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schließt; desto mehr wird die Vernunft unter den Menschen herrschend werden und sie von den Fesseln des blinden Naturtriebes befreien; desto kleiner muß der Einzelne sich im großen All fühlen, aber zugleich um so mehr empfinden, daß es Thorheit ist, sich egoistisch von diesem All abzusondern, daß seine Bestimmung ist, dienend und liebend in dieses All aufzugehen. „In verborgnem Lauf“, im Verborgenen wirkend, ohne daß man eure Führung ahnt. „Zuleht, am reifen Ziel der Zeiten" bezeichnet die höchste erreichbare Stufe der Entwickelung der Menschheit; das „jüngste“ Menschenalter steht also für: das lezte, späteste, wie in dem Ausdruck: der jüngste Tag. Hat der menschliche Geist dereinst nach allen Seiten hin den Zusammenhang der Dinge erforscht, hat er durch unzähliger Einzelnen Bemühungen über die Hauptfragen und Räthsel der Natur und Geisteswelt Licht verbreitet: so bedarf es nur eines großartigen dichterischen Geistesschwunges, einer „glücklichen Begeisterung" um nun in einem einzigen beseligenden Ueberblick das Ganze zu überschauen und sich auf eine Höhe zu schwingen, die zugleich der Gipfelpunkt der Kunst und der Wissenschaft ist, worauf Schönheit und Wahrheit, Cypria und Urania, als ein und dasselbe Wesen dastehen.

Str. 28 (V. 433-442). Diese Strophe, die in den Schlußvers der vorhergehenden („Und in der Wahrheit Arme wird er gleiten") weiter ausführt, stellt die höchste Stufe menschlicher Entwickelung dar, worauf Str. 5 (V. 54-65) schon voraus hinwies. Die Schönheit, Cypria, die dort mit abgelegter Feuerfrone, in mildern Farbenglanz gehüllt, vor dem noch ungereiften Menschen stand, die zum Kinde ward, daß Kinder sie verständen, steht jezt vor dem mündig gewordenen, wieder „umleuchtet von der Feuerkrone, entschleiert", in ihrer wahren Gestalt als Urania. Der „münd'ge Sohn" ist offenbar der Mensch am reifen Ziel der Zeiten" (V. 429), in dem sich

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höchste Dentkraft und höchster Dichterschwung vereinigen. An den etwas dunkel ausgedrückten Versen:

So schneller nur von ihm erhaschet,

Je schöner er von ihr geflohn!

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haben sich die Interpreten abgemüdet. Die Emendation „von ihr“ (statt „von ihm“), die man für den ersten Vers vorgeschlagen, ist schon aus dem Grunde ganz unstatthaft, weil der abgekürzte Participialfaz „So schneller — erhaschet“ grammatisch sich nur an den Nominativ Cyyria oder Urania anschließt. „Ihm“ und „er“ können nicht, wie Borberger annimmt, auf den so weit zurückliegenden Ausdruck der Geist" in V. 410, sondern nur auf den „münd'gen Sohn" in V. 435 bezogen werden. Der Sinn der beiden Verse dürfte aber nur der in der vorigen Strophe weiter ausgeführte Gedanke sein, daß der zur höchsten Reife gelangte Mensch um so eher Urania erhascht, d. h. um so schneller die Wahrheit schaut und ihren Anblick erträgt, je eifriger er vorher sie meidend, der Cypria, d. h. der in den Schleier der Schönheit verhüllten Urania nachgestrebt. Jezt, wo er die Identität beider erkennt, staunt er voll süßer Ueberraschung, wie einst Telemach staunte, als er seinen Führer Mentor plötzlich zu „Jovis Tochter" Minerva sich verklären sah. Borberger weist richtig darauf hin, daß bei dieser Vergleichung der Dichter nicht sowohl Homer, als den Schluß der ihm wohlbekannten Aventures de Télémaque von Fenelon im Sinne hatte.

Str. 29 (V. 443-449). Beginn des Schlußtheils, der die Künstler ermahnt, ihrer Würde und ihrer Pflichten einge= denk zu bleiben. Wie an manchen andern Stellen des Gedichtes, so zeigt sich auch hier in V. 446 („Der Dichtung heilige Magie"), daß Schiller bei der Kunst stets vorzugsweise an die Poesie dachte. Von der Kunst, sagt er, ist die Würde der

Menschheit abhängig; wird die Kunst unedel und gemein, so sinkt die Menschheit; hebt sich die Kunst, so steigt die Menschheit. Der Weltenmeister bedient sich der Dichtkunst zur Erziehung des Menschengeschlechts, zur harmonischen Entwickelung aller seiner Anlagen. Der von Gözinger aus den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen angezogene Abschnitt steht mit den Versen des Dichters eher im Widerspruch, als im Einflang. Er lautet: „Der Römer des ersten Jahrhunderts hatte längst schon die Kniee vor seinen Kaisern gebeugt, als die Bildsäulen noch aufrecht standen; die Tempel blieben dem Auge heilig, als die Götter längst zum Gelächter dienten, und die Schandthaten eines Nero und Commodus beschämte der edle Styl des Gebäudes, das seine Hülle dazu gab." Also die Menschheit konnte tief sinken ungeachtet der fortdauernden Einwirkung einer würdevollen Kunst. V. 445 lautete ursprünglich:

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Sie finkt mit euch! Mit euch wird die Gesunkene fich heben!

