Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen war ein gar frommer, kunst- und prachtliebender Herr. Selbst Komponist, diente ihm die Musik nicht nur zur Ausschmückung seiner Feste, sondern vor Allem zur Verherrlichung des Gottesdienstes in seiner Schlosskapelle. Der Kirchendienst, der schon damals so berühmten kurfürstlichen Kapelle, war der wichtigste und auch zeitraubendste. Jetzt ist dies umgekehrt; die meisten Kapellen haben mit der Kirche sehr wenig, mit dem Theater sehr viel zu thun. Wie viel Zeit im 17. Jahrhunderte der Gottesdienst beanspruchte, werden die nachfolgenden Mittheilungen aus einem Aktenstücke des K. S. Finanzarchivs beweisen. Zuvor noch sei die Bemerkung gestattet, dass die Musiken beim Hofgottesdienste entweder in Choralgesängen oder in grösseren Vokalkompositionen mit und ohne Instrumentalbegleitung bestanden. Erstere wurden unter Direktion des Hofkantors und Vicekapellmeisters von den deutschen Sängern der Kapelle ausgeführt, gewöhnlich „vor dem Pult", d. h. nicht auf dem Singechore, sondern vor dem Altare aus grossen auf einem Pulte liegenden Folianten, in denen auf je zwei gegenüberstehenden Seiten sämmtliche Stimmen in grosser Schrift aufgezeichnet waren. Die grösseren Vokalkompositionen mit und ohne Instrumentalbegleitung wurden auf dem Singechore von der ganzen Kapelle aufgeführt. Die zu jener Zeit berühmte Schlosskapelle ward 1737 aufgehoben und zu Zimmern eingerichtet, der protestantische Hofgottesdienst aber in die Sophienkirche verlegt, wo er noch jetzt abgehalten wird. Einweihung Der Churfürstl. Sächs. renovirten Hof - Capella und Beziehung der Churfstl. reparirten Gemächer, welche dieses noch instehende 1692ste Jahr folgendermaassen gehalten worden. Sonnabend den 27. Septembr. confitirte (beichtete) nach 12 Uhr das Churfl. Adeliche Frauenzimmer biss halbweg 2 Uhr, allda zum ersten und dann 3/4 auf 2 Uhr zum andern male gelautet, auch hierauf die Vesper wie folget gehalten wurde. 1) Intonirte der mittlere Hof-Prediger Herr Valentin Heerbrand vor dem Altar: Deus in adjutorium: worauf der Chor antwortete. 2) Ward der 84. Psalm deutsch Choraliter vor dem Pulte abgesungen, und 3)„Nun lob mein Seel den Herrn," ingleichen 4) „Ach höre mich armen Sünder." 5) Wurde der 51. Psalm nächst dem ordentlichen und ManasseBussgebeth, auch Vater Unser vor dem Altare vom Priester abgelesen. 6) Das Magnificat Deutsch Choraliter. 7) „Ach Gott und Herr, wie gross und schwer." 8) Collecta und Segen vor dem Altar vom Priester gesprochen. Nach geendigter Vesper confitirte dann die Allerdurchlauchtigste Churfürstin nebst Sr. Churfl. Durchl. und der Churfürstl. Prinzessin. Sonntag den 18. nach Trinitatis als 28. Septbr. gingen Sr. Churfl. Durchl. frühe morgens um 6 Uhr aus dem bissher gewesenen Gemach in die Schloss-Capella, und confitirten allda. Umb halbweg 7 Uhr wurde zum ersten, umb 7 Uhr zum andern, und halbweg 8 Uhr zum dritten mal zur Kirchen gelautet, darauf Sr. Churfil, Durchl. sowohl Dero Gemahlin neben dem Chur-Prinz und Prinzessin hinunter in die Kirche sich begaben und ward hierbey auf der Orgel biss die gnädigste Herrschaft in die hierzu bereiteten Stühle waren, praeambuliret. Sodann nahm der Gottesdienst seinen Anfang und hielte der mittlere Hof-Prediger Herr Valentin Heerbrand das Amt. Dessen Messgewand wie auch der Umbhang des Altars war von carmosinroth Sammt mit Gold und Silber auch Perlen gestickt, und ward der ganz goldene Kelch sambt der Patina und Hostien-Schachtel (welche zusammen über 800 Cronen an Gewicht, und mit dem ganzen Leben Christi amuliret, sowohl mit 900 Stück allerhand Edelgesteinen besetzet sein) gebrauchet; auf dem Altar stunden zwei grosse silberne Leuchter, woran der Ziehrat verguldet war, ingleichen ein silbern Crucifix, an dessen postement das Nachtmahl Christi amulirt. Die Musica dirigirte sowohl auch in der Vesper der würckliche Churfl. Capellmeister Vincenzo Albrici, welche in folgender Ordnung gehalten ward. 1) Intonirte der Priester vor dem Altar den 100. Psalm „Jauchzet dem Herrn alle Welt" und respondiret darauf der Chor (so mit Trompeten). Die Composition war des alten Churfil. Capellmeister Heinrich Schützen's, welche er hierzu neu gemacht. 