Aufsätze der Hallischen Zeit.
1. Uebersicht des Inhalts von Platons Dialog Das Gastmahl.
[Platons Gastmahl: ein Dialog herausgeg. von F. A. Wolf. Leipz. 1782. p. LXIV - XCIV. Die Vorrede welche vorangeht, ist an die Spitze der Praefationes p. 131. ff. gestellt worden. Uebrigens hat Wolf im Neudruck seiner Uebersicht vom Platonischen Gastmahl mehrere Anmerkungen, die auf seine Ausgabe sich bezogen und sonst manche Einschaltung fortgelassen. Diese später gleichgültigen Klei- nigkeiten sind bisweilen in den Angaben der früheren Schreibart mit Stillschweigen übergangen worden.]
C. I. Eine Gesellschaft guter Freunde hatte den Apollodor 288 gebeten ihnen von den Reden, die bei einem gewissen Gast- mahl des Agathon von Sokrates und den übrigen 1 Gästen über den Amor oder die Liebe waren gehalten worden, eine umständliche Nachricht zu geben. Selbst war zwar dieser Apollodor nicht dabei gegenwärtig gewesen denn dazumal war er noch sehr jung, und stand mit Sokrates noch in keiner Verbindung aber er hatte glaubwürdige Nachrich- ten davon aus dem Munde eines der Anwesenden, des Ari- stodem, die Sokrates, den er darüber näher befragt, selbst bestätigt hatte. Vor kurzem hatte er die Geschichte dieses Gastmahls auch dem Glaukon auf dem Wege von Phaleron 289 nach Athen erzählen müssen; daher hat er alles noch so in frischem Andenken, dass es ihm keine Mühe macht den Wunsch seiner Freunde zu erfüllen. Apollodor macht dem- nach folgende Erzählung:
II. Dem Aristodem begegnete Sokrates, dasmal in einem glänzendern Aufzuge als gewöhnlich. Wo denkst du hin- aus? fragte Aristodem.,, Agathon hat mich zum Gastmahl eingeladen. Er bat mich schon gestern, da er wegen seines in dem Wettstreit der dramatischen Dichter erhaltenen Sieges einen Schmaus gab; aber weil ich fürchtete, die Versamm-
1) den andern 2) Selber F. A. Wolf, Kleine Schriften.
lung möchte zu zahlreich werden, versprach ich dafür heute zu kommen. Und jetzt siehst du mich auf dem Wege zu ihm. Wie, wenn du, wiewohl als ein ungebetener Gast, mir Gesellschaft leistetest?“ 1 Aristodem ist der Mann nicht sich lange nöthigen zu lassen. Beide setzen ihren Weg fort. Aber bald ging Sokrates, nach seiner Gewohnheit in Gedanken vertieft, langsamer, und blieb endlich ganz 290 zurück, so dass Aristodem, als er zu Agathons Hause hin- eingehen wollte, keinen Sokrates um sich sah, und gezwun- gen war allein hinein zu treten. Aus der Verlegenheit, worein ihn der Anblick der versammelten Gäste setzen musste, zog ihn Agathon auf die höflichste Weise durch die Ver- sicherung, er habe ihn gestern auch einladen wollen, aber es sei unmöglich gewesen ihn aufzufinden; und hiemit wies er ihm seinen Platz neben Eryximachus an.
III. Sokrates liess indessen noch eine gute Weile auf sich warten, und erschien erst, da sie bereits halb abgespeist hatten. Agathon lässt ihn neben sich sitzen, und ein paar Komplimente, mit attischem Salz gewürzt, eröffnen das Gespräch.
IV. Als die Tafel aufgehoben war, und der Anfang zum Trinken gemacht werden sollte, versichert Pausanias, der wie die meisten andern auch den Tag vorher dem Trinkgelag des Agathon beigewohnt hatte, dass er für seine Person sich sehr nach einer Erholung von der gestrigen Anstrengung 291 sehne, und seine Empfindung erlaube ihm nicht sich schon wieder den Gesetzen einer neuen Trinkgesellschaft zu unter- werfen. Lasst uns, sagt er, auf Mittel denken, wie wir uns das Trinken nicht zu einer Last und Arbeit sondern zu einem Vergnügen machen. Der übrige Theil der Gesellschaft fin- det sich gleich geneigt den Vorschlag anzunehmen. Man beschliesst einen jeden nach eigenem Gefallen trinken zu lassen, und die Zeit lieber mit Unterredungen von wissen- schaftlicher Art hinzubringen. Die Einstimmung des Eryxi- machus als eines Arztes ist hiebei von vorzüglichem Gewicht.
