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Geschwisterliebe einer Antigone, der aufopfernden Gattenliebe 1799. einer Alcestis gewiß zugleich das Ideal der Menschheit erblickt, wenn anders unter weiblicher Idealität nicht blos cine idealistische Schwärmerci, eine objekt- und thatenlose Tugend, eine pflichtenlose Liebe zu verstehen seyn soll. Etwas fehlt den antiken Weibern freilich: aber dieses Etwas ist ein Anderes und Lieferes, als die Geschlechtsliebe, so verklärt dieselbe auch von den modernen Dichtern behandelt worden seyn mag.

Als ein inhaltloses Abstraktum aber erschien einem der durchdringendsten Geister unsrer Zeit Schillers Thekla. „Thekla ist ganz und gar nur die tragische Gurli," schrieb Rahel; * „beide ohne Knochen, Muskeln und Mark; ganz ohne menschliche Anatomie; so bewegen sie sich auch, wo gar keine menschlichen Glieder sind. Mir aber zum Erstaunen mit dem Beifall des ganzen deutschen Publikums... Eben daran ergößen sich die Leute, diese bei natürlicher Gliederung nicht hervorzubringenden Bewegungen zu sehen, und bei diesem ihrer Moral schmeichelnden Schauspiele der gesunden menschlichen Organisation zu vergessen."

Unsre Kunstkritik muß zu diesem harten Urtheil eigentlich ja sagen; aber unsre Nationalität, nicht nur die deutsche, die ganze germanisch e, kann es nicht. So weit unser Stamm reicht, d. h. in der ganzen Christenheit, wird diese Episode des Wallenstein bewundert. „Gewiß, ihrem Gehalte nach," sagt die deutsche Kritik, „gehört sie zu dem herrlichsten, was je ein in die Seelenschönheit Eingeweihter veröffentlicht hat. Diese unglückliche Liebe hat schon tausend Herzen glücklich gemacht. Immer von neuem beleben sich Mar und Thekla zum Liebesund Herzensideal für jedes nachwachsende Geschlecht." **

* II, 67, 2. Dezember 1812.

** Hoffm. III, 51.

Schwab, Schillers Leben.

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1799.

Diese gescholtene Unnatures ist doch wieder relative, es ist deutsche Natur; denn welcher Deutsche hat nicht so geliebt, und Solches geliebt, und kann es bereuen? Auch der deutsche Lied kann nicht anders, er muß sagen: „Die ganze Verwerflichkeit der düster verworrenen Plane spiegelt sich in dieser reinen Liebe und wahren Natur. Mar und Thekla stellen in ihrem reinen Kreise die edle, schöne Menschlichkeit selbst dar, wie sie ein Bestandtheil des innern Wesens unsres Dichters war."*

So unorganisch also im Drama und so unleiblich an sich dieses Liebeszwischenspiel seyn mag: wir wollen es im Wallenstein dulden, wir müssen es lieben, und es wird das herrliche, objektive Lebensbild des ganzen Stückes so wenig, als die Schicksalsidee dieß thut, uns verkümmern.

Man denke sich nur einen Krieg, um das Divinatorischwahre dieser mächtigen Tragödie in elektrischen Schlägen zu empfinden. Selbst jene Rahel, deren fünfsinniger Realismus fich gegen die Geistergestalt und Geisterstimme Thekla's, Augen und Ohren verschloß, griff im Kriegsjahr 1809 zum Wallens stein, der drei Tage auf ihrem Lische gelegen. Und als sie ihn wieder gelesen hatte, rief sie aus: „Wie paßt jezt jedes Wort, jede Tragödie in der Tragödie! Wie versteh' ich jezt Welthändel und Dichter erst! Es giebt großartigere Geistesschwingungen; was einen zu bedenken zwingt, daß von je die Welt in Gährung stand; und nicht schlecht hat der Dichter den um uns noch wüthenden dreißigjährigen Krieg gegriffen!“ **

In den frühern Stücken des Dichters zerbrach das Objekt unter den Händen des Subjekts. Der Wallenstein aber

Bei Hoffm. III, S. 45.

** Rahel I, 416 f. den 9. Mai 1809 (an Schillers Todestag).

ist so objektiv, als ein Stück Schillers es seyn kann, ohne kalt 1799.
zu seyn. Ein Strahl seiner Subjektivität bricht durch alle seine
Dramen: aber das ganze Licht seiner Persönlichkeit erwärmt,
durchleuchtet und durchschimmert den Wallenstein; eben da-
durch wird er unsterblich seyn, und ein edler Dichter aus Weis
mars Schule rief nicht umsonst dem Vereine für Schillers
Denkmal zu:

Soll dieses Maal von ew' ger Dauer seyn,
So mauert in den Grund den Wallenstein.

Literarische Berührungen Schillers.