2) Kyrie mit Trompeten und Heerpauken des Capellmeisters Albrici, das er, wie auch die übrige ganze Musica dieses Tages neu hierzu componiret. Hierauf wurde gesungen 3) „Nun lob mein Seel den Herrn." 4) Christe. 5),„Ich ruf zu Dir Herr Jesu Christ." 6) Kyrie mit Trompeten und Heerpaucken. 7),,Nimm von uns Herr Gott." 8) Wurde vom Priester vor dem Altar das Gloria intonirt. 9) Missa mit Trompeten und Heerpaucken. 10) „Allein Gott in der Höh sey Ehr." 11) Lase der Priester die Collecta und Epistel vor dem Altar. 12) Litanei deutsch, auch des Capellmeister Albrici Composition. 13) Das Evangelium, so vom Priester vor dem Altar abgelesen wurde. 14) Intonirte der Priester vor dem Altar das Credo. 17) Darauf verrichtete der Oberhof - Prediger Herr Dr. Jacobus Weller die Predigt aus dem ordentl. Evangelio. Der Predigt-Stuhl war mit rothem Sammt, daran güldene Franzen, bekleidet und wurde vor dem Vater Unser gesungen,, Herr Gott Vater mein starker Held."*) Nach der Predigt wurde die gemeine Beichte neben dem gebräuchlichen Kirchengebet, ingleichen auch die Vorbitte wegen des bevorstehenden Hochfürstl. Beylagers abgelesen, darauf gesungen.**) 18),Allein zu Dir Herr Jesu Christ." 19) Geschahe die Consecration und Austheilung des heil. Abendmahls, wobey gesungen ward, Jesus Christus Unser Heyland" und „Gott sey gelobet und gebenedeiet." 20) Collecta und Seegen. 21) Intonirte der Priester vor dem Altar „Herr Gott Dich loben wir", worauf der Chor mit der Gemeinde das Lied vollends absung. Alss nun solcher gestalt der Gottesdienst vollbracht, ginge die Churfl. Herrschaft aus der Kirche in die neuen zubereitteten Gemächer. Nach 12 Uhr Confitirten die Churfl. Adel. Pagen. Umb 1 Uhr, halbweg 2 und umb 2 Uhr wurde zur Vesper gelautet. Und sobald die Churfl. Herrschaft in die Kirchen kamen, 1) Intonirte vor dem Altar der dritte Hof-Prediger M. Johann Andreas Lucius „Deus in Adjutorium", darauf der Chor antwortete. 2) Psalmo Beatus Vir, mit Trompeten und Heerpaucken. 3) Concert: Quantus honor. 4) Lase der Priester vor dem Altar den 84. Psalm. 5) „Nun lass uns Gott den Herrn." 6) Die Predigt so der mittlere Hof-Prediger aus dem 84. Ps. verrichtete, und ward vor dem Vater Unser gesungen „Kein Uebels muss begegnen Dir." 7) Das Magnificat mit Trompeten und Heerpaucken. 8) Ein deutsch Concert, auch des Capellmeister Albrici Compo sition,,Herr erbarme Dich doch meiner." 9) „Es woll uns Gott gnädig sein." 10) Lase der Priester die Collecta vor dem Altar. 11) Benedicamus Domino. Nach 4. uhr zogen die Wachen auf und hielten gegen 6. Uhr Sr. Churfürstl. Durchl. allein in dem Vorgemach am Kirch - Saale Mahlzeit, wobey sich befunden 1) Der Oberhoff-Marschall Freiherr von Rechenbergk, 2) Der Haussmarschall der von Mezrath, 3) der Stallmeister der von Schleiniz, 4) der Trabanten-Hauptmann Pflugk, *) Die Predigten dauerten damals gewöhnlich länger als eine Stunde. **) Am 19. October heirathete die einzige Tochter des Kurfürsten, Erdmuthe Sophie, den Markgrafen Ernst Christian von Brandenburg-Baireuth. 5) der Schweizer-Hauptmann de Magni, und verrichtete das Marschall Ambt der Unterhofmarschall Kanne. Vor Sr. Churfl. Durchl. schenkte der Kammer-Jungker der von Disskau, und schnitt der Kammer-Jungker Bernstein vor. Montag den 29. September wurde in ähnlicher Weise das Fest St. Michaelis celebriret. Es kamen dabei Compositionen von Albrici, dem churfürstl. Vicecapellmeister Christoph Bernhard und dem berühmten Giacomo Carissimi zur Aufführung. Dienstag, den 30. September wurde Auffrierung 2 Uhr Betstunde gehal ten und zwar in folgender Weise: um 1) Intonirte der Priester vor dem Altar Deus in Adiutorium, worauf der Chor antwortete. 