstörung der sittlichen Weltordnung, als die falsche Selbstbestimmung des Menschen nach eigenen Gesetzen und Maximen; sie ist seine eigenste That, die sich von dem Gefühle göttlichen und menschlichen Rechts losreissende Selbstsucht, ein sich ungebührlich überhebendes Ehr- und Selbstgefühl. Nebenher erscheint sie in ihrem Wesen wie in ihrer Zurechnung noch in der anderen Gestalt, als etwas von aussen her Empfangenes, Eingeflösstes, das gradezu den Göttern untergeschoben Zwar bringen die Götter auch nach der sophokleischen Auffassungsweise den Menschen in die Schuld hinein, aber diese Verführung hängt mehr oder weniger von dem sittlichen Zustande des Individuums oder von der ganzen bisherigen Führung und That seines Geschlechtes ab, sie hat tiefere Wurzeln innerhalb der Menschenwelt selber und ist niemals allein da, ohne dass der freie Wille seine Macht behält. Wenn also auch die Maasslosigkeit im Streben und Begehren stark hervortritt, wenn sie besonders auch als Eigensinn, Vermessenheit, Trotz, Tollkühnheit erscheint, so macht sich doch vornehmlich der grosse Unterschied geltend, der zwischen der vorsätzlichen, bewussten und freiwilligen und der gezwungenen oder unfreiwilligen Schuld statt

wird.

findet 27). Mit dieser so höchst wichtigen Unterscheidung zwischen Absicht und absichtslos verübtem Frevel ist ein grosser Schritt vorwärts gethan und, so entfernt auch noch die Idee der christlichen Freiheit lag, doch der sichere Boden des Rechtsbewusstseins betreten, wie dasselbe sich anderweitig auch in den entsprechenden Erscheinungen des Aufhörens der Blutrache, der Einsetzung des Areopags und der Entwickelung der sittlichen Idee durch die Lehre des Sokrates kundgibt.

Man vergl. zu diesen

27) So unter anderem in Soph. O. T. 982 ff. zuletzt gegebenen Andeutungen Nägelsbach hom. Theol., S. 249. 270 ff. u. Bippart, Pindars Leben, Weltanschauung und Kunst S. 71 f.

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Die Oedipus - Sage und ihre Behandlung bei
Sophokles 1).

Zum tieferen Verständnisse der sinnvollen Dichtungen der alten attischen Bühne hat man neuerdings insbesondere die darin verborgen liegenden Reflexe der damaligen Zeit und politischen Anspielungen auf Personen und Begebenheiten mit Scharfsinn und Kunde zu entwickeln gesucht; man hat bei der anerkannt nahen und innigen Verbindung zwischen Leben und Kunst, wie der Zusammengehörigkeit von Natur und Poësie im Leben des Alterthums gern auch die vielleicht vollendetste Kunstgattung des hellenischen Geistes mit ihren feinsten Fasern tief im Boden ihrer Zeit wurzelnd nachweisen wollen. Eine andere Richtung dagegen, die im Allgemeinen den Bedürfnissen der Wissenschaft in unsern Tagen angemessen und naheliegend scheint, ist auf das griechische Alterthum im Allgemeinen schon in bedeutendem Umfange, auf die griechischen Dramatiker erst theilweise, auf den Sophokles bis jetzt noch am wenigsten angewandt worden. Ich meine die Forschung, die mehr innerlich den Wegen und Richtungen des schaffenden Geistes nachgeht, die den eigenthümlichen Standpunct zu ermitteln sucht, auf welchem der Dichter in seiner ganzen religiös-sittlichen Weltanschauung steht, die den Einzelnen seiner Zeit umgekehrt enthebt und ihn in den höheren weltgeschichtlichen Zusammenhang mit seiner Nation und der ihr gestellten Aufgabe, wie mit dem Mittelpuncte aller Geschichte zu bringen bemüht ist. Es gibt ja unleugbar Thatsachen und Persönlichkeiten, die vorwärts weisen, wenn auch vollkommen sich und ihrer Umgebung unbewusst, deren Bedeutung nicht mit ihren nächsten Wirkungen, noch mit der Arbeit

1) Die gleichnamige Abhandlung von C. P. Conz in Hauff's Philologie, I, 3. S. 155-78, war mir bei der Abfassung dieser Arbeit nicht gegenwärtig,

ihres Lebens oder der Dauer ihres Andenkens abgeschlossen ist. Es gibt Wahrheiten und Grundsätze, Ereignisse und Menschen, die in sich so allgemeiner und inhaltsreicher Art sind, dass sie oft, wenn sie zum ersten Male auftreten, nur ein Vorspiel späterer Wiederholungen scheinen, sie tragen aus solchem Grunde einen unverkennbaren typisch - prophetischen Charakter, ihre Macht und Bedeutung ist an sich unendlich viel reicher als dieselbe ihrer Umgebung erscheint 2). Eine solche Natur tritt aus den lieblich-reichen Dichtungen des Sophokles vorzugsweise in dem Oedipus hervor. Wenn wir nun hiebei gleich im Vorwege einräumen müssen, dass diess keine eigentlich historische Person sei, dass schon dem Sophokles eine abweichende Erzählung 3) von seiner Herkunft, seinen Schicksalen und Thaten zur Wahl vorgelegen haben oder neben der ihm bekannten andere vorhanden gewesen sein müssen; dass also sich an den ursprünglich so oder anders gestalteten geschichtlichen Kern eine von sonstigen Einflüssen der Bildung, Umgebung und Stammeigenthümlichkeit nicht unabhängige Volkauffassung angesetzt haben müsse: so lässt sich ja nicht leugnen, dass auch des Dichters eigene Auffassungsweise eines solchen Gegenstandes mit seiner künstlerischen Behandlung in einem gegenseitig bedingenden Verhältnisse, in Wechselwirkung stehen müsse. Diese seine Ansicht zu erkennen hat aber deshalb Schwierigkeit, weil der dramatische Dichter sie nirgend unmittelbar an den Tag zu legen oder überhaupt anders als durch die Anordnung des ganzen Stückes bis zu seinem Ziele und Ausgange hin, wie durch die besondere Fassung der Rolle des Haupthelden immer aber nur durch das Factische, nie durch eigentliche Reflexion, am wenigsten von seiner eigenen Person aus, an den Tag zu legen berufen ist. Ohne Prüfung des uns vorliegenden Mythos an sich nun werden wir uns wohl keine tiefere Einsicht in die Behandlung der Aufgabe von Seiten unseres Dichters bilden können, zumal wenn bereits mehrere Deutungen desselben vorliegen; umgekehrt aber werden wir auch ohne beständige und eingehende Rücksicht auf unsern

2) Wie wenig das Bewusstsein der jedesmaligen Zeit über Sinn und Bedeutung einer Form u. s. w. entscheiden darf, weist auf verwandtem Gebiete Hegel Aesthetik I, S. 402. ff. nach.

3) S. Nitzsch, Heldensage der Griechen, S. 28 f.

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