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160 Der Grundsatz der Gerechtigkeit: Gleichachtung Anderer mit uns.

negativ in Betracht, nur insofern, als der Grund, jemanden unter mehreren Anderen mit Rücksicht auf einen gegebenen Zweck zu bevorzugen oder nicht zu bevorzugen, keinesfalls im wertenden Subjekte liegen darf. Nur Unterschiede in den gewerteten Objekten müssen massgebend sein. Fehlt man hiergegen, läfst man sich durch parteiische Nebenmotive beeinflussen, so verstöfst man gegen die Wahrheit des Denkens. Billigkeit, kann man sagen, ist also die Pflege einer besonderen Art von Wahrheit, nämlich der, die in unser Verhältnis zu den Mitmenschen eingreift und unmittelbar ihr Wohl und Wehe berührt. Unbillig sein heifst eine Lüge des Bewusstseins von der Art begehen, dafs sie gleichzeitig die Wahrheit verdunkelt und Andern schadet.

2. Man denke sich nun die Rücksicht auf einen Zweck fallen gelassen und das wertende Subjekt mit in den Vergleich hineingezogen. Alsdann bewegt man sich auf dem Boden, auf dem wir den Erscheinungen der Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit begegnen. Gerecht sein, heifst, den Wert aller Mitmenschen untereinander und mit dem eignen wahren gleich setzen. Ungerecht sein, heifst, den Wert auch nur eines Mitmenschen unter seinen eignen stellen. Gerechtigkeit ist, mit andern Worten, die sittlich richtige Lösung der Frage, wie man Menschen als solche unabhängig von ihrer Beziehung auf irgend einen Einzelzweck werten müsse. Diese Lösung lässt sich aus den leitenden Gedanken der Personwertmoral ableiten.

In der That. Der Grundsatz der Gerechtigkeit, der so schlicht wie weittragend ist, folgt unmittelbar aus der Lehre von der sittlichen Selbstbejahung. Bin ich, was ich bin, weder dadurch, dass ich in der Meinung Anderer etwas gelte, noch dadurch, dafs ich mich in eigner Meinung über sie erhebe; liegt mein wahrer Wert vielmehr darin, dass ich dieses seelische normbestimmte Wesen bin, das hoch über seinen Zuständen und allem Äufseren steht: nun wohl, dann tragen meine Mitmenschen die gleiche Himmelsprägung. Wie ich meine Menschenwürde finde, indem ich von mir alles das abziehe, was Meinung, Stellung und zufällige Naturausrüstung aus mir macht, so finde ich die ihre, indem ich an ihnen das gleiche Subtraktionsexempel ausführe. Freilich ist es schwer, vom Wert eines Mitmenschen das abzurechnen,

Unsere Befangenheit in Ungerechtigkeit.

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was ich in Hochmut, Überhebung, Zorn, Hafs, Eifersucht, ja Liebe, Verehrung, Freundschaft in ihn hineinsehe. Es ist schwer, aus diesem Bilde die Farben auszulöschen, die sich aus meinen und Anderer befangenen Augen darüber hinziehen. Aber wieviel hehrer und reiner erstrahlt der Wert der fremden Personen in ihrem eignen Lichte. In jenem Glanze erstrahlen sie, den sie nicht als Naturwesen, sondern als Normwesen tragen. Vor mir steht ein armer Bettler, gebückt und mit der Gebärde der Demut. Seine Linke entblöfst den Kopf, zitternd streckt er die Rechte aus, seine Lippen leiern mechanische Bittworte. Das ist einer unserer Niedrigsten und Verachtetsten. Wie gering erscheint sein Dasein, wie verwunderlich, dass er es aushält. Aber sind das seine Farben? Es sind meine Farben und die der Gesellschaft. Ich ziehe sie ab; nun erst kommt sein Wert zum Vorschein. Ein ganz ander Wesen steht vor mir, ein Wesen mit Gottesprägung wie ich, eine normbegabte Persönlichkeit, bestimmt, wie ich, sich zu behaupten gegen alles Gewicht von Welt um sich und in sich. Doch wie viel schwerer ist ihm dies Gewicht zugemessen als mir! Ich überlege, was thun, ob ich ihm einen Groschen, nein, eine Mark, einen Thaler schenken soll. Aber kann ich ihm denn etwas schenken, ohne seine Würde zu verletzen? Mit jedem Geschenke gäbe ich ihm bloss Gnade. Ich wäre nur von neuem und erst recht dabei, meine Farben und die der Gesellschaft über ihn zu giessen. Achtete ich denn auf seine Würde, wenn ich ihn noch so reichlich beschenkte, wegginge und in Gedanken zusähe, wie er den Nächsten anbettelte, um wieder von dem Gnade zu nehmen? Ich unterschriebe damit gerade seine von mir gemachte Unwürde, ich sähe bestenfalls auf seine Bedürftigkeit, statt auf seinen Wert. Darum fort auch mit diesen Farben und hingesehen, so schwer es mir ankommt! Denn jetzt steht ein Richter vor mir, ein freies Wesen, an dessen Lage in 9 unter 10 Fällen die Gesellschaft und ich, was immer seine eigne Schuld sein mag, in Unterlassungssünden mitschuld sind. Löscht die Schuld aus, ihr Heutigen! Mit Armenhäusern, Volkswohlvereinen und Arbeitsnachweisstellen werdet ihr sie freilich nicht auslöschen. Damit unterschreibt ihr nur euren Schuldschein.

