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376 Das Staatswesen regieren ist Aufgabe des obersten Berufs.

mittelbaren geistigen Zwecken stehen höher oder sollten in der öffentlichen Schätzung höher als die stehen, die dem leiblichsinnlichen Leben dienen. Das heifst mit nichten, dafs die Personen, die die erste Art von Berufen ausüben, mehr als die Beflissenen der eigentlichen Erwerbszweige gelten. Jene Personen dürfen weder vor dem Recht mehr als die übrigen bedeuten; noch kann der Unterschied der Berufe den Sinn haben, dafs der erwerbende Stand politisch oder materiell gedrückt wird. In ihn einzutreten, mufs eignen Reiz haben und behalten. Ganz richtig hat man daher denen, die diesen Stand ergreifen, die Möglichkeit geboten, in freiem Verdienst vielleicht mehr zu errwerben, als die staatliche Gehaltzahlung den Vertretern der höheren Berufe sichert. Nur darf der freie Erwerb durch seine mittelbaren oder unmittelbaren Folgen nicht das Ganze der sittlichen Gemeinschaft schädigen. Wo dies geschieht, sind die Einzelnen im Interesse des Ganzen gesetzich zu beschränken. Vorbeugende und sichernde Mafsregeln. des Staats müssen dann eintreten, die die Staatsglieder an den Sinn des sozialen Lebens mahnen. Impersonalismus, nicht altruistischer oder gar egoistischer Individualismus ist der Sinn.

So viel über die höhere Wertung der Berufe, die dem Kulturfortschritt dienen, denen gegenüber, die auf Erwerb zielen. In dieser Wertung drückt sich die moralische Vorzüglichkeit des impersonalen Thuns vor dem altruistischen bezw. egoistischen Handeln aus. Noch höher wertet sich die Arbeit für die (sittliche) Regierung und Erhaltung des Staatswesens. Darin, dafs sie so hoch geschätzt wird, spiegelt sich ein anderer ethischer Vorrang. Es ist der, den das unmittelbare Eintreten für das sittliche Ganze vor dem Betrieb der einzelnen Kulturzwecke hat (ausgenommen den Kulturzweck der Sittlichkeit selbst; vgl. nachher). Die Hingabe an soziale Gesamtheiten, die von Natur in den Menschen liegt, ermöglicht den letzteren ja erst, die Liebe zu allen denkbaren sittlichen Aufgaben in einer Gesinnung zusammenzufassen. In jenen sozialen Gesamtheiten schauen sie die Sittlichkeit in einer Fülle und Vielseitigkeit verwirklicht an, in der sie sich an einem einzelnen Individuum nicht darstellen kann. Deshalb giebt sich ihr Wille, den schon die Vorstellung menschlicher tota für sich bewegt, erst recht an die Vorstellung sittlicher Gemeinwesen gefangen. Das Bedürfnis nach eigner moralischer Ganz

Der soziale Wert sittlichen Familienlebens.

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heit und die Hingabe an grofse menschliche Ganze vereinigen und durchdringen sich. „Immer strebe zum Ganzen; und kannst du selber kein Ganzes werden, als dienendes Glied schliefs an ein Ganzes dich an!" drückt Schiller beides zusammen aus. Wer sich als Glied solcher Ganzen fühlt, will nicht für sich, nicht für andere oder alle einzelnen Glieder des Ganzen, sondern für das Ganze selbst, Impersonalismus und nicht Individualismus!

aus

Demnach versteht sich, dafs der sittliche Dienst am Staatsganzen politisch noch mehr als die einzelnen Kulturthätigkeiten gilt. Sie sind gleichsam die Zweige, Blüten und Früchte. Das organisch geregelte Ganze aber ist der tragende Baum, aus dem die Zweige, Blüten und Früchte hervorkeimen. Eine Kulturthätigkeit, die höchste, ist beim ersten Anblick genommen. Sie ist in ihrer Weise mit der Arbeit am Staatsganzen ebenbürtig und richtet sich sozusagen auf die treibende Entelechie (vgl. S. 395), durch die der Baum, die Zweige, Blüten und Früchte erst leben. Es ist das inaltruistische Streben, Menschen zum reinen Gefallen am synthetischen Vorziehen zu erwecken. In diesem Streben ist die Sittlichkeit selbst das Kulturziel, sei es, dafs man sie als Liebe zur inneren Wahrheit in junge Seelen einpflanzt, sei es, dafs man sie in Erwachsenen mit der Kraft des Sinneswandels erneuert. Der Dienst am sozialen Ganzen geht auf das.äufsere höchste Gut. Jenes andere Streben geht auf das innere höchste Gut, auf das Apriori des Staatslebens. Es geht darauf, die rechte Gesinnung zu erwecken. Bestände solche Gesinnung schon überall, ihre Träger würden ohne weiteres ein sittliches Staatswesen gründen und über der Arbeit an ihm alles andere als Mittel und Vorstufe empfinden. Ohne ethisch erweckte Gesinnung mag mancher freilich auch soziale Hingabe üben; aber ihm bleibt unklar, wie sie sich zu anderm selbstlosen Thun verhält. Er sieht nicht ein, dafs in jener Hingabe unsere höchste Aufgabe liegt. Ihm fehlt mit der rechten Gesinnung das sittliche Apriori, das ihm die genannte Einsicht ermöglicht. Der sittliche Geist fehlt, den Vorrang des sozialen vor anderm Thun zu erkennen. Wie jedoch den sittlichen Geist am besten wecken? Genaueres Zusehen zeigt, dafs er sich am besten innerhalb sozialer Ganzer selbst weckt, die schon sittlich geregelt sind, solcher Gemeinwesen also, die die Einehe schützen, das Familienleben sichern, die durch Schulen bilden, durch