Str. 30 (V. 450-457) und Str. 31 (V. 458-481). Fortgesezte Ermahnungen an die Künstler, wie sich deren auch im 9. Briefe über die ästhet. Erziehung des Menschen finden, 3. B.: der Künstler ist zwar der Sohn der Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr Günstling ist. Eine wohlthätige Gottheit reiße den Säugling bei Zeiten von der Mutter Brust, nähre ihn mit der Milch eines besseren Alters und lasse ihn unter fernem griechischen Himmel zur Mündigkeit heranreifen. Wenn er dann Mann geworden ist, so kehre er, eine fremde Gestalt, in sein Jahrhundert zurück, aber nicht um es mit seiner Erscheinung zu erfreuen, sondern furchtbar, wie Agamenons Sohn, um es zu reinigen ... Wie verwahrt sich der Künstler vor den Verderbnissen der Zeit, die ihn von allen Seiten umfangen? Wenn er ihr Urtheil verachtet.

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Er blicke aufwärts nach seiner Würde und dem Gesez, nicht niederwärts nach dem Glück und Bedürfniß . . . So wie die edle Kunst die edle Natur überlebte, so schreitet sie derselben auch in der Begeisterung, bildend und erweckend, voran. Ehe noch die Wahrheit ihr siegendes Licht in die Tiefen der Herzen sendet, fängt die Dichtungskraft ihre Strahlen auf, und die Gipfel der Menschheit werden glänzend, wenn noch feuchte Nacht in den Thälern liegt." Str. 30 zunächst fordert von der Dichtkunst, daß sie ein Hort der von der Welt verfolgten Wahrheit sei. Dann wird in Str. 31 zuerst die freie Wirksamkeit des ächten Dichters betont, der nur nach Schönheit streben, seinen Blick fest auf dieses Ziel richten („mit festem Angesicht“) und nicht zugleich andre Zwecke, z. B. die Förderung der Moralität, in's Auge faffen soll („Um andre Kronen buhlet nicht“). Schiller führt in einem Briefe an Körner die ersten Verse dieser Strophe in folgender Form an:

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Der Freiheit freie Söhne,

Erhebet euch zur höchsten Schöne,
Um andre Kronen buhlet nicht!

und schickt ihnen die Bemerkung voran: „Der Dichter, der sich nur Schönheit zum Zweck sezt, aber dieser heilig folgt, wird am Ende alle andere Rücksichten, die er zu vernachlässigen schien, ohne daß er's will oder weiß, gleichsam zur Zugabe mit erreicht haben; da im Gegentheil der, welcher zwischen Schönheit und Moralität, oder was es sonst sei, unstät flattert oder um beide buhlt, leicht es mit jeder verdirbt." - "Die Schwester, die euch hier verschwunden", kann doch wohl nur die Wahrheit sein, und zwar die noch neben der Schönheit stehende, noch nicht mit ihr zusammenfallende Wahrheit. Sie und die Schönheit werden hier einem von Str. 28 freilich etwas ab

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weichenden Bilde als Schwestern*) dargestellt, und beide als Töchter Urania's, die Wahrheit und Schönheit in sich vereinigt. Die Lehre Fern dämm're schon in eurem Spiegel u. s. w." hatte Schiller damals bereits selbst in seinem Don Carlos befolgt. Den schwungvollen Ausklang des Ganzen bildet eine Ermahnung an die Künstler zu vereintem, auf Ein Ziel gerichteten Wirken. Des hierbei vom Regenbogen entlehnten prächtigen Bildes bediente sich Schiller gern; vgl. z. B. den Schluß der Huldigung der Künste:

Und wie der Fris schönes Farbenbild

Sich glänzend aufbaut aus der Sonne Strahlen,
So wollen wir mit schön vereintem Streben
Der hohen Schönheit sieben heil'ge Zahlen,
Dir, Herrliche, den Lebensteppich weben -

und in den Briefen Julius an Raphael: „wie sich im prismatischen Glase ein weißer Lichtstreif in sieben dunklere Strahlen spaltet, hat sich das göttliche Ich in zahllose empfindende Substanzen gebrochen. Wie sieben dunklere Strahlen in einen hellen Lichtstreif wieder zusammenschmelzen, würde aus der Vereinigung aller dieser Substanzen ein göttliches Wesen hervorgehen." Ueber den ganzen Schluß bemerkt Schlegel: „So hoch der Dichter sich auch vorher in einzelnen Strophen geschwungen haben mag, so hat er doch für den Beschluß noch etwas Höheres aufzusparen gewußt. Alles Vorhergesagte vereinigt sich hier wie in einem Brennpunkte. Dies ist gleichsam das Band, das die ganze Rhapsodie zusammenhält. Man sieht den Sänger schon nah

*) Vgl. Hoffmeister, Nachlese IV, S. 149: „Nichts ist bekannter und nichts gereicht der gefunden Vernunft mehr zur Schande, als der unversöhnliche Haß, die stolze Verachtung, womit Fakultäten auf freie Künste heruntersehen und diese Verhältnisse werden forterben, bis sich Gelehrsamkeit und Geschmack, Wahrheit nd Schönheit als zwei versöhnte Geschwister umarmèn.“

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