Doch hier spielt schon ein neuer Gesichtspunkt. Genug, wenn wir uns zunächst dazu aufraffen, Gerechtigkeit zu üben,

Schwarz, Ethik.

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Der Gerechtigkeitsgedanke in der Stoa, bei Christus,

in allen, die Menschenantlitz tragen, die gleiche Menschenwürde zu sehen. Nichts kann bei irgend einem diesen Glanz beflecken, aufser sein eignes normwidriges Handeln. Auch jenen Bettler kann kein Anderer als er selber erniedrigen. Das thut er, wenn er sich aus der Weichherzigkeit oder Gedankenlosigkeit Dritter ein Geschäft macht und bettelt, um nicht arbeiten zu brauchen, oder wenn er die erbettelten Groschen durch die Gurgel jagt, oder wenn er im stillen oder lauten auf die schimpft, die ohne Gabe vorübergehen, als habe er ein Billigkeitsrecht auf ihre kleine Münze. Nein, guter Freund; keinen Deut von dem, was Andere schon haben, kannst du nach irgend einem Titel fordern. Denn alle Habe lässt sich als der angesammelte Erfolg gröfserer Umsicht, Geschicklichkeit und Energie derer, die sie besitzen, oder ihrer Voreltern denken. Es lässt sich von Billigkeits wegen nicht verlangen, dafs die Söhne Unfähiger an dem teilnehmen, was fähigere Väter ihren Söhnen hinterlassen haben.

3. Der Gerechtigkeitsgedanke, Andere (so lange es sich nicht um Tauglichkeit zu einem Zwecke handelt), allein nach ihrer Menschenwürde zu schätzen, ist jünger als das Recht. Er drängt sich einem erst dann als notwendig auf, wenn man schon vorher zu sittlicher Selbstbejahung gelangt ist. Kein Wunder, dafs dasselbe antike System, das die sittliche Selbstbejahung so stark betont hat, auch den Gerechtigkeitsgedanken nachdrücklich hervorhebt: die Stoa. Alle Stammes- und Standesverschiedenheiten gelten den Stoïkern für gleichgültig. Noch im Sklaven und im Weibe müsse man den Menschen achten (Wundt, a. a. O. S. 292). Nicht minder stark lebt der Gerechtigkeitsgedanke in der Lehre Jesu. Stifter unserer Religion hat mehr und rechtigkeit (Personwertmoral) gelehrt. opferwillige Hingabe (Fremdwertmoral) gelehrt und gelebt, im besondern die an Gott. Aber gerade seine Aussprüche über die Nächstenliebe gehen nicht über Gerechtigkeit hinaus. Er predigt nicht „Du sollst deinen Nächsten lieben über dich selbst" (Fremdwertmoral), sondern wie dich selbst" (Personwertmoral), während wir andererseits Gott mehr als uns selbst lieben, für ihn unser Selbst verleugnen sollen. Jesus heifst uns ferner „die Feinde lieben". Wir sollen ihnen „die andere Backe hinreichen", wenn sie auf die eine schlagen,

Es ist wahr, der
Gröfseres als Ge-
Er hat selbstlose,

im Begriff der juristischen Person und der sittlichen Mission. 163

d. h. wir sollen ihrer und unserer Menschenwürde (als Gotteskinder) nie, nicht einmal im heftigsten Affekte, vergessen. Auch im Affekt sollen wir uns so beherrschen und so unparteiisch gegen den Gegner bleiben (Personwertmoral), dass wir uns stets müssen fähig denken können, ihm die andere Backe zu reichen. Es heifst endlich im Evangelium „du sollst deine ganze Gabe den Armen geben." Warum? Aus Selbsthin gabe an die Armen? Der reiche Jüngling wird vielmehr aufgefordert, Jesus zu folgen. Erst das Wort vom ungerechten Mammon giebt den Schlüssel. Die ersten Christengemeinden glaubten dies Wort so verstehen zu müssen, dafs sie kommunistisch lebten.1)