378 Der Gemeinsinn, eine Form des öffentlichen Gewissens.

Rechtspflege ethisch erziehen. Wird doch in allen diesen Einrichtungen an Menschenseelen gepocht, dafs sie den Himmel der Sittlichkeit in sich aufnehmen. Am meisten im sittlichen Familienleben. Die Summe der Familien ist die eigentliche Kirche, die Kirche im Staat und für den Staat. Sie sind der rechte Boden, um die Sittlichkeit selbst zu pflegen, d. i. um jenes höchste subjektive Ideal, die echt ethische Gesinnung, in die Seelen zu bringen. Hier hat man zu dieser inaltruistischen Aufgabe den nächsten Beruf und das mächtigste Mittel. Die stärksten aller Naturtriebe, die Liebe zwischen Mann und Weib und die Liebe zwischen Eltern und Kindern, öffnet die Seelen wie von selbst und macht für die Sittlichkeit der Einen die Andern empfänglich. So schafft das Familienleben dem Staat die Voraussetzung, den sittlichen Geist, oder es sollte ihm diese Voraussetzung schaffen. Andererseits sichert, pflegt und trägt wieder der Staat das Familienleben. Dadurch wird die Hingabe für das soziale Ganze erst recht und von neuem zur Krone sittlichen Thuns. Ein unlösliches Wechselverhältnis. Beides „mufs ineinander greifen, eins durch das andere gedeihen und reifen."

5. Welche Weihe sowohl am sittlichen Familienleben wie am unmittelbaren Dienst für das sittliche Ganze haftet, weiss die öffentliche Meinung sehr klar. Sittliches Familienleben gilt ihr seit Alters als die Wurzel eines gesunden Staatslebens, Wird jenes faul, so verfällt in der That auch dieses. Bei den Wohnungsverhältnissen, unter denen unsere ärmere Bevölkerung seufzt, mufs die Reinheit des Familienlebens leiden. Eine der segensreichsten Bestrebungen, getragen von echt sittlicher Einsicht, ist es daher, wenn man hier helfend zugreift. Andererseits der Tod für das Vaterland bedeutet, wie die öffentliche Meinung anerkennt, die gröfste sittliche That. Mit Recht. Wer für sein Land stirbt, opfert sich nicht für dieses oder jenes Einzelgut: er giebt sich für die Fülle der Sittlichkeit hin, die im Staat Leben gewonnen hat oder Leben gewinnen will. Nicht nur hierin zeigt sich, wie sittlich richtig das öffentliche Gewissen über ethische Rangverhältnisse empfindet. Im gleichen Geiste urteilt es immer, sobald sich's darum handelt, für soziale Ganze einzutreten oder nicht einzutreten. Es nimmt dann eine eigne, besondere Form, die des Gemein sinns an. In den Äufserungen des Gemeinsinns giebt sich das öffentliche

Das Grundaxiom des Impersonalismus.

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Gewissen insofern kund, als es den Regungen des Gemein triebs (d. i. eben den Impulsen der Hingabe an soziale Ganze) folgt und sie unterstützt. Dafs solcher Gemeinsinn in einem Staate lebt, bedeutet Reinheit und Richtigkeit des ethischen Urteils. Spekulierende Philosophen mögen darüber streiten, welches das höchste (äufsere) sittliche Gut ist. Im gesunden öffentlichen Gewissen ist die Frage längst entschieden. Indem es in Angelegenheiten des Staatswohls in allen Zeiten und Ländern die Form des Gemeinsinns annimmt, erzieht es durch sein Lob und seinen Tadel die Einzelnen zum rechten sittlichen Verhalten. Es erzieht sie dazu, in der sozialen Gemeinschaft, die sie eint, den Wert aller Werte zu sehen.

