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,,strenge Freund“ (V. 15) ist einer der von Schiller im 26. Briefe über die ästhetische Erziehung geschilderten Sittenrichter, die dem Zeitalter nicht bloß den falschen, sondern auch den aufrichtigen Schein verargen, d. h. nicht nur den heuchlerischen logischen Schein, den man mit der Wahrheit verwechselt, sondern auch den arglosen ästhetischen, den man von der Wahrheit und Wirklichkeit unterscheidet. „Sie greifen,“ sagt Schiller, „nicht bloß die betrügerische Schminke an, welche die Wahrheit verbirgt, welche die Wirklichkeit zu vertreten sich anmaßt; sie ereifern sich auch gegen den wohlthätigen Schein, der die Leerheit ausfüllt und die Armseligkeit zudeckt, auch gegen den idealischen, der eine gemeine Wirklichkeit veredelt. Die Falschheit der Sitten beleidigt mit Recht ihr strenges Wahrheitsgefühl; nur Schade, daß sie zu dieser Falschheit auch schon die Höflichkeit rechnen. Es mißfällt ihnen, daß äußerer Flitterglanz so oft das wahre Verdienst verdunkelt; aber es verdrießt sie nicht minder, daß man auch Schein vom Verdienste fordert, und dem innern Gehalte die gefällige Form nicht erläßt.“ Sie halten es für nöthig, sich bei Zeiten an den Anblick der nackten Wirklichkeit zu gewöhnen, damit man dann um so leichter fich in die Strenge des Sittengeseßes und die Härte der Nothwendigkeit füge. Darauf erwiedert nun der Dichter: Eine so kalt realistische Ansicht streift dem Leben alles Erfreuende, alles Reizende ab. Bei einer solchen Gesinnung ist Liebe unmöglich, deren Begeiste= rung ja nur durch Ideale, nicht durch das, was die Wirklichkeit bietet, hervorgerufen wird. Schöne Kunst kann nicht mehr bestehen, da sie ja nur auf dem ästhetischen Scheine beruht.

15. So rufst du aus und blickst, mein strenger Freund,

Aus der Erfahrung sicherm Porte

Berwerfend hin auf Alles, was nur scheint.

Erschreckt von deinem ernsten Worte

Entflieht der Liebesgötter Schaar,

20. Der Musen Spiel verstummt, es ruhn der Horen Tänze,
Still traurend nehmen ihre Kränze

Die Schwestergöttinnen vom schön gelockten Haar,
Apoll zerbricht die gold'ne Leier,

und Hermes seinen Wunderstab,

25. Des Traumes rosenfarb❜ner Schleier

Fällt von des Lebens bleichem Antlitz ab,
Die Welt scheint, was sie ist, ein Grab.
Bon seinen Augen nimmt die zauberische Binde
Cytherens Sohn, die Liebe sieht,

30. Sie sieht in ihrem Götterkinde

Den Sterblichen, erschrickt und flieht;
Der Schönheit Jugendbild veraltet,

Auf deinen Lippen selbst erkaltet

Der Liebe Kuß, und in der Freude Schwung 35. Ergreift dich die Bersteinerung.

Die Horen (V. 20), ursprünglich die personificirten Jahresund Tageszeiten, erscheinen später bei Dichtern häufig als Göttinnen des Schönen und Liebenswürdigen, und als solche, wie hier, in Gesellschaft der Chariten (V. 22). Vor einer streng rea= listischen Lebensanschauung, ist also der Gedanke, entschwindet Schönheit und Anmuth. Daß die Horen und die Schwestergöttinnen, die Grazien, zwischen den Musen und Apoll aufgeführt find, zeigt, daß hier das Schöne der Kunst, insbesondere der Poesie, gemeint ist. Warum ist aber Hermes und sein Caduceus erwähnt? Wahrscheinlich sagt der Vers 24: Auch das Wunderbare flieht vor der nüchternen Betrachtung des Realisten. Ueber den „Wunderstab" vergl. Aen. IV, 242:

Jeho faßt er den Stab, der erblichene Seelen vom Orkus

Aufruft oder hinab in den traurigen Tartarus sendet,

Schlummer gibt und enthebt, und vom Tod auch die Augen entsiegelt,

u. s. m.,

Die Reihenfolge der Ideen in der legten größern Hälfte des Ge= dichts scheint mir nicht die glücklichste zu sein: mitten zwischen den

detaillirenden, distribuirenden Gedanken steht ein allgemein zusammenfassender (V. 25 bis 27). Außerdem enthält das Folgende gewiffermaßen Wiederholungen des Frühern; vergl. z. B. V. 28 bis 31 mit V. 18 f. · Wenn Körner (Briefw. mit Schiller, IV, 126) das Gedicht als „Fragment eines idealisirten Briefes im höchsten poetischen Schmuck“ charakterisirt, so ist dagegen zu erinnern, daß die Epistel ihre Aufgabe löst und vollkommen abgerundet erscheint, wenn sich gleich nicht läugnen läßt, daß poetische Episteln gewöhnlich einen reichern und mannigfachern Inhalt haben.