Sehr entschieden erkennt unser heutiges Recht an, dass alle Rechtsgenossen grundsätzlich gleich sind. Es hat dafür einen Begriff geschaffen, der jeder einzelnen rechtlichen Regelung vorangeht, den Begriff der (juristischen) Person. Er ist geradezu der Grundbegriff alles neueren geschriebenen Rechts. Er selber aber leitet sich aus dem ungeschriebenen Gesetze, das wir in unserem Geiste tragen, ab; nämlich aus dem Grundgesetze der Personwertmoral, d. i. aus jener Regel synthetischen Vorziehens, nach der das Wollen persönlichen Werts höher als alles Begehren von zuständlichem steht. Ohne die Norm, die hier regiert, wülsten wir niemals, wo auch nur unser eigner wahrer Wert läge. Durch sie wissen wir es und entdecken den nämlichen Wert bei unsern Mitmenschen. Damit ist ohne weiteres gegeben, dafs alle Menschen als persönliche Wesen gleich sind.

4. Hat man angefangen, auch an seinen Mitmenschen die wahre Menschenwürde und sonst nichts zu achten, so folgt daraus mehr. Nicht genug, dafs man sich der Aufgabe weiht, seine eigne normbestimmte Persönlichkeit auszuleben und ihren geistigen Stempel der Welt in sich und um sich aufzuprägen. Die Aufgabe reifst einen weiter. Sie läfst uns in Sehnsucht nach dem wahren Werte

auch bei

1) Besonders deutlich tritt der Gerechtigkeits- bezw. Billigkeitsgedanke in der fünften Bitte hervor „Vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern." D. h. Wenn wir uns im Verhältnis zu Gott etwas gegönnt wissen möchten, so ist es nur gerecht, dass wir jedem Mitmenschen, der im gleichen Verhältnis zu uns steht, das Gleiche zugestehen. Das Andere wäre Unbilligkeit und Selbstüberhebung.

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Zwang führt nicht zu wahrer Menschenwürde,

unseren Mitmenschen erglühen. Das ist das Brausen und Wehen des sittlichen Geistes, der Ergriffenheit für unsere und aller Menschen innere Wahrheit, die zu dieser Sehnsucht treibt. Untreue gegen den Normruf wäre es, wollte jemand mit dem Dienst am inneren Wert bei sich Halt machen und nicht alles thun, um wahrer Würde überall, wo er nur kann, zum Dasein zu helfen. Der tiefsittliche Gedanke der Mission mufs ihn packen und erfüllen. Wir sind alle Missionare im Dienste der sittlichen Normen, Missionare der wahren Menschenwürde. Wir schauen um uns und erblicken Gefangene in der Sinne, der Eitelkeit und des Ehrgeizes Banden. Wir schauen in die Zukunft, und ein Königsgeschlecht steht vor uns, eine Gemeinschaft freier und in ihrer Freiheit sittlich wollender Wesen.1) Das Ideal eines Reiches wahrer Menschenwürde tritt uns entgegen.

§. 17. Das Ideal eines Reiches wahrer
Menschenwürde.

1. Der Gedanke eines Reiches wahrer Menschenwürde ist das Parallel-Ideal zu dem der sittlichen Selbstvervollkommnung. Er trägt die Anweisung, wie er sich verwirklichen läfst und wie nicht, in sich. Nichts widerspräche ihm mehr, als der Versuch, ihn durch Zwang zu verwirklichen. Zwangsmittel können alles mögliche Andere bewirken, wahre Menschenwürde können sie nicht schaffen. „Menschenwürde wollen" und „Zwangsmittel anwenden", heifst, was man im Vordersatze anerkannt hat, im Nachsatze wieder aufheben.

Das leuchtet so ein, dafs man sich wundern mufs, es oft vergessen zu sehen. Worin findet doch jeder seine eigene Menschenwürde? In der Beherrschung der Welt in sich und in der Unabhängigkeit vom Druck der Welt um ihn, d. i. von allem, was als ein mehr äufseres auf seinem mehr inneren Sein lastet. Das erste bedeutet, dafs er sich von dem Zwange befreit hat, mit dem ihn seine sinnliche Natur zu umstricken droht. Das zweite bedeutet, dafs er den einbildenden Eigenwahn los wird, seinen Wert im Kontrast gegen fremden Minderwert zu

1) Vgl. STAMMLER, Wirtschaft und Recht, S. 612.

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