Dieser nimmt das Wort, und unterstützt den Rath des Pau- sanias mit Gründen der Diätetik:
V. Überdas räth er die Flötenspielerin aus der Gesell- schaft zu entfernen, und schlägt zum Gegenstand ihrer Reden das Lob des Amor vor. Der Urheber dieses Gedankens war eigentlich Phaedrus, der es schon lange unbillig gefunden hatte, dass Dichter und Prosaisten diese mächtige Gottheit bisher nicht zum Gegenstand ihrer Lobpreisungen gemacht, da sie doch andere Götter, ja sogar Dinge von geringerer Erheblichkeit, in Hymnen und Lobschriften erhoben hätten. 292 Der Einfall findet allgemeinen Beifall. Es wird beschlossen, jedes Glied der Gesellschaft soll einen Vortrag zum Preis des Amor halten; und
VI. Phaedrus macht den Anfang. Dieser preiset ihn als eine Gottheit von den erhabensten Vorzügen, sowohl in Absicht seiner Herkunft denn nach Hesiodus, Parmenides und Akusilaus gehört er zu den ältesten Göttern, und kein Schriftsteller erwähnt Eltern desselben als wegen der ausserordentlich wohlthätigen Wirkungen, die er auf die Gemüther der Menschen ausübt. Denn wo gibt es eine so starke Triebfeder zu einem edeln und tugendhaften Betragen als die Liebe? Sie ist es, die im Menschen die zwo sichern Führerinnen seines Lebens weckt, die Scham bei Begehung unanständiger und die Ehrbegierde bei Vollbringung edler Handlungen: ja der blosse Anblick des geliebten Gegenstan- des ist mehr als alles andre im Stande, dem Liebhaber die eine oder die andere dieser Empfindungen einzuflössen.
VII. Die Liebe kann Seelen hohen Muth und eine Art 293 von Tugend-Enthusiasmus einhauchen, und sie zu solchen Thaten entflammen, wie jene der Alcestis, die für ihren Gemahl starb, und des Achill, der sich aufopferte um seinen Liebhaber Patroklus zu rächen; Thaten, denen selbst von den Göttern niemals Beifall und Belohnung versagt wird. Pausanias ist der nächste Redner, dessen sich Aristo- dem zu erinnern wusste.
1) er auch 2) gibt Aeltern d. an 4) Pausanias Vortrag ist der nächste
VIII. Unser Gegenstand, sagt dieser, scheint mir noch nicht gehörig bestimmt zu sein. Meines Erachtens müssen wir vorher zwei Amors unterscheiden, und sodann festsetzen, welchem unsere Lobpreisungen gelten sollen. Da es bekannt- lich zwei Venus gibt, eine ältere, die man die himmlische nennt, und eine jüngere, die die gemeine genannt wird; und da Venus nie ohne einen Amor ist: so muss folglich dieser ebenfalls zwiefach sein, ein himmlischer und ein gemeiner. Denn so wie es sich mit allen übrigen menschlichen Hand- 294 lungen verhält, dass sie nämlich nicht an sich und ihrer Natur nach edel oder unedel, gut oder schändlich sind, sondern das eine oder andere erst durch die Art, wie sie geschehen, werden: gleiche Bewandniss hat es mit dem Amor oder der Liebe. Die Liebe ist nicht überhaupt edel und lobenswürdig, sondern nur diejenige, die uns auf eine edle Art lieben lehrt.
IX. Diejenigen die von dem gemeinen Amor getrieben werden, sind lasterhafte; sie richten ihre Liebe eben sowohl auf das weibliche als auf das männliche Geschlecht, und mehr auf den Körper als auf die Seele, und sind ganz unbe- kümmert, ob die Beweggründe ihrer Neigung edel sind oder nicht. Der Amor hingegen, der im Gefolge der himmlischen Venus ist, treibt seine Begeisterten bloss zur Liebe gegen Mannspersonen, als das stärkere und verständigere Geschlecht; und solche wählen sich nicht eher einen Geliebten, als bis dieser in die Jünglingsjahre getreten, und seine Geistesbildung zu einer gewissen Festigkeit gelangt ist: denn sie sind ent- schlossen sich von dem einmal geliebten Gegenstande niemals 295 zu trennen. Billig sollte auch ein ausdrückliches Gesetz verbieten Personen zu lieben, deren zartes Alter ihre künf- tige Beschaffenheit noch nicht mit Gewissheit voraussehen lässt. Edeldenkende beobachten diese Regel von selbst, und eben dies unterscheidet sie deutlich von den gemeinen Lieb- habern, deren zügelloses Betragen die Liebe überhaupt bei vie- len1 in übeln Ruf gebracht hat. Demungeachtet bleibt es beim
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