Verwandten Inhaltes mit unserer Epistel ist eine kurz nachher entstandene lyrische Produktion, das Ideal und das Leben, der wir bald begegnen werden. Aber welch ungeheurer Fortschritt gibt fich dort in der Sprache und der ganzen künstlerischen Behandlung des Stoffes kund! Wie schnell hatte Schiller's poetischer Genius seine Kraft wieder gesammelt!

Die Macht des Gesanges.

1795.

Diese treffliche Ode, die den Anfang des Musen-Almanachs auf das Jahr 1796 bildet, gehört zu den Stücken, womit Schiller seine neue Dichtungsperiode eröffnete. Humboldt hatte sie, wie aus seinem Briefwechsel mit dem Dichter erhellt, den 18. August 1795 be= reits im Manuscript gelesen; und Schiller muß sie ihm schon vor dem 9. August zugesandt haben; denn unter diesem Datum schickte er das Reich der Schatten (das Ideal und das Leben), wofür Humboldt erst am 21. August dankte. Hoffmeister führt unsere Ode als das erste Beispiel derjenigen Art poetischer Veran

schaulichung an, die des Dichters Ideen durch das denselben Aehnliche, welches ihm die reale Welt darbietet, oder welches er zu diesem Zwecke bildet, individuell zu machen sucht. „Goethe vergleicht gerne (sagt er) einen geistigen Zustand, ein inneres Erlebniß mit Erscheinungen der materiellen Welt; Schiller sucht häufiger ein sinnliches Substrat für eine Idee; und da das Ueberirdische_unerschöpflich ist und nichts Entsprechendes in der Körperwelt findet, so läßt er öfters mehrere Bilder und Gleichnisse auf einander folgen, ja er stellt bisweilen eine Idee durch ein ganzes Gedicht in einer Reihe von Gleichnissen dar. Hier tritt nicht selten der Fall ein, daß uns seine glühende Phantasie rasch und jählings von einem Bilde zu einem zweiten und dritten ganz ungleichartigen hinüberreißt, so daß wir in einer gewaltsamen Aufregung gehalten, und die Einheit der Anschauung und ein ruhiger, gleichmäßiger Eindruck gestört werden. In der Macht des Gesanges find alle Ideen an eben so viele Gleichnisse geknüpft.“ Indem so die erste Strophe « das geheimnißvolle Entstehen der Poesie durch das Hervorbrechen eines Felsenstroms versinnlicht, dem der Wanderer mit wollustvollem Grausen lauscht: bezeichnet sie zugleich bestimmt, welche Art der Dichtkunst es sei, deren Macht unsere Ode vorherrschend feiert. Es ist nicht die gesammte Poesie, namentlich nicht die spielende, gefällige, anmuthreiche, liebliche, sondern die großartige, erhabene, die heroischepische, die höhere tragische Poesie, die Hymne und Ode, was Hoffmeister mit Recht als etwas den Dichter sogleich Charakterisirendes hervorhebt. Weniger kann ich, beiläufig bemerkt, seiner Ansicht beipflichten, wenn er auch im Mädchen aus der Fremde die Poesie als etwas Erhabenes aufgefaßt findet. Denn heißt es gleich dort:

Eine Würde, eine Höhe

Entfernte die Vertraulichkeit,

so ist doch die Poesie in jener Allegorie als ein schönes Mädchen dargestellt, die mit dem Frühlinge erscheint, deren Nähe beseligend

wirkt, welche Blumen mitbringt und vor allen die Liebenden mit ihren Gaben bedenkt, lauter Züge, die weit weniger auf die erhabene Dichtkunst hindeuten, als wenn es hier heißt:

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1. Ein Regenstrom aus Felsenrissen,

Er kommt mit Donners Ungestüm,
Bergtrümmer folgen seinen Güssen,
und Eichen stürzen unter ihm;
Erstaunt, mit wollustvollem Grausen,
Hört ihn der Wanderer und lauscht,
Er hört die Flut vom Felsen brausen,
Doch weiß er nicht, woher kle rauscht :
So strömen des Gesanges Wellen
Hervor aus nie entdeckten Quellen.

Die zweite Strophenhälfte schildert die Wirkung der erhabenen Poesie auf den Hörer und knüpft dabei die Jdee von dem geheimnißvollen Ursprung der Poesie an ein ähnliches Bild, wie im Grafen von Habsburg:

Wie in den Lüften der Sturmwind saust,

Man weiß nicht, von wannen er kommt und braust,

Wie der Quell aus verborgenen Tiefen,

So des Sängers Lied aus dem Innern schallt.

Es ist derselbe Gedanke, den auch im Mädchen aus der Fremde die
Strophe ausspricht:

Sie war nicht in dem Thal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam;
Doch schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Humboldt urtheilt (in seinem zwölften Briefe an Schiller) über die erste Strophe unsers Gedichtes: „Das große und schauervolle Bild am Eingange bereitet die Seele prächtig zu der ernsten und feierlichen Stimmung vor, die das Ganze hervorbringen muß, und die gleich anfangs durch die edle Einfachheit der Anwendung des Bildes

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