6. Man sieht, wie viel der Gegensatz von Individualismus und Impersonalismus bedeutet.1) Anders ist ein Staatswesen zu regieren, wenn man den Sinn des sozialen Lebens in den Einzelnen, anders, wenn man ihn im Ganzen selbst sieht. Das Altertum hat wesentlich impersonale Politik gemacht. Den Gedanken des Impersonalismus hat schon Plato ausgeprägt; dies, vielleicht in der grofsartigsten Weise, die es überhaupt giebt, in seinem „Staat“. Jünger ist der Gedanke des Individualismus. Insbesondere seit Rousseau ist er bald in seiner egoistischen, bald in seiner altruistischen Form immer mehr hervorgetreten. Dietzel, einer unserer führenden Nationalökonomen, nennt beide Prinzipien, das des Individualismus und das des Impersonalismus,2) gleich berechtigt. Unter „Individualismus“, erklärt er, „ist die Gesamtheit der Gesellschaftstheorien

1) Dem Individualismus steht nichts über der menschlichen Persönlichkeit als solcher. Er giebt ihr unmittelbar einen einzigartigen Wert. Der Impersonalist dagegen schätzt das menschliche Dasein sittlich in mittelbarer Weise ein. Erst dafs Menschen, jeder in seiner eigenen Art, Träger (Sittlichkeit) und Hervorbringer (Kunst, Wissenschaft) ideeller Güter sind, macht nach ihm ihr Leben wertvoll und für die sittlichen Gemeinwesen, d. i. für die sozialen Verkörperungen von Recht, Kultur und Sittlichkeit, kostbar.

2) D. sagt dafür „Sozialismus“. Vgl. Handwörterbuch für Staatswissenschaften, Artikel „Individualismus“, in dem er den Ausdruck wie folgt erläutert: „Heute gilt Sozialismus und Individualismus fälschlich für gleich. In Wahrheit besteht eine Wesensgleichheit zwischen Liberalismus und Kommunismus. Die Namen und Titel wechseln, aber der Grundgegensatz waltet fort und fort, der letzte geschichtliche Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Individualprinzip und Sozialprinzip." Die Citate des Textes sind aus demselben Artikel entnommen.

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Es steht über dem individualistischen Axiom.

zu verstehen, welche auf das Individualprinzip gebaut sind. Individualprinzip, das ist das sozialphilosophische Axiom, dafs das Individuum Selbstzweck sei, die sozialen Lebensformen Familien, Genossenschaften, Staaten, Staatsverbände mit ihrer Religion, ihrem Recht, ihrer Sittlichkeit und Sitte dienende

Mittel, welche durch den Willen des Individuums und um seinetwillen entstehen, bestehen und sich wandeln. Den logischen Gegenpol des Individualprinzips bildet das Prinzip des Impersonalismus, d. i. das sozialphilosophische Axiom, dafs das Individuum dienendes Mittel ist, Organ der sozialen Lebensformen, welche Selbstzweck sind". Die dogmatische Kritik, fährt Dietzel fort, sei wehrlos gegenüber diesen Prinzipien, denn eine logische Antinomie liege vor. „Als gleichwertige Axiome, welche nur ein subjektives Für-wahr-Halten, keinen Beweis zulassen, stehen sie sich in ewiger Feindschaft gegenüber. Die Vernunft zwingt uns, entweder in jenem oder in diesem den letzten Schlufs sozialer Weisheit zu suchen. Aber sie sagt uns zugleich, dafs die Wahl nur gestellt, nicht vollzogen werden kann, d. h. nicht auf Grund eines der reinen Vernunft entstammenden Akts. Wir sind Impersonalisten und Individualisten, wie wir Theïsten und Atheïsten sind, nicht deshalb, weil wir das Dasein Gottes beweisen könnten oder beweisen könnten, dass er nicht ist, sondern weil wir entweder glauben oder nicht glauben können, weil unsere praktische Vernunft so oder so entscheidet. So lange um die Gottesidee gestritten wird, so lange wird das Prinzip des Impersonalismus, welches bis zu Gott hinaufreicht, mit dem Individualprinzip kämpfen, welches auf Erden haftet, im Gebiet des Greifbaren und Sichtbaren bleibt."

Vieles an dieser Schilderung ist richtig. Beide Prinzipien gründen in der menschlichen Natur, nämlich beide (abgesehen von psychologischen Verwechslungen vgl. S. 371) in den Normen des synthetischen Vorziehens. Das eine entspricht der obersten Idee der Personwertmoral, das andere der obersten Idee der Fremdwertmoral. Gleichwertig sind sie aber nicht. Wie lauten doch die Normen unseres synthetischen Vorziehens? „Das Wollen von Personwerten steht über dem Wollen von Zustandswerten, und das Wollen von Fremdwerten steht über dem Wollen von Eigenwerten." Nun wohl, hierin ist klar ausgesprochen, dafs die Fremdwertmoral der Personwertmoral, eben

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