2) Der Erste Psalm D. Cornely Beckers. 3),,Aus tiefster Noth schrey ich zu Dir." 4) Wurde vom Priester vor dem Altar abgelesen der 85. Psalm nebenst dem gewöhnlich Bussgebeth und Fürbitte wegen des Hochfürstl. Beilagers, ingleichen das Vater Unser. 5) „Es woll Unss Gott gnädig sein." 6) Collecta und der Seegen. Mittwoch den 1. Oktober fand früh 7 Uhr Gottesdienst mit Predigt, um 2 Uhr Vesper statt, wobei Kompositionen vom Kaiserl. Kapellmeister Giov. Valentini aufgeführt wurden. Donnerstag den 2. Oktober war Betstunde, Freitag den 3. Oktober früh 7 Uhr Gottesdienst mit Predigt und Nachmittags Betstunde. Sonnabend den 4. Oktober um vor. 2 Uhr bereitete wieder die Vesper zum sonntäglichen Gottesdienste Das waren fromme Zeiten! Ueber das Dirigiren katholischer Kirchenmusik nebst Bemerkungen über den Gesangsunterricht etc. Dritte Vereinsgabe des allgemeinen deutschen Cäcilien - Vereins für das Jahr 1870. Regensburg bei Friedr. Pustet. gr. 8°. XII. u. 52 Seiten. 11 Sgr. Der anonyme Verfasser geht in der Einleitung in ziemlich kräftiger und sarkastischer Weise den Uebelständen an den katholischen Kirchen in Betreff der Singchöre und der Stellung der Chordirektoren zu Leibe, und enthüllt uns ein recht trauriges Bild, in wie untergeordneter und sogar gedrückter Stellung sich Chor und Dirigent an den meisten Kirchen befinden. Die Schrift verdient schon desshalb die allgemeine Beachtung, weil sie die Schäden in so offener Weise aufdeckt und mit Schärfe und Fachkenntniss kritisirt. Wir machen hier noch ganz besonders auf dieselbe aufmerksam, da der Verfasser die Aufführung alter Gesänge stets im Auge hat und hierüber ganz vortreffliche Fingerzeige und Rathschläge giebt, die nur auf eigener Erfahrung beruhen können. Die Schrift zerfällt in die Abtheilungen: Wichtigkeit und Eigenschaften eines Dirigenten; das Probiren; Tempo und Tempowechsel; die Dynamik; die äussere Haltung des Dirigenten und sein Platz auf dem Chore; Einfluss liturgischer Vorschriften; SoloGesang; die alten Tonarten; Gesangunterricht; Geistesgegenwart und Schlusswort. Anhang 2 Seiten Notenbeispiele. Wie nothwendig all diese Vorkenntnisse einem Dirigenten sind, der die alten Werke einstudiren und aufführen soll oder will, hierzu kann folgender Fall, den mir ein Dirigent selbst erzählt hat, dienen. Ein Domkapellmeister einer grösseren Stadt, welchem die besten Kräfte zu Gebote stehen, wollte dem Drängen der Verehrer alter Musik einmal Rechnung tragen und führte eine Messe von Palestrina auf. Er selbst betrachtet die alten Werke als völlig reif für die Rumpelkammer und erzählte mir mit Genugthuung, dass seine Zuhörer nach Anhörung der Palestrina'schen Messe von ihrer Verehrung für die alten Meister gründlich geheilt waren und erklärt hätten, dass sie nimmermehr einen so schwächlichen Eindruck erwartet hätten. Dass derselbe nur durch die mangelhafte und unverständige Wiedergabe des Werkes hervorgerufen wurde, daran dachte der gute Herr freilich nicht. Hier sei übrigens noch eines Frevlers an der alten Musik gedacht, der einstmals und in manchen Provinzen noch heute des grössten Ansehens geniesst. Bei meiner letzten Anwesenheit in Breslau erkundigte ich mich angelegentlichst nach der dortigen Dombibliothek, die ihres Alters halber ganz bedeutende Schätze besitzen musste. Alle Vorgesetzten erklärten mir aber, dass nur Musikalien aus dem jetzigen Jahrhunderte vorhanden sind. Mir schien dies ganz unglaublich, bis ich von einem älteren Herrn den Kommentar dazu erhielt. Der frühere Kapellmeister am Dome, Joseph Ignaz Schnabel, wusste seine Vorgesetzten zu bestimmen, dass sie endlich einwilligten, die alte Bibliothek zu vernichten, um den neueren Werken Platz zu machen, und so wurde die ganze umfangreiche Bibliothek als Makulatur verkauft. Pohl, C. F., Archivar und Bibliothekar der Gesellschaft der Musikfreunde. Die Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates und ihr Conservatorium. Auf Grundlage der GesellschaftsActen bearbeitet. Wien 1871, Wilh. Braumüller. gr. 8°. VIII. u. 198 Seit. Ein höchst interessantes und vielleicht in der Kunst einzig dastehendes kulturhistorisches Bild entfaltet sich hier dem Leser. Eine Gesellschaft von Kunstliebhabern veranstaltet 1812 ein Wohlthätigkeitskonzert; sie erneuert diese Thätigkeit, konstituirt sich als Gesellschaft, kauft eine Bibliothek, gründet ein Kabinet für musikalische Instrumente, richtet eine Singschule ein, erweitert dieselbe nach und nach zu einem Konservatorium; hierbei nehmen die Konzerte ihren Fortlauf, theils zum Besten Anderer, theils für die eigene Kasse. Trotz der Vielköpfigkeit und der Schwerfälligkeit in der Verwaltung und in den Beschlüssen, kämpft sie sich durch, übersteht die grössten Krisen und befindet sich heute, nach etwa 58 Jahren, auf dem Punkte höchsten Glanzes: sie beschäftigt nicht nur die ersten Künstler Wiens und giebt ihnen eine gesicherte Existenz, sondern verbreitet Kunstsinn und Bildung im ganzen Lande. Herrn Pohl gebührt das Verdienst, den spröden Stoff in eine flüssige Form gebracht zu haben, welche dem Leser ein interessantes und wahrheitsgetreues Bild vorführt. Er übergeht nicht die Tage des Zerfalls und der Uneinigkeit, und wenn er auch über diese Zeiten einen Schleier zieht und den Leser mehr ahnen lässt, als mit direkten Anklagen hervortritt, so wird ihm gewiss Niemand dieses Zartgefühl zum Vorwurfe machen. Das Buch zerfällt in die Abschnitte: 1. Die Gesellschaft der Musikfreunde, ihre Entstehung und Fortgang bis auf den heutigen Tag. 2. Das Conservatorium. 3. Beilagen. Die letzteren enthalten 3 Briefe, davon einer von Beethoven, ein Verzeichniss der Mitglieder, Verzeichniss der Konzertprogramme, Verzeichniss der Künstler und Dilettanten, welche in den Konzerten mitgewirkt haben, eine kurze Uebersicht der Bibliothek und Kunstsammlung (leider zu kurz gehalten), Verzeichniss der Unterstützer und Beförderer, der Lehrer und Lehrerinnen, der Zöglinge und einen Erinnerungs-Kalender von 1812 bis 1870. Die Beilagen nehmen bei Weitem den meisten Raum ein (Seite 56 bis 198) und geben dem Werke erst jenen Werth, um ihm das wissenschaftliche Interesse zu eröffnen, denn sie liefern einen bedeutenden Beitrag zur Kunstgeschichte Oesterreichs, und zwischen den Namen und Zahlen liesst man die hohe Bedeutung heraus, welche das Kunstinstitut nicht nur für Oesterreich, sondern für die gesammte Kunstwelt in Anspruch nehmen kann. Lexikon der kirchlichen Tonkunst. Herausgegeben von P. Utto Kornmüller O. S. B. Brixen 1870, A. Weger. 8°. 495 Seiten. 2 Thaler. Der Verfasser giebt in der Vorrede die beste Kritik über sein eigenes Werk. Er sagt: „Vorliegendes Werk soll ein Versuch sein, in gedrängter Darstellung so ziemlich Alles, was den Freunden und Pflegern der kirchlichen Tonkunst zu wissen nothwendig und nützlich sei oder für sie überhaupt ein Interesse haben kann, wenigstens der Hauptsache nach vorzuführen. Ein vollständiges Lexikon zu bearbeiten, lag nicht in meinem Plane. Darum finden sich neben den ber deutendsten und neben bekannteren Compositeuren verhältnissmässig nur wenig andere Namen angeführt, und wurde nicht das Register aller Werke eines Meisters aufgenommen. Ich wollte nur ein einfaches, den gewöhnlichen Bedürfnissen Rechnung tragendes Hand- und bequemes Nachschlagebuch für minder unterrichtete Chorregenten, Schullehrer und Musikfreunde schreiben, welchen nicht gegönnt |