Von seinen Schöpfungen auszuruhen, wollen wir uns 1795

bis

nach unsres Dichters gelehrten und häuslichen Verhältnissen 1799.

in dieser Zeit umsehen. Die literarischen Antipathien desselben haben wir großentheils aus den Xenien kennen gelernt; über freundlichere oder doch gemischte Beziehungen giebt uns sein Briefwechsel Aufschluß.

Voran begegnen uns hier Herder und Jean Paul. Des erstern Ansichten von Philosophie und Poesie bildeten eine Scheidewand zwischen ihm und Schiller, die nur wenige Pforten für den geistigen Verkehr offen ließ.. Der leßtre fand, daß er bei Herders Schriften immer mehr, was er zu besißen glaubte, verliere, als daß er an neuen Realitäten dabei gewänne. Jener wirkte auf Schillern dadurch, daß er immer aufs Verbinden ausging und zusammenfaßte, was andre trenmehr zerstörend als ordnend. In der Poesie schien ihm besonders seine unversöhnliche Feindschaft gegen den Reim

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* Briefwechsel mit Göthe II, 52 f.

1795 viel zu weit getrieben. Zwar glaubte auch Schiller, * daß der bis Reim mehr an Kunst erinnere als die antiken Sylbenmaße,

1799.

daß es eine Unart desselben sey, fast immer an Menschenhand, an den Poeten (den Macher) zu erinnern; aber dennoch involvire jenes Erinnern an Kunst, wenn es nicht eine Wirkung der Künstlichkeit oder gar der Peinlichkeit sey, eine Schönheit; ja mit dem höchsten Grade poetischer Schönheit (in welche naive und sentimentale Gattung zusammenfließen) vertrage sich der Reim recht gut. Was nun Herder dagegen aufbrachte, schien ihm weit nicht bedeutend genug. Der Ursprung des Reims mochte noch so gemein und unpoetisch seyn: Schillers Meinung war, man müsse sich an den Eindruck halten, und dieser lasse sich durch kein Raisonnement wegdisputiren. An Herders Confessionen über die deutsche Literatur verdroß ihn auch, noch außer der Kälte für das Gute, die seltsame Art von Toleranz gegen das Elende. „Es kostet ihn,“ klagt jener, „eben so wenig, mit Achtung von einem Nicolai, Eschenburg u. A. zu reden, als von dem Bedeutendsten, und auf eine sonderbare Art wirft er die Stolberge und mich, Kosegarten und wie viel Andre in Einen Brei zusammen. Seine Verehrung gegen alles Verstorbene und Vermoderte hält gleichen Schritt mit seiner Kälte gegen das Lebendige." In Schillers Widerwillen gegen Herders Metakritik stimmte sogar Göthe ein. Die Apostel und Jünger dieses neuen Evangeliums behaupten," sagt er spottend, ** „daß in der Geburtsstunde der Metakritik der Alte zu Königsberg auf seinem Dreifuß nicht allein paralyfirt worden, sondern sogar wie Dagon herunter und auf die Nase gefallen sey.“

* Briefwechsel mit Humboldt 426 ff. ** Briefwechsel V, S. 65.

Ueber Jean Paul haben wir schon ein Urtheil in den 1795

bis

Xenien gesehen. Die erste geistige Bekanntschaft mit demselben 1799. machte Schiller durch den Hesperus, den ihm im Sommer 1795 Göthe zugeschickt hatte. „Das ist ein prächtiger Patron, der Hesperus," schreibt jener zurück, den Sie mir neulich schickten. Er gehört ganz zum Tragelaphengeschlecht [zum Geschlechte der Bockshirsche), ist aber dabei gar nicht ohne Imagination und Laune, und hat manchmal einen recht tollen Einfall, so daß er eine lustige Lekture für die langen Nächte ist." Göthe freute sich darüber, daß „Schillern der neue Tragelaph nicht ganz zuwider sey: es ist wirklich Schade für den Menschen, er scheint sehr isolirt zu leben, und kann deßwegen bei manchen guten Partien seiner Individualität nicht zu Reinigung seines Geschmacks kommen. Es scheint leider, daß er selbst die beste Gesellschaft ist, mit der er umgeht." Den Mann selbst, als er nach Weimar und Jena gekommen, fand Schiller, wie er ihn erwartet: „fremd, wie einer, der aus dem Mond gefallen ist, voll guten Willens, und herzlich geneigt, die Dinge außer sich zu sehen, nur nicht mit dem Organ, womit man sieht." (28. Juni 1796.) Auch Göthe hatte ihn für „ein complicirtes Wesen, das man bald zu hoch, bald zu niedrig anschlage," erklärt.

Beider Dichter Urtheile lauten, wie man sieht, ziemlich oben herab. Die zwei Meister, schon fast in der Xeuienlaune, meinten bereits, Herrn der literarischen Republik zu feya und Ehren und Würden in ihr vergeben zu können. Mit ihrer Constituirung durch die Kunst beschäftigt, erkannten sie eine Größe nicht, die zu dieser ausschließlichen Verfassung nicht passen wollte.

* An G. 12. Juni, G. an S. 18. Juni